DEVISENWOCHE

Fed-Lockerungen als Gefahr für den Dollar

Von Ulrich Leuchtmann *) Börsen-Zeitung, 16.6.2020 Volkswirte sind sich über ziemlich viele grundlegende Dinge nicht einig - so auch nicht darüber, wie ein "normaler" Verlauf von Konjunktur aussieht. Die Vorstellung, die bis Ende der 1970er Jahre...

Fed-Lockerungen als Gefahr für den Dollar

Von Ulrich Leuchtmann *)Volkswirte sind sich über ziemlich viele grundlegende Dinge nicht einig – so auch nicht darüber, wie ein “normaler” Verlauf von Konjunktur aussieht.Die Vorstellung, die bis Ende der 1970er Jahre dominierte, war die eines Konjunktur-“Zyklus”, einer ständigen, wellenartigen Abfolge von Wachstum über oder unter einer mittleren Trend-Wachstumsrate, somit einer stetigen Abfolge von Booms und Rezessionen. Nach Rezessionen würde typischerweise eine Phase besonders schnellen Wachstums folgen. Das FOMC (der geldpolitische Ausschuss der Fed) hing nach der Rezession von 2008 dieser Vorstellung an. So erwarteten die FOMC-Mitglieder Anfang 2009, dass das US-BIP 2011 mit einer wahnwitzigen Geschwindigkeit von 3,8 % bis 5 % wachsen würde (das US-BIP wuchs 2011 lediglich um magere 1,6 %).Es gibt aber auch eine andere Sichtweise der Konjunktur. Charles Nelson und Charles Plosser hatten schon Anfang der 1980er Jahre gezeigt, dass Konjunkturdaten besser anders beschrieben werden: Eine Rezession ist demnach eine dauerhafte Verschiebung des BIP-Pfades nach unten. Nach einer Rezession – so die Erkenntnis von Nelson und Plosser – wächst eine Volkswirtschaft mehr oder weniger so schnell wie vorher. Die Lücke zum Vor-Rezessions-Pfad wird typischerweise nicht geschlossen. Inhaltlich ist diese Sichtweise plausibel: Eine Rezession ändert die Art des BIP, das eine Volkswirtschaft produziert. Nach 2008 produzierte die US-Volkswirtschaft beispielsweise nicht mehr so viele Wohnhäuser wie zuvor, weil die Immobilienblase geplatzt war und sich nicht erneut aufblähte. Die Baumaschinen waren physisch zwar noch da, wurden aber nicht mehr benötigt. Ökonomisch war dieser Teil des Ausrüstungskapitals der USA dauerhaft verschwunden. Das Gleiche gilt für Humankapital. Bauarbeiter wurden nicht mehr im gleichen Ausmaß benötigt. Ihre jahrelange Erfahrung in der Bauindus-trie war ökonomisch entwertet und konnte nicht mehr zum BIP beitragen. Die nach 2008 lange hohe Arbeitslosigkeit war in der Nelson-Plosser-Vorstellung nicht Ergebnis einer “Output-Lücke”, sondern “Mismatch”-Arbeitslosigkeit: Die Fähigkeiten der Arbeitssuchenden passten nicht zu den Stellen, die nach 2008 angeboten wurden.Die große Rezession der Folgejahre zeigt deutlich, dass Nelson und Plosser Recht hatten: Der Verlauf des US-BIP hatte sich dauerhaft nach unten verschoben; die Lücke zum Pfad, den das BIP bis Mitte 2007 eingeschlagen hatte, wurde auch nach Jahren nicht “geschlossen”. Das erkennt man auch ohne extravagante ökonometrische Tests. Ein Blick auf den Verlauf des US-BIP vor und nach 2008 genügt.Diesmal ist es komplizierter. Die Corona-Lockdowns erzeugten einen BIP-Einbruch im ersten und zweiten Quartal 2020. Ein Teil davon wird in den nächsten Quartalen aufgeholt werden, wenn der Effekt der Lockdowns nachlässt.Allerdings: Abgesehen davon gibts voraussichtlich auch eine “echte” Rezession, also eine dauerhafte Verschiebung des BIP-Pfades (siehe Grafik). Denn Firmenpleiten und die Freisetzung von Arbeitskräften hinterlassen dauerhafte Schleifspuren, weil die Unternehmen – selbst bei Fortsetzung ihres Geschäftsbetriebes nach einer Pleite – nicht so operieren wie zuvor. Hinzu kommt, dass die gesamtwirtschaftliche Nachfrage sich nach Corona dauerhaft verschoben haben könnte. Beispiel: Wird Home Office üblicher, sinkt die Nachfrage nach Personentransport, damit möglicherweise die Nachfrage nach Automobilen. Ökonomisch könnte dadurch ein Teil der Kapazitäten des Automobilsektors überflüssig werden. All das wirkt wie eine übliche Rezession, wird also den BIP-Pfad dauerhaft verschieben. Experimente unmöglichDoch erneut – wie schon nach 2008 – sieht das FOMC das nicht ein. In ihren jüngsten Projektionen setzen die FOMC-Mitglieder wieder auf exorbitantes Wachstum nach der Rezession: 5 % im Jahr 2021 und 3,5 % im Jahr 2022. Sie haben aus ihrem Fehler nach 2008 offensichtlich nichts gelernt. Denn weil auch Top-Ökonomen nicht experimentell arbeiten können, ist ihre Wissenschaft dem ewigen Streit der Denkschulen verhaftet.Warum soll all das für den Devisenmarkt relevant sein? Weil die Fed wieder – wie schon nach 2008 – durch “normales” BIP-Wachstum nach der Corona-Rezession und durch einen langsamen Rückgang der Arbeitslosigkeit enttäuscht werden dürfte. Bleibt exorbitant hohes Wachstum in 2021 und 2022 aus, dürfte sie versuchen, ihre Geldpolitik noch lockerer zu gestalten. Das wird in heutigen Zeiten wohl kaum zu Inflation führen, jedoch könnte es zu einem erheblichen Belastungsfaktor für den Dollar werden.Steht für die nächsten Jahre nun eine Euro-Rally zu erwarten? Für solche Prognosen müsste es sicher sein, dass die EZB der Fed nicht folgt. Doch ist die Wahrscheinlichkeit hoch, dass Europas Geldpolitik es der US-amerikanischen gleichtun wird. Auch sie könnte – solange sie nicht durch Inflation dazu getrieben wird – so lange auf möglichst lockere Geldpolitik setzen wie irgendwie möglich. Zugegeben, das ist ein Vorurteil. Die Erfahrung nach 2008 taugt wenig, weil Anfang 2010 die Euroraum-Krise dazwischenkam. So bleibt momentan nur eines: die EZB-Aussagen auf Unterschiede zur Fed-Sicht abzuklopfen. Täten sich wesentliche Differenzen darüber auf, wie Rezession funktioniert, wäre das ein erhebliches positives Signal für den Euro. Bisher fehlen solche Aussagen. Daher ist der Euro zwischen 1,10 und 1,15 Dollar momentan angemessen bewertet. Aber es ist auch klar, worauf wir achten müssen. Alles andere ist für die mittlere bis lange Sicht nahezu irrelevant. *) Ulrich Leuchtmann ist Leiter Devisen-Research der Commerzbank.