DEVISENWOCHE

Flaute am Devisenmarkt als Dauerzustand

Von Ulrich Leuchtmann *) Börsen-Zeitung, 4.2.2020 Der Euro-Dollar-Wechselkurs bewegt sich seit Monaten in einer Spanne von kaum mehr als 2 Cent. Gleichzeitig geht der Markt immer mehr davon aus, dass diese geringe Volatilität zum Dauerzustand wird,...

Flaute am Devisenmarkt als Dauerzustand

Von Ulrich Leuchtmann *)Der Euro-Dollar-Wechselkurs bewegt sich seit Monaten in einer Spanne von kaum mehr als 2 Cent. Gleichzeitig geht der Markt immer mehr davon aus, dass diese geringe Volatilität zum Dauerzustand wird, was an den fallenden impliziten Wechselkursvolatilitäten (aus Devisenoptionen) ablesbar ist. Die niedrige Schwankungsintensität ist keinesfalls auf den Euro-Dollar-Kurs beschränkt, sondern lässt sich vielmehr im gesamten Währungsuniversum beobachten. Ist das nur eine vorübergehende Flaute? Vielleicht. Aber es gibt gute Gründe für die Annahme, dass die geringen Schwankungen zum Dauerzustand werden. Zentralbanken wenig aktivDer Handlungsspielraum der meisten Zentralbanken ist nach Jahren expansiver Geldpolitik mittlerweile äußerst begrenzt. Da effektiv eine Zinsuntergrenze existiert, unter der unerwünschte Nebenwirkungen von Negativzinsen zu hoch werden, ist bei einem weltweit niedrigeren Leitzinsniveau der Handlungsspielraum der Zentralbanken in die expansive Richtung geschrumpft. Andererseits ist auch die amerikanische Notenbank Fed mit ihrem Versuch gescheitert, in den Jahren 2015 bis 2018 ihre Geldpolitik in Richtung höherer Zinsen zu “normalisieren”. Sie musste die Zinserhöhungen teilweise wieder zurücknehmen. Wenn aber die Geldpolitiken der wichtigen Zentralbanken dauerhaft weder in die eine noch in die andere Richtung nennenswerten Spielraum haben, entfällt ein wesentlicher Treiber der Wechselkurse, die sich in der Vergangenheit häufig deshalb bewegten, weil kurz- oder langfristige Aussichten auf die Geldpolitik der einen oder anderen Zentralbank revidiert werden mussten.Im letzten Jahr grassierte die Angst vor einer globalen Rezession. Die hätte die verschiedenen Wirtschaftsräume unterschiedlich stark getroffen und unter Umständen eine Neuallokation globaler Investitionen ausgelöst: weg von Währungen, deren Volkswirtschaften stärker betroffen wären, hin zu konjunkturell sichern Häfen – mit entsprechenden Wirkungen auf die Wechselkurse. Verbesserte Konjunkturindikatoren ließen diese Angst jedoch mittlerweile verschwinden. Nun scheint wahrscheinlicher, dass wir in den großen Wirtschaftsräumen eine Konvergenz der konjunkturellen Entwicklungen beobachten: schwächeres Wachstum in den Vereinigten Staaten, moderates Wachstum im Euroraum, in China etc. Dieses Bild gibt wenig Anlass zur Neuallokation globaler Anlagen – und damit wenig Impetus für die Wechselkurse. Veränderte MarktstrukturZwei Faktoren kommen zusammen: Aufgrund der höheren globalen Verflechtung der Volkswirtschaften (seit den 2000ern) sind erstens Konjunkturzyklen höher synchronisiert als früher. Ein Wechsel von der einen in die andere Währung macht für Anleger daher weniger Sinn. Zweitens fielen die konjunkturellen Schwankungen in den 2010er Jahren nur noch gedämpft aus. Weil Geldpolitiken dauerhaft expansiv bleiben, ist das Risiko von währungsschädlichen Rezessionen geringer. Gleichzeitig lösen diese Geldpolitiken aber auch keinen Boom mehr aus, der früher Kapital angelockt hätte und die jeweilige Währung beflügelt hätte. Der Devisenmarkt hat heute eine andere Struktur als noch vor einigen Jahren. Banken treten allein schon aufgrund regulatorischer Vorschriften (“Volcker-Regel”) kaum noch spekulativ in Erscheinung. Gleichzeitig ist die große Zeit der Währungs-Hedgefonds, die Anfang des Jahrtausends noch wie Pilze aus dem Boden schossen, vorbei. Die meisten wurden längst geschlossen, andere haben Abflüsse zu verzeichnen. All das heißt: Es gibt weniger spekulative Teilnehmer am Devisenmarkt.Spricht das für höhere oder niedrigere Wechselkursschwankungen? Die klassische Vorstellung besagt, dass spekulative Marktteilnehmer Kursverläufe eher glätten. Sie nutzen kleine Kursschwankungen (die aus kommerziellen Transaktionen entstehen) aus und dämpfen sie damit. Müsste ihr Fernbleiben vom Markt dann nicht zu höheren Schwankungen der Wechselkurse führen? Nun, die Mainstream-Theorie hat verstanden, dass spekulative Blasen auftreten können, bei denen Kursverläufe zu sich selbst erfüllenden Prophezeiungen werden. Damit sie entstehen, muss eine hinreichend große Anzahl spekulativer Marktteilnehmer sich einig sein, auf solch eine Blase zu setzen. Und wenn es weniger Marktteilnehmer dieser Sorte gibt, sind auch Blasen, deren Platzen und die von ihnen erzeugte Volatilität seltener. Schnellere ReaktionAls in den 1970er Jahren das System fixer Wechselkurse (Bretton Woods) zusammenbrach und Wechselkurse weitgehend den Marktkräften überlassen wurden, waren die Ökonomen erstaunt darüber, wie stark die Wechselkurse plötzlich schwankten. Wie können moderate konjunkturelle Schwankungen in entwickelten Volkswirtschaften eine Halbierung oder Verdoppelung eines Wechselkurses rechtfertigen, wunderte man sich. Die Ökonomik fand schnell eine Antwort: Wechselkurse können schneller auf veränderte Fundamentaldaten reagieren als die Preise von Gütern und Dienstleistungen, welche sich nur träge anpassen. Solange aufgrund der Trägheit der Preise diese noch nicht die fundamental gleichgewichtigen Niveaus erreicht haben, müssen Wechselkurse den Job der Preisanpassung übernehmen, bis die Güter- und Dienstleistungspreise sich angeglichen haben. Erst wenn die Preise reagieren, kann der Teil der initialen Wechselkursreaktionen zurückgenommen werden. Das heißt: Wechselkurse müssen “überschießen”. Geringe AnpassungslastNun beobachten wir aber seit einigen Jahren, dass die Schwankungsintensität der Preise nachgelassen hat. Inflationsraten sind überraschend gering. Das liegt sicherlich nicht daran, dass Preise extrem träge geworden sind. Preisvergleiche machen Preise heute transparenter als früher und beseitigen die typischerweise wichtigste Ursache von Preisträgheit. Vielmehr scheint es, als würde heutzutage eine “normale” wirtschaftliche Entwicklung weniger Preisanpassungen nötig machen. Für die Währungsvolatilitäten bedeutet dieser Zustand, dass die Anpassungslast, die früher die Wechselkurse zu übernehmen hatten, bestenfalls gering ist und daher für ein Überschießen der Wechselkurse weniger Anlass besteht. Damit entfällt ein wesentlicher Grund für Wechselkursvolatilität.Die aktuelle Volatilitätsebbe scheint das Resultat eines Zusammenspiels verschiedener dauerhafter Faktoren zu sein und wird damit sehr wahrscheinlich noch eine Weile Bestand haben. Auch ein weiterer Rückgang der Volatilitäten lässt sich nicht ausschließen. Jedoch ändert sich solch ein Zustand manchmal schnell. Die letzte ähnliche Volatilitätsebbe war im Jahr 2007. Und danach, daran erinnern sich die meisten, wurden die Schwankungen heftig. *) Ulrich Leuchtmann ist Leiter Devisen-Strategie der Commerzbank.