GASTBEITRAG

Frühlingsgefühle bleiben noch aus

Börsen-Zeitung, 29.3.2019 Normalerweise beginnt im Frühjahr neues Wachstum. Bei der deutschen Industrie und der Rendite von Bundesanleihen ist davon aber nichts zu spüren. Vielmehr könnten die 2016er Negativmarken erneut in Reichweite kommen. Das...

Frühlingsgefühle bleiben noch aus

Normalerweise beginnt im Frühjahr neues Wachstum. Bei der deutschen Industrie und der Rendite von Bundesanleihen ist davon aber nichts zu spüren. Vielmehr könnten die 2016er Negativmarken erneut in Reichweite kommen. Das Brexit-Trauerspiel und die unberechenbare Trumpsche Außenpolitik werden wohl auch in den nächsten Monaten für Verunsicherung sorgen und die Risikoprämie in Bunds hoch halten. Hinzu kommen US-Notenbank Federal Reserve (Fed) und die Europäische Zentralbank (EZB), die die geldpolitischen Zügel erneut lockern und damit den noch im vergangenen Jahr verfolgten Kurs der graduellen Normalisierung der Geldpolitik ein Ende setzen. Gewinne mitnehmen und die Portfolien defensiver ausrichten ist daher das Gebot der Stunde. Positive ZwischenbilanzNach den massiven Verlusten Ende 2018 lassen zweistellige Aktienmarktgewinne Powell, Draghi und Co. wohl eine positive Zwischenbilanz des seit Jahresbeginn zu verzeichnenden geldpolitischen Kurswechsels ziehen – zumal sich die Finanzierungsbedingungen auch im Bereich der Unternehmensanleihen wieder spürbar verbessert haben. Dennoch gilt: Die Ankündigung der jüngsten Zentralbankmaßnahmen sorgte kaum noch für Frühlingsgefühle am Kapitalmarkt. Stattdessen wird der Blick wieder verstärkt auf die Auslöser des geldpolitischen Umdenkens gelenkt.In der Eurozone sind dies in erster Linie schwache Frühindikatoren und zahlreiche Gewinnwarnungen großer Unternehmen. Die Zuversicht, dass es den Notenbanken gelingt, den auslaufenden Konjunkturzyklus weiter zu verlängern, scheint auf breiter Front zu bröckeln. Die US-Zinskurve sendet hier jedenfalls klare Signale.Andere Akteure müssten einen Beitrag leisten, wenn sich die Lage zeitnah aufhellen soll. Wie wichtig in dieser Hinsicht derzeit der Einfluss der Politik ist, verdeutlicht ein Blick auf die Einkaufsmanagerindizes für die Eurozone. Während der Dienstleistungssektor weiterhin ordentliche Wachstumszahlen erwarten lässt, fährt die besonders vom Güterhandel abhängige Industrie aktuell ihre Produktion zurück. Schon im vierten Quartal 2018 wurden von europäischen Unternehmen überwiegend Aufträge abgearbeitet und die Lagerbestände reduziert. Aufgrund ausbleibender Aufträge geht es jetzt aber an die Produktion. Meldungen über zumindest temporär stillstehende Bänder und verkürzte Schichtzeiten machen verstärkt die Runde. Dass das Brexit-Chaos und die noch immer latente Gefahr höherer Zölle im globalen Handel hierfür entscheidende Faktoren sind, liegt auf der Hand. Entsprechend würde man sich an dieser Stelle auch eine bessere Problemlösungskompetenz europäischer Politiker wünschen.Allein es fehlt der Glaube. Falls es Theresa May durch ihren angebotenen Rücktritt am Ende doch noch gelingt, den Weg für ihren Deal zu ebnen, würde dies zwar auch die letzten Hoffnungen derjenigen, die auf einen Exit vom Brexit gesetzt haben zerstören, aber immerhin wäre ein Ende des Brexit-Trauerspiels absehbar.Aber es gilt auch: Wann beziehungsweise ob eine dauerhafte Lösung des von den USA ausgehenden Handelskonflikts gefunden wird, bleibt weiter ungewiss, stehen doch strukturelle Unterschiede der jeweiligen Wachstumsmodelle in China, den USA und der EU einem Abbau von Handelsungleichgewichten entgegen. Und die anstehenden Wahlen in Spanien sowie des Europaparlaments lassen für die nächsten Wochen auf europäischer Ebene mehr Wahlkampfgetöse denn echte, umsetzungsorientierte Reformvorschläge erwarten. Das alles sind nicht gerade die besten Voraussetzungen, um auf eine baldige Erholung der Frühindikatoren der Eurozonen-Industrie zu setzen. In den Firmenzentralen regiert die Frühjahrsmüdigkeit. An den Frühjahrsputz der Lagerhallen, um für ein Auffüllen der Bestände vorbereitet zu sein, wird derzeit noch kein Gedanke verschwendet.Ausbleibende positive Konjunkturmeldungen könnten die Renditen deutscher Bundesanleihen kurzfristig noch weiter in den negativen Bereich abrutschen lassen. Dass die Renditen von US-Treasuries auch nach den Ankündigungen der Fed, den Bilanzabbau ab Mai zu verringern und zusätzliche Mittel in den Treasury-Markt umzuleiten, noch Luft nach unten haben, spielt hierbei ebenfalls eine wichtige Rolle. Die Re-Positionierung der Investoren in zehnjährigen US-Anleihen wird wohl erst in den kommenden Wochen abgeschlossen sein. Bundesanleihen bleiben vor dem Hintergrund weiter gut unterstützt.Auch für Aktien dürften die Zeichen vorerst eher auf Konsolidierung stehen. Sinnvoll ist – nach der Erholung seit Jahresbeginn – Gewinne mitzunehmen und auf neue Impulse zu warten beispielsweise in Form von Geschäftszahlen, die besser als erwartet ausfallen. Mit einsetzender Dividendensaison steht in den kommenden Monaten ohnehin eine traditionell schwächere Aktienmarktphase bevor. Dass zum Jahresende aber noch immer niedrigere Renditen und deutlich gesunkene Aktienkurse zu Buche stehen werden, ist aus heutiger Sicht nicht sonderlich wahrscheinlich.Immerhin wurde die Hürde für positive Konjunktur-Überraschungen zuletzt spürbar reduziert. Die Prognosen zum Wachstum der Eurozone wurden deutlich gen Süden revidiert und die Gewinnschätzungen für europäische Unternehmen haben Analysten und die Unternehmen selbst auf realistische Niveaus gestutzt. Während die Gewinnschätzungen zu Jahresbeginn häufig zu optimistisch sind, bestätigen die derzeitigen Prognosen für 2019 die von der Bayerninvest erwartete Entwicklung. Eine weitere Abwärtskorrektur ist hier also – anders als noch vor wenigen Monaten – nicht mehr zwingend erforderlich.Auch bei der Prognose des Bruttoinlandsprodukts (BIP) nimmt die Bayerninvest inzwischen eine im Vergleich zum Konsens etwas optimistischere Haltung ein. Während die positive Abkopplung des Dienstleistungssektors aufgrund der robusten Binnenkonjunktur vorerst anhalten dürfte, sollten im weiteren Jahresverlauf die positiven Impulse der in der Eurozone zu beobachtenden expansiveren Fiskalpolitik sowie die Maßnahmen der chinesischen Regierung für bessere Konjunkturaussichten auch in der Industrie sorgen. Rückgang der IndikatorenOhnehin muss derzeit konstatiert werden, dass der starke Rückgang der Stimmungsindikatoren derzeit das Ausmaß der tatsächlichen Konjunkturabkühlung eher zu überzeichnen scheint. Dass sogenannte Überraschungsindizes – sie messen die Abweichung veröffentlichter Konjunkturdaten von den Prognosen der Volkswirte – in der Eurozone zuletzt gestiegen sind, ist daher als Schritt in die richtige Richtung zu werten.Während sich der Kapitalmarktausblick mittelfristig also noch immer konstruktiv darstellt, empfiehlt es sich aus den oben genannten Gründen kurzfristig die Portfolien defensiver auszurichten. Neben niedrigeren Aktienquoten sind in diesem Zusammenhang höhere Anteile im Bereich der besicherten Anleihen wie Covered Bonds und vorrangigen Unternehmensanleihen weniger konjunktursensibler Industrien zu bevorzugen.—–Bernhard Grünäugl, Volkswirt und Makro Stratege bei der BayernInvest