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Faktor Investing ist nur ein Faktor im Depot

Von Stefan Schaaf, Frankfurt Börsen-Zeitung, 10.10.2015 Als Eugene Fama kürzlich an der Universität Frankfurt über Geldpolitik gesprochen hat, ging er auf die Unmöglichkeit einer Zinserhöhung durch die Federal Reserve ein. Zwischen den technischen...

Faktor Investing ist nur ein Faktor im Depot

Von Stefan Schaaf, FrankfurtAls Eugene Fama kürzlich an der Universität Frankfurt über Geldpolitik gesprochen hat, ging er auf die Unmöglichkeit einer Zinserhöhung durch die Federal Reserve ein. Zwischen den technischen Details zum US-Kreditmarkt, mit denen der Wirtschaftsnobelpreisträger von 2013 seine These manifestierte, schimmerte jedoch seine Grundthese durch: Märkte sind immer effizient, die Geldpolitik möge sich heraushalten. Zu viel an Politik sei “eine Pervertierung des Kapitalismus”, ätzte der Professor der Universität Chicago.Viele Anleger lässt Famas Markteffizienzhypothese indes kalt. Sie investieren zunehmend in Finanzprodukte, die im Kern auf Ineffizienzen setzen. Die Wirtschaftstheorie habe sich eben weiterentwickelt, heißt es. Verhaltensökonomische Aspekte wie der Herdentrieb von Anlegern rücken immer stärker in den Fokus. Großen Einfluss auf diese Strategien hatte Famas Co-Nobelpreisträger Robert Shiller, der den Begriff des irrationalen Überschwangs prägte.Anstelle theoretischer Gedankengänge dürfte viele Anleger dabei vor allem der Anlagenotstand treiben. Sie müssen im Niedrigzinsumfeld neue Wege gehen, die auch risikoadjustiert auskömmliche Renditen abwerfen. Fündig werden sie bei Strategien, die sich Faktor Investing nennen, oder bei Produkten mit dem Label Smart Beta. Im Kern widersprechen sie damit der These, dass jederzeit alle Informationen in den Kurs eingepreist sind.Das Geschäft wächst, wenngleich es im Vergleich zum Gesamtmarkt noch recht klein ist. Allein von Ende 2013 bis zum Frühjahr dieses Jahres hat sich in Europa das Volumen von Smart-Beta-Indexfonds vervierfacht, wie der ETF-Anbieter Lyxor ausgerechnet hat. Im September flossen netto 400 Mill. Euro in die Produkte. Für Indexanbieter ist dies ein wachsendes Geschäft. Tatsächlich dürften die Strategien aber viel bedeutsamer sein, als ETF-Statistiken ausweisen. Viele institutionelle Investoren kaufen nämlich nur die Indexdaten etwa zu Value- oder Low-Volatility-Strategien und bauen dann darauf basierend eigene Portfolien auf.Doch egal ob Faktor Investing oder Smart Beta, diesen Ansätzen gemeinsam ist die Abkehr von klassischen Aktienindizes wie Dax oder S & P 500. Diese sind nach Marktkapitalisierung – und im Fall der Dax-Familie teilweise auch nach Markliquidität – aufgebaut. Das kann für einen Index zur Belastung werden, wie die Energiewende zeigt: Im Dax waren die beiden Versorger Eon und RWE lange Zeit Schwergewichte und entsprechend stark in Dax-ETF vertreten – und haben diese belastet.Auf Basis bestimmter Anomalien berechnen Indexanbieter Aktienkörbe, die bestimmte gemeinsame Charakteristika haben und damit von einem nach Marktgewicht kalkulierten Index abweichen. MSCI bietet derzeit Indizes auf sechs verschiedene Einzelfaktoren an; Stoxx hat kürzlich einen Index aufgelegt, der die drei Faktoren Value, Quality und Size kombiniert. Lyxor bietet ein Produkt an, das gleich fünf in einem Index von J.P. Morgan enthaltene Faktoren abbildet. Vereinfacht gesagt, werden in den entsprechenden Indizes die Aktien stark gewichtet, die auf Basis historischer Daten bestimmte Eigenschaften erfüllen. So sind im Value-Index von MSCI jene Aktien abgebildet, die sich im Weltindex MSCI World anhand bestimmter Kriterien als unterbewertet zeigen. Ähnlich werden Körbe von Aktien mit geringer Volatilität berechnet.Die meisten der alternativen Indizes haben in der Vergangenheit die auf Marktkapitalisierung beruhenden Benchmark-Indizes geschlagen. Doch auch hier gilt wie für jedes Finanzprodukt: Historische Erträge ermöglichen keinen Aufschluss über die künftige Kursentwicklung. Solange alles so weiterläuft wie in der Vergangenheit, lassen sich auf Basis von Datenreihen auch Aussagen über die Zukunft treffen. Das funktioniert insbesondere in einer Welt gut, in der automatische Handelssysteme auf Basis historischer Daten Algorithmen ausführen und damit das von ihnen errechnete Ergebnis selbst herbeiführen. Doch im Fall von Systembrüchen sind historische Daten wertlos. Das zeigt die Energiewende, die völlig unerwartet nach der Explosion des Atomkraftwerks im japanischen Fukushima kam. Das gilt auch für den technologischen Wandel. Wer weiß, ob Apple in zehn Jahren noch so bedeutend ist wie heute. Aktuell ist die Aktie in mehreren Faktor-Indizes von MSCI ein Schwergewicht – und wäre es dank Rückrechnung auch noch, wenn der Stern des Unternehmens sinken sollte. Ineffizienzen verschwindenDie Outperformance der Faktor-Indizes gilt jedoch nicht für jede Marktphase und jeden Zeitpunkt. Weil eine Strategie über Jahrzehnte gerechnet eine Outperformance lieferte, muss sie dies auch nicht in jeder beliebigen Fünf- oder Zehnjahresperiode tun. Schließlich verschwinden Anomalien, je mehr auf sie gehandelt wird. Zwei Beispiele illustrieren dies: Value-Aktien nähern sich ihrem fairen Wert an, wenn viele sie kaufen und der Kurs steigt. Eine klassische Marktineffizienz ist auch der Informationsvorsprung. Doch dieser verliert in einer global vernetzten digitalen Medienwelt zunehmend an Wert. Dennoch dürfte es immer wieder unterbewertete Aktien geben, und in Folge der Technisierung des Handels dürfte der Faktor Momentum an Relevanz gewinnen.Quantitative Strategien sind sicherlich kein Allheilmittel im Niedrigzinsumfeld, schon gar nicht wenn jeder sie einsetzen würde. Sie können jedoch als Ergänzung traditioneller Strategien oder als Einstieg in Aktien risikoadjustierte Erträge bringen – und das relativ kostengünstig mittels ETF-Anlagen.