LEITARTIKEL

Fifty Shades of Green

Dass die 16-jährige Umweltaktivistin Greta Thunberg an diesem Wochenende mit dem Fernsehpreis "Goldene Kamera" ausgezeichnet wird, zeigt einmal mehr, dass der Kampf für einen besseren Klimaschutz längst die Nische verlassen hat und in der Mitte der...

Fifty Shades of Green

Dass die 16-jährige Umweltaktivistin Greta Thunberg an diesem Wochenende mit dem Fernsehpreis “Goldene Kamera” ausgezeichnet wird, zeigt einmal mehr, dass der Kampf für einen besseren Klimaschutz längst die Nische verlassen hat und in der Mitte der Gesellschaft angekommen ist. Die junge Schwedin hat einer europaweiten Protestwelle ein Gesicht gegeben, der ja bei weitem nicht nur Schüler angehören und die Druck auf Politik und Unternehmen ausübt. Auch die Finanzindustrie wird zunehmend in die Pflicht genommen, ihren Beitrag zu einem nachhaltigeren Umbau der Wirtschaft zu liefern. Die EU-Kommission hat unter dem Stichwort Sustainable Finance schon im vergangenen Jahr einen Aktionsplan veröffentlicht, der private Gelder stärker in grüne Anlagen umleiten soll. Schätzungen zufolge fehlen bis 2030 nämlich jährlich satte 180 Mrd. Euro an Investitionen in nachhaltige Projekte, damit die versprochenen Klimaziele auch erreicht werden können.Von den drei ersten von der Kommission auf den Tisch gelegten Verordnungen haben die EU-Gesetzgeber bereits zwei durchgewunken: neue Offenlegungspflichten von Umweltrisiken sowie neue CO2-Benchmarks. Der dritte Vorschlag ist aber das eigentliche Herzstück – und er ist der umstrittenste. Es geht dabei um das Erstellen eines Klassifizierungssystems, einer sogenannten Taxonomie. Es soll also für institutionelle und private Anleger die heikle Frage geklärt werden: Was ist eigentlich nachhaltig und was nicht? Das Problem ist jedoch, dass es sehr oft auf die Betrachtungsweise ankommt. Es gibt in vielen Fällen einfach kein objektives und europaweit von allen akzeptiertes Verständnis von Nachhaltigkeit. Die Frage nach der Atomkraft würden Deutsche und Franzosen in diesem Zusammenhang zum Beispiel sehr unterschiedlich beantworten. Die Farbschattierungen von Grün können halt sehr unterschiedlich sein – je nach dem Licht, unter dem man sie betrachtet. Sollte es zudem um ein Ranking innerhalb von Wirtschaftssektoren gehen? Oder gehören ganze Branchen als “nicht nachhaltig” abgestempelt?Das EU-Parlament hat in den vergangenen Tagen seine Position dazu abgestimmt, was als durchaus wichtiger Zwischenschritt in der hitzigen Debatte zu werten ist. Eine Mehrheit der Abgeordneten hat zum Glück einen pragmatischen Ansatz gewählt und mehreren Forderungen eine Absage erteilt, die die Akzeptanz der Taxonomie insgesamt gefährdet hätten. Eine Negativliste (“braune Liste”) von Branchen soll es nicht geben. Es findet auch keine Verknüpfung mit der Finanzmarktregulierung über einen “grünen Unterstützungsfaktor” statt, der Erleichterungen bei den Eigenkapitalanforderungen gegeben hätte. Soziale Aspekte werden vorerst nicht berücksichtigt. Und auch bei der Kreditvergabe soll die Klassifizierung nicht zum Einsatz kommen. Man könne schließlich nicht erwarten, bemerkte ein Abgeordneter ganz richtig, dass eine Regionalbank eine Carbon-Footprint-Analyse durchführen müsse, wenn sie einem Handwerker einen Kredit geben wolle.Wie es jetzt weitergeht, hängt vor allem davon ab, ob sich die EU-Mitgliedstaaten auf eine gemeinsame Position verständigen können. Übergangszeiten und Einflussmöglichkeiten auf das Klassifizierungssystem sind hier weiter heftig umstritten. Die EU-Kommission hofft, dass der Gesetzgebungsprozess bis Jahresende abgeschlossen ist – vor allem, da innerhalb der Behörde die nächsten Schritte in der Sustainable-Finance-Politik schon längst in der Vorbereitung sind: Es geht darum, die in Europa gesetzten Standards auch global auszurollen. Da die USA allerdings wenig Interesse zeigen, auf G 7- oder G 20-Ebene eine neue Regulierung mitzutragen, bleibt Brüssel zurzeit allenfalls der Versuch, eine “Koalition der Willigen” zu bilden, die international vorangeht. In zahlreichen Ländern wie Japan, Indien oder Marokko gibt es nationale Initiativen. Eine Koordinierung findet bislang aber nicht statt. China hat bereits Erfahrungen mit einer Taxonomie, und Peking hat offensichtlich großes Interesse, gemeinsam mit Europa die internationalen Nachhaltigkeitsstandards zu setzen und so auch grenzüberschreitende Investitionen zu erleichtern. Die Europäische Union sollte dies durchaus als Chance begreifen.Es ist zu erwarten, dass auch die nächste EU-Kommission, wer auch immer an ihrer Spitze stehen wird, das in der Öffentlichkeit positiv besetzte Thema der nachhaltigen Finanzierung ganz oben auf die Agenda stellt. Brüssel übernimmt hier eine Führungsrolle. Und wenn Klimarisiken für Investoren ein wenig sichtbarer werden, könnte dies so nebenbei auch die Stabilität im Finanzsystem noch ein wenig stärken.—–Von Andreas HeitkerBrüssel möchte das Thema der nachhaltigen Finanzierung jetzt auch auf die globale Ebene heben. Doch erst einmal braucht es dazu eine EU-Taxonomie. —–