Fed-Geldpolitik treibt Micex an

Russlands Börse zeigt sich fest - Strukturelle Probleme des Landes bestehen aber weiterhin

Fed-Geldpolitik treibt Micex an

Russlands Börse zeigte zuletzt eine unerwartet starke Dynamik. Diese verdankt sie aber fast ausschließlich der lockeren amerikanischen Geldpolitik. Einheimische Wachstumstreiber sind rar, alte strukturelle Probleme nicht behoben, die Aussichten für das Wirtschaftswachstum ernüchternd.Von Eduard Steiner, MoskauVor dem Hintergrund, dass die lange gefeierte BRIC-Story umgeschrieben wird, weil sich das Wachstum in diesen Staaten verlangsamt hat und die strukturellen Probleme sich zugespitzt haben, hat sich die russische Börse im vergangenen Quartal und vor allem seit Anfang September auffällig freundlich gezeigt – trotz der Tatsache, dass das dritte Quartal am Aktienmarkt gewöhnlich schwach ausfällt. Der in Rubel denominierte Leitindex Micex legte zwischen Juni und September um 10 % zu, der in Dollar denominierte RTS-Index sogar um 11,5 %.Die Triebkräfte der Hausse aber hatten vorwiegend keinen einheimischen Hintergrund, sondern beruhen auf der lockeren Geldpolitik der US-Zentralbank Federal Reserve. Dazu kommt, dass Russlands Staatsführung aufgrund ihres zunehmenden Geldbedarfs die Staatskonzerne zwingen will, die Dividendenzahlung auf 35 % des Gewinns zu heben. So ist der Kurs der Aktie des weltweit größten Gasunternehmens Gazprom, die seit Frühjahr 2011 um mehr als die Hälfte auf den Tiefstand vom Krisenjahr 2008 gefallen war, binnen drei Monaten um 32 % gestiegen, obwohl Gazprom nach wie vor viele Baustellen in Europa und Asien hat.Selbst in der kriselnden Stahlbranche ließen sich mit den Papieren der Konzerne Severstal und NLMK im dritten Quartal 35 % bzw. 20 % verdienen. Hinter ihnen müssen sogar die Ölkonzerne zurückstehen, wiewohl der staatliche Platzhirsch Rosneft, der zu Jahresbeginn seinen zweitgrößten Konkurrenten TNK-BP geschluckt hat und seither eifrig in den Gassektor expandiert, um immerhin 16 % zulegte. Triebkraft bei Rosneft war auch, dass sich Konzernchef Igor Setschin, Kopf der dirigistischen Hardliner-Fraktion rund um Kreml-Chef Wladimir Putin, mit Rosneft-Aktien für 5,5 Mill. Dollar eindeckte.Bestperformer mit 73 % Plus im dritten Quartal war freilich der Lkw-Hersteller Kamaz, dessen Papiere vom Glauben getrieben sind, dass der deutsche Konzern Daimler seinen Anteil von derzeit 11 auf über 30 % erhöhen wird und damit den anderen Aktionären ein Angebot zum Durchschnittspreis des vergangenen Halbjahres vorlegen muss. Federn gelassenGewiss, das Quartal war nicht nur rosig. Deutlich Federn lassen mussten der weltweit größte Alu-Konzern Rusal und der globale Primus der Kali-Branche, Uralkali, der mit dem Ausstieg aus seiner russisch-weißrussischen Vertriebsallianz die gesamte Branche Ende Juli auf Talfahrt schickte und dessen Chef Vladislav Baumgertner deshalb in Weißrussland in Untersuchungshaft sitzt.Dessen ungeachtet hat auch das vierte Quartal brillant gestartet und den Micex über 1 500 Punkte getrieben, womit das Jahreshoch von 1 562 Punkten von Anfang Februar wieder in Griffweite gerückt ist. Der Glaube an Russlands Wirtschaft kann der Grund dafür schwerlich sein. Im September haben Weltbank und Internationaler Währungsfonds ihre Prognosewerte für den Anstieg des russischen Bruttoinlandsprodukts im laufenden Jahr auf 1,8 bzw. 1,5 % nach unten korrigiert. Der für Russland so wichtige Ölpreis reicht als Motor nicht mehr aus. Nicht nur die Investoren befänden sich in Warteposition, sondern nun auch noch die Konsumenten wegen der wirtschaftlichen Unsicherheiten und wegen der hohen Schuldenlast der Privathaushalte, so die Weltbank. Die Grenze der Produktionskapazitäten sei erreicht, der Mangel an Arbeitskräften bleibe hoch. Aufbruchstimmung fehltAuch politisch macht sich nach der Rückkehr Putins in den Kreml keine Aufbruchstimmung breit. Der Kapitalabfluss wird laut Wirtschaftsministerium auch in diesem Jahr wieder bei hohen 60 Mrd. Dollar liegen, was vor allem an der Perspektivlosigkeit liegt, die von der anhaltenden Schwäche der staatlichen Institutionen herrührt, wie Sergej Aleksaschenko, Ex-Zentralbankchef und nun Makroökonom an der Moskauer Higher School of Economy, erklärt. Gewiss, kurzfristige schwere Erschütterungen sind diesbezüglich nicht zu erwarten, weil Politik und die strukturellen Schwächen längst eingepreist und mitverantwortlich dafür sind, dass russische Aktien zu einem deutlich niedrigeren Kurs-Gewinn-Verhältnis gehandelt werden als die internationale Peergroup.Das liegt nicht so sehr an der Politik, sondern an der vorherrschenden Unternehmenskultur und der Verschlossenheit gegenüber Investoren, wie Sergej Galizki, Chef des führenden russischen Retailkonzerns und Börsenlieblings Magnit, kürzlich anmerkte. Kampf gegen KorruptionLaut den Analysten der Raiffeisenbank wird sich die negative Einstellung gegenüber russischen Aktien nicht so schnell legen, weil die strukturellen Probleme noch immer nicht behoben seien. Russland sei gewissermaßen an eine derzeit unüberwindbare Barriere gestoßen. Das Land müsse eigentlich die Produktivität erhöhen, die Korruption bekämpfen, das Investitionsklima verbessern und die Wirtschaft diversifizieren. Der Reformprozess gehe jedoch sehr schleppend voran.In Stimmung wurde daher auch die russische Börse zuletzt nur davon gehalten, dass die lockere US-Geldpolitik noch ein wenig anhält und der US-Budgetstreit doch beigelegt ist. Das verleiht kurzfristig Optimismus, so dass die Prognosen der Analysten derzeit positiver aussehen. “Der russische Aktienmarkt zieht Richtung Jahreshoch”, meinen etwa die Analysten der Investmentgesellschaft Evro Invest. Und Vasili Olejnik von IT Invest-Prospekt hegt “das Gefühl, dass wir das finale Wachstum in diesem Jahr noch nicht gesehen haben”, darauf aber eine tiefe und lange Korrektur folgen wird: “Derzeit gibt es noch keine Gründe für eine Korrektur, weshalb man nicht auf fallende Kurse setzen sollte, aber mit langfristigen Käufen bei diesem Niveau auf den jetzigen Zug aufzuspringen, wäre unüberlegt.”Die Wahrscheinlichkeit, dass die Staatskonzerne tatsächlich die Dividenden in den kommenden zwei Jahren wesentlich erhöhen und der Börse damit Auftrieb verleihen, sei aktuell etwas gesunken, bedauert Alexej Zabotkin von VTB Capital. Auch ist es aufgrund der angespannten Budgetsituation nicht wahrscheinlich, dass Russland abgesehen von einigen Infrastrukturprojekten auf viele stimulierende Maßnahmen setzt. Immerhin deutete die Zentralbank, die den Leitzinssatz den 13. Monat in Folge bei 5,5 % belassen hat, am Montag sachte eine mögliche Lockerung der Geldpolitik an. Die Behutsamkeit ist verständlich, schließlich liegt die Inflationsrate nach wie vor über der angestrebten Zielmarke von 5 %. Instabiles WachstumDas jetzige Wachstum sei sehr instabil, meint Irina Ladygina von Life Capital: “Den Markt schlagen könnten Aktien mit entsprechenden Dividendenideen, so die Ölkonzerne Surgutneftegaz und Tatneft oder der Nickelproduzent Norilsk Nickel. Und die Wachstumsdynamik in China könnte das Interesse an Papieren aus dem Metallsektor anheizen.” Angeheizt ist bereits der Kurs des landesweit zweitgrößten Gaskonzerns Novatek, der gemeinsam mit Rosneft davon profitiert, dass bis zum Jahresende Gazproms Exportmonopol für Flüssigerdgas fallen wird. Dennoch wird Gazprom von den Analysten sehr einheitlich als aussichtsreich gehandelt.