IM INTERVIEW: AXEL CRON, HSBC GLOBAL ASSET MANAGEMENT DEUTSCHLAND

"Für Aktien besteht durchaus noch Luft nach oben"

CIO: Niedrige Zinsen jetzt für lange Zeit festgezurrt - Rotation könnte ein großes Thema für das zweite Halbjahr werden

"Für Aktien besteht durchaus noch Luft nach oben"

Axel Cron ist für die Aussichten von Risiko-Assets wie Dividendentitel und Unternehmensanleihen zuversichtlich. Der Chief Investment Officer bei der HSBC Global Asset Management (Deutschland) verweist unter anderem auf das Niedrigzinsumfeld, das seiner Einschätzung nach noch lange Bestand haben wird. Herr Cron, die Aktienmärkte haben sich seit dem Corona-Crash sehr gut entwickelt. Wie beurteilen Sie auf den erreichten Kurshöhen die Aussichten?Wir haben eine insgesamt konstruktive Haltung zu Aktien und anderen risikobehafteten Anlagen. In den nächsten Jahren dürfte es sich lohnen, in Risiko-Assets zu gehen, und zwar neben Aktien auch in Unternehmensanleihen. Bei Letzteren präferieren wir derzeit den High-Yield-Bereich mit Schwerpunkt in Asien. Aber auch Hochzinsanleihen aus Europa und den Vereinigten Staaten kann man ins Portfolio nehmen. Die Risikoprämien in dem Bereich sind sehr attraktiv. Generell haben sich Unternehmensanleihen noch nicht so stark erholt wie Aktien, so dass es dort eben noch Risikoprämien gibt. Die Aussichten für Staatsanleihen sind dagegen weniger gut. Manche fühlen sich am Aktienmarkt unwohl, weil sie eine Entkoppelung von der Realität sehen. Was ist Ihre Ansicht dazu?Eine Entkoppelung des Aktienmarktes von der Realität gab es schon immer. Der Aktienmarkt bildet nicht die Realwirtschaft an sich ab, sondern unternehmerische Erfolgsgeschichten. Allerdings hätten wir nicht erwartet, dass der Markt so schnell so stark steigen würde. Jedoch ist der Aktienmarkt mit einer Bewertung in der Nähe der Buchwerte eine Kaufgelegenheit. Es ist erfreulich, dass auch die Privatanleger diese Gelegenheit in diesem Jahr genutzt haben. Der Anstieg des Aktienmarktes in diesem Jahr reflektiert die eher innovativen Sektoren, die in der Coronakrise nun ihre Stärken ausspielen können. Daneben gibt es natürlich die Branchen, die in dem gegenwärtigen Umfeld große Schwierigkeiten haben. Die realwirtschaftliche Lage ist aber doch insgesamt sehr problematisch.Die fundamentale Situation ist absolut gesehen in der Tat schwierig. Wir erleben wirtschaftliche Einbrüche in vielen Ländern. Die Daten sind allerdings zu träge, um die wirtschaftliche Dynamik abzubilden. Die Entwicklung geht zu schnell. So gab es etwa beim US-Arbeitsmarktbericht für den Mai eine Diskrepanz zwischen Erwartungen und der Realität von zehn Millionen Stellen. Per saldo wurden 2,5 Millionen Stellen geschaffen, während ein Verlust von 7,5 Millionen Stellen erwartet worden war. Das zeigt die Dynamik. Es gibt keinen Präzedenzfall zur Stilllegung der Wirtschaft, die auch noch global stattgefunden hat. Kein Modell und kein Volkswirt ist in der Lage, belastbare Prognosen zu erstellen. Wie gehen Sie mit dem Problem um?Wir versuchen, die Dynamik mit zeitnahen Daten zu erfassen. Dazu zählen beispielsweise Einkaufsmanagerindizes, das Geldmengenwachstum und Inflation. Wir verarbeiten mehrere Hundert Daten pro Monat. Und welches Bild ergibt sich dabei?Aktuell sind wir bei einem globalen Wachstum von knapp 3 %. Das zeigt derzeit eine V-förmige Entwicklung an, so wie es die Aktienmärkte auch zugrunde legen. Das ist keine Prognose, aber die aktuelle Entwicklung. Und es zeigt, dass die Folgen von Covid-19 schneller überwunden werden als vielfach angenommen. Das gilt nicht für alle Regionen. China erholt sich zuerst. Covid-19 beschleunigt bereits bestehende Tendenzen wie die im Vergleich zum Rest der Welt dynamischere Entwicklung Asiens. Auch die USA sind relativ dynamisch, aber eben auch fragiler, unter anderem weil viele politische Fragen derzeit offen sind. Wir werden nicht schnell zu 100 % zurückkehren. Wer sind die Gewinner der Coronakrise?Wir zählen dazu die Bereiche Technologie sowie Pharmazie und Biotechnologie. Im Technologiebereich schafft die künstliche Intelligenz noch große Möglichkeiten. Im Pharma- und Biotechbereich bleibt noch abzuwarten, wer die großen Gewinner sein werden. Derzeit sind mehr als 100 Corona-Impfstoffe in Arbeit. In dem Bereich ist noch einiges fraglich. Auch wenn die Gewinnerbranchen vielfach hoch bewertet sind, gehen wir davon aus, dass noch viel Kapital in diese Sektoren fließen wird. Und wer verliert?Zu den Verlierern zählt derzeit die Ölbranche. Sie hat zum einen ein zyklisches Problem, das aber überwunden wird. Hinzu kommt aber das langjährige Thema der Anpassung an Erfordernisse des Klimaschutzes. Möglicherweise wird es auch hier zu einer Beschleunigung der Entwicklung kommen. Zu den außergewöhnlichen Entwicklungen zählen auch die Geldpolitik und die weiter gesunkenen Zinsen. Was erwarten Sie für die Zinsentwicklung?Die Notenbankpolitik ist ein weiteres Beispiel dafür, dass die Coronakrise Entwicklungen in einer Art und Weise beschleunigt, die vorher nicht möglich erschien. Mittlerweile wird schon diskutiert, ob die Fed dazu übergehen wird, wie die Bank of Japan die Zinskurve zu kontrollieren. Dass die Zinsen in absehbarer Zeit steigen werden, ist aus jetziger Sicht kaum vorstellbar. Niedrige Zinsen sind keine neue Entwicklung, aber sie sind jetzt für lange Zeit festgezurrt. Wird es daher noch lange kaum Alternativen zu Dividendentiteln geben? Gibt es vor diesem Hintergrund für die Aktienmärkte noch Luft nach oben?Die Zinsen haben eine starke Auswirkung auf die Bewertungslage. Würde man für die S&P-500-Unternehmen die Gewinne für die nächsten drei Jahre auf null setzen, läge der Fair Value lediglich 5 % unter dem aktuellen Niveau. Das liegt daran, dass die Zinsen nicht mehr vorhanden sind, die die zukünftigen Gewinne abdiskontieren. Wer glaubt, dass die Zinsen steigen, könnte Zweifel an Aktien bekommen. Aber da sind wir eben nicht. Jedes Unternehmen, das Gewinne macht und eine Dividende ausschüttet, ist besser als eine Zinsanlage. Für Aktien besteht vor diesem Hintergrund durchaus noch Luft nach oben. Sehen Sie eine Chance, dass die bisherigen Underperformer gerade in diesem Zinsumfeld ebenfalls anziehen werden?Wir sehen jetzt eine Rotation in zurückgebliebene Sektoren, die günstig bewertet sind. Wenn wie von uns erwartet viel Kapital in die Aktienmärkte fließen wird, könnte es sein, dass Rotation ein großes Thema des zweiten Halbjahres sein wird. Welche potenziellen Risiken sehen Sie für die Aktienmärkte?Kurzfristig wäre das eine Diskussion über die Beendigung beziehungsweise Reduzierung von Hilfsmaßnahmen. Ich glaube aber nicht, dass die Politik einen restriktiveren Kurs fahren wird, sondern könnte mir eher vorstellen, dass es zu einer Verfestigung dieser Politiken kommen wird. Was die Fed betrifft, kann ich mir nicht vorstellen, dass sie in absehbarer Zeit auf die Idee kommen wird, die Zinsen zu erhöhen, zumal Inflation weit und breit nicht in Sicht ist. Manche befürchten aber, dass die massiven Hilfsmaßnahmen letztlich zu einer anziehenden Inflation führen werden.Das Problem ist, dass schon lange erwartet wird, dass die Liquidität zu mehr Inflation führen wird. Nur ist dies eben nicht passiert. Einiges ändert sich jetzt aber. Die Globalisierung wird tendenziell in Teilen zurückgedreht. Das wird sehr langsam geschehen. Aber: Durch die Globalisierung kommen wir günstig an viele Produkte, das heißt, wenn es nun zu einer Verknappung bestimmter Güter kommt, wird das zu einer gewissen Verteuerung führen. Überall ist nun die öffentliche Hand gefragt, die die Pandemie einschränken muss und zudem stützend eingreift. Das wird in aufwendigeren Produktionsverfahren und höheren Preisen resultieren. Die Inflationspsychologie war bisher nicht vorhanden, aber das ändert sich jetzt möglicherweise. Werden die Notenbanken dann nicht doch unter Zugzwang geraten?Wir sind noch recht weit von den 2-Prozent-Zielmarken entfernt, das heißt, die Zentralbanken können noch zuschauen und abwarten. Die Folge ist, dass wir noch weniger Volatilität bei festverzinslichen Anlagen haben, verstärkt auch bei Unternehmensanleihen. Die zehnjährigen Staatsanleiherenditen sind seit Wochen sehr stabil. Wir erleben in diesem Jahr einen Run auf Gold. Was halten Sie von Gold als Investment?Gold wird von vielen Anlegern wie eine Währung behandelt. Tatsächlich ist Gold aber nicht als Währung nutzbar. Sie können damit nicht einfach einkaufen gehen. Aus meiner Sicht sind die Argumente für Gold daher nicht ganz überzeugend. Derzeit dominiert das Argument, dass es keine Zinsen gibt. Vor einigen Jahren war das vorherrschende Argument, dass Staaten pleitezugehen und Aktien wertlos zu werden drohen. Es gibt kein überzeugendes Argument, das per se für einen weiter steigenden Goldpreis spricht. Wir halten eher einen Anstieg von 1 bis 2 % jährlich im Rahmen der Inflationsentwicklung für angebracht. Gold zählen wir zu den Rohstoffen, mit einer höheren Volatilität. Das Metall wirft keinen Ertrag ab. Nach dem kräftigen Aufschwung des Goldpreises halten wir eine Korrektur für möglich. Das Interview führte Christopher Kalbhenn.