FTSE in der Warteschleife

Britische Aktien sind niedrig bewertet, Anleger fürchten aber die politischen Risiken

FTSE in der Warteschleife

Britische Aktien haben sich seit dem 23. Juni 2016 gar nicht so schlecht geschlagen. Sowohl der FTSE 100 als auch der FTSE 250 legten seit dem Votum für den Brexit um rund ein Fünftel zu. Anleger wollen nicht in politische Risiken investieren. Käme es aber zu einer Übereinkunft mit der EU, wäre noch mehr drin.Von Andreas Hippin, LondonKnapp zwei Jahre nach dem EU-Referendum hat der FTSE 100 im Mai bei 7 787 Punkten einen neuen Höchststand erreicht. Dazu hatten ein stärkerer Dollar, ein höherer Ölpreis und eine ausgebliebene Zinserhöhung ihren Teil beigetragen. Schließlich machen die Standardwerte mehr als drei Viertel ihres Geschäfts jenseits der Grenzen des Vereinigten Königreichs. Und Unternehmen der Öl- und Gasbranche haben im Leitindex mit 17 % ein so hohes Gewicht wie keine andere Branche. Britische Aktien gehören derzeit gleichwohl zu den unbeliebtesten Investments. Selbst einheimische Anleger wollen nicht in schwer abschätzbare politische Risiken investieren. Seitdem Großbritannien für den EU-Austritt stimmte, wurden der Investment Association zufolge 7,9 Mrd. Pfund aus Fonds abgezogen, die schwerpunktmäßig in britische Aktien investieren. Dabei verzeichneten Investmentfonds Zuflüsse von 61 Mrd. Pfund. Vielleicht sind die Unternehmen der “Old Economy” wie Öl- und Gaskonzerne, Banken (Indexgewicht: 12,7 %) und Konsumgüterhersteller (11,8 %), die den FTSE 100 prägen, auch einfach wieder einmal außer Mode gekommen. Die stark nachgefragte Technologiebranche ist dagegen mit 0,6 % ein Leichtgewicht. Seit Erreichen des Hochs im Mai hat der Leitindex den Rückwärtsgang eingelegt. Zum Ende des ersten Halbjahres befand sich der “Footsie” mit 0,9 % im Minus. Unter Berücksichtigung der gezahlten Dividenden ergab sich per 28. Juni eine Rendite von 1,4 %. Wer dagegen in den MSCI Europe, den MSCI Emerging Markets oder den Dax investiert hatte, fuhr – in Pfund gerechnet – einen Buchverlust ein. Unter den zehn FTSE-100-Werten mit der besten Kursentwicklung seit Jahresbeginn fanden sich gleich vier aus dem Einzelhandel. Das entspricht nicht ganz dem Bild, das man sich nach zahlreichen Pleiten und Restrukturierungsgeschichten von der Branche macht. Der Online-Supermarkt Ocado schaffte nicht nur den Aufstieg in den Leitindex, sondern setzt sich mit einem Plus von 160 % auch gleich an die Spitze der Gewinnerliste. Ein Deal mit dem US-Lebensmittelhändler Kroger brachte dem Unternehmen den Durchbruch. Eine ganze Reihe von Hedgefonds hatte dagegen gewettet. Auch der Textileinzelhändler Next (+ 34 %), der Supermarktbetreiber J Sainsbury (+ 33 %) und sein Rivale Tesco (+ 23 %) schafften es unter die Top 10. Mehr Kaufkraft”Wir sind positiver gestimmt, was die britischen Verbraucher angeht”, schrieben jüngst die Strategen von Liberum Capital. Sie haben deshalb Pub- und Restaurantbetreiber von “Neutral” auf “Buy” sowie Einzelhandelswerte von “Bearish” auf “Neutral” heraufgestuft. Den britischen Haushalten stehe mehr Kaufkraft zur Verfügung als noch vor einem Jahr, trotz steigender Ölpreise werde sich dieser Trend fortsetzen. Der Brexit bleibe ein Extremrisiko, aber solange die Verbraucher die damit verbundene Unsicherheit nicht unmittelbar zu spüren bekämen, dürften sie den Konsum weiter stützen. Unter ihren Kaufempfehlungen befinden sich die Pubkette Greene King und der Essenslieferdienst Just Eat. Aber auch auf ihrer Verkaufsliste stehen Unternehmen der beiden Branchen, denen sie nun mehr zutrauen, etwa der Kaufhausbetreiber Debenhams und Domino’s Pizza Group. Unter den größten Kursverlierern fanden sich in den ersten sechs Monaten Bauunternehmen wie Taylor Wimpey (-14 %) und Barratt Developments (-21 %). Liberum Capital sieht die Branche positiv. Die UBS hat Barratt Developments Ende April von “Neutral” auf “Buy” hochgestuft. Ihre Strategen setzten sich nach dem Hoch vom Mai damit auseinander, ob es nun an der Zeit sei, hauptsächlich auf dem britischen Markt tätige Unternehmen zu kaufen. Ihre Aktienkurse hätten sich um 51 % schlechter entwickelt die international tätigen Gesellschaften. Damit entspreche ihr Kurs-Gewinn-Verhältnis dem 0,85-Fachen der exportorientierten Unternehmen, das sei so tief wie in einem Jahrzehnt nicht. In der Vergangenheit seien einheimische Aktien binnen zwölf Monaten um 14 % gestiegen, wenn sie auf dieses Niveau gesunken waren. Neben Barratt standen der Baumaterialhändler Travis Perkins, die Lloyds Banking Group sowie die Immobiliengesellschaften Capco und Derwent London auf der Liste der mit “Buy” bewerteten Firmen, die sich auf den britischen Markt konzentrieren. Unter den weltweit aktiven Unternehmen fanden sich der Triebwerkbauer Rolls-Royce, das Medizintechnikunternehmen Smith & Nephew und die weltgrößte Werbeagentur WPP.Am Freitag trifft sich Premierministerin Theresa May mit ihrem Kabinett auf dem Landsitz Chequers, um ihre Minister auf eine gemeinsame Linie für die künftigen Beziehungen mit der EU einzuschwören. Sollten sie sich auf ein Modell einigen, das von Brüssel nicht gleich wieder vom Verhandlungstisch gefegt werden kann, könnten die Kurse in London anfangen zu steigen.