Fußball-WM bewegt Fans und Börsen
Es ist das größte mediale Sportereignis der Welt: Die Fußball-Weltmeisterschaft. Und sie bewegt nicht nur Menschen, sondern auch Volkswirtschaften und Finanzmärkte. Das Gastgeberland einer Fußballweltmeisterschaft profitiert zum einen von Infrastrukturinvestitionen vor der WM. Hinzu kommt ein höherer Bekanntheitsgrad, eine höhere Aufmerksamkeit. Dies ist auch nachhaltig, denn der Tourismus wird nicht nur während der WM angekurbelt, sondern auch darüber hinaus. Es kommt zudem zu immateriellen Vorteilen wie stärkerem nationalen Einheitsgefühl und Selbstvertrauen, wie es während der Fußball-WM 2006 in Deutschland zu beobachten war. Die Kehrseiten eines globalen Sportereignisses sind allerdings nicht von der Hand zu weisen: Bei der letzten WM in Brasilien gab es beispielsweise laut Commerzbank enorme Budgetüberschreitungen. Das Stadion in Brasilia kostete gut 900 Mill. Dollar – geplant waren 300 Mill. Dollar. Zudem spielte es nach dem Turnier kaum noch eine Rolle, da es in der Hauptstadt keine Fußballmannschaft gibt, die populär und erfolgreich genug ist, um das Stadion regelmäßig zu füllen. Auch verschulden sich Gastgeberländer im Zuge der Weltmeisterschaft häufig stark, so dass immer wieder kritisiert wird, ob das Geld nicht hätte sinnvoller eingesetzt werden können. Sinkende UmsätzeDie Weltmeisterschaft beeinflusst nicht nur das Bruttoinlandsprodukts des Gastgeberlandes, sondern naturgemäß auch die Stimmung in den Handelsräumen dieser Welt. Die Europäische Zentralbank (EZB) hat 2010 den Effekt einer Fußballweltmeisterschaft auf die Finanzmärkte beleuchtet. Demnach gingen die Handelsvolumina deutlich zurück, wenn das eigene Land spielte. Während der Fußballweltmeisterschaft 2010 ging zum Beispiel in den europäischen Ländern das Aktienhandelsvolumen um 38 % zurück. Der größte Effekt war aber in Südamerika zu beobachten. In Chile kam der Handel sogar fast vollständig zum Erliegen: Der Rückgang betrug unglaubliche 99,5 %. Im Durchschnitt sank die Zahl der Geschäfte, die während WM-Spielen getätigt wurden, um 45 %. Ein weiterer Rückgang der Handelsaktivitäten um 5 % war zu verzeichnen, wenn ein Tor fiel. Aber nicht nur die Handelsaktivitäten an der Börse leiden während einer Fußball-WM, sondern auch die Renditen (vgl. Grafik). In den Nicht-WM-Jahren seit 1970 stiegen globale Aktien (gemessen am MSCI Welt) von Ende Mai bis Ende Juli durchschnittlich um 1,3 %. In über 60 % der Fälle (22 von 36 Jahren) war die Rendite positiv. Dies sieht in WM-Jahren anders aus: Die Aktienmärkte verloren durchschnittlich 0,2 % an Wert, wobei das Ergebnis durch das Platzen der Technologieblase im Jahr 2002 etwas verzerrt ist. Aber auch nach Herausrechnen dieses Effekts verlief die Aktienmarktentwicklung in den Sommermonaten einer Fußball-WM in der Vergangenheit unterdurchschnittlich. Ein Grund für die tendenziell schwache Aktienmarktperformance während Fußballweltmeisterschaften könnte auch ein Nicht-Fußball-Effekt sein: Fußball-Weltmeisterschaften finden in den Jahren der “US Midterm Elections” statt. Der S & P 500 Index weist wohl wegen der politischen Unsicherheit im Jahresverlauf vor den “Midterm Elections” seit 1950 im Durchschnitt stärkere Korrekturen auf als in anderen Jahren. In den zwölf Monaten nach der Wahl legte der Index dann jedoch im Schnitt stark zu.Eine mit Fußball zusammenhängende Begründung für dieses Phänomen liefert eine wissenschaftliche Veröffentlichung aus dem Jahr 2010. Die Studie untersuchte den US-Aktienmarkt seit 1950, der sich in 14 der 15 vorherigen Weltmeisterschaften unterdurchschnittlich in den Tagen während der Fußball-WM entwickelte.Das mag seltsam erscheinen, da die USA bisher nicht gerade als Fußball-Enthusiasten gelten. Aber bis zum Finale steigt die Zahl der Länder, die eine Niederlage erlitten haben – bis am Schluss nur noch ein Land übrig bleibt. Damit sinkt auch die Laune von immer mehr Investoren von Runde zu Runde und belastet damit den US-Markt – US-Aktien machen in der Regel den größten Block in globalen Aktienportfolios von internationalen Investoren aus. Und schlecht gelaunte, depressive Investoren sind weniger risikofreudig. Zudem sind viele in den USA gelistete Unternehmen ausländisch und teilweise an mehreren Börsen geführt. Diese Marktanomalie verschwand jedoch bei der letzten WM 2014 in Brasilien. Die durchschnittliche Rendite für US-Aktien während der WM-Tage fiel sogar positiv aus. Allerdings wurden im Sommer 2014 die US-Märkte durch Mergers-&-Acquisitions-Aktivitäten und starke Wirtschaftsdaten unterstützt. Einen Hinweis auf die Robustheit der Anomalie wird uns die kommende Fußball-WM geben. Eine im August 2007 im Journal of Finance publizierte Studie über die Weltmeisterschaften zwischen 1974 und 2004 konstatiert, dass eine Niederlage in der Eliminierungsphase dazu führte, dass der nationale Aktienmarkt am nächsten Tag im Schnitt um 0,5 % schlechter als normal abschnitt. So fiel etwa der Dax nach der Halbfinal-Niederlage Deutschlands gegen Italien bei der Heim-WM 2006 am nächsten Tag um 1,8 %. Niederlagen beeinflussen die Stimmung der Investoren – vor allem in fußballbegeisterten Ländern. Ein ähnlicher Eintageseffekt kann auch nach Cricket-, Rugby- und Basketballspielen beobachtet werden.Niederlagen wiegen dabei schwerer als Siege. Grund dafür ist die Verlustaversion. So nennt man die Tendenz, Verluste höher zu gewichten als Gewinne. Beispielsweise ärgert man sich über den Verlust von 1 000 Euro mehr, als man sich über den Gewinn von 1 000 Euro freut. Das Gleiche gilt für die Reaktion der Anleger auf wichtige Fußballspiele. Gastgeber liegt vornGoldman Sachs hat 2014 zudem analysiert, wie sich eine Fußball-WM auf die Aktienmärkte des Gastgeberlands, des Siegers und des unterlegenen Finalisten ausgewirkt hat. Seit 1974 zeigt sich dabei ein klares Muster: Der Aktienindex des Gastgebers und des Gewinners übertraf den Weltmarkt im ersten Monat nach dem Titelgewinn um 3,5 %. Das Outperformance-Muster ist dabei über die Zeit konstant – mit Ausnahme des 2002er Weltmeisters Brasilien, das aber auch unter einer Rezession und Währungskrise litt. Die Outperformance lässt jedoch nach drei Monaten signifikant nach und dreht nach zwölf Monaten sogar ins Negative. Wie ergeht es dem Finanzmarkt des Verliererteams? Nicht nur die Fans, sondern auch der Aktienmarkt des zweitplatzierten Teams scheint zu leiden. In sieben von neun Fällen hat der Aktienmarkt des Verliererteams im ersten Monat nach der Niederlage unterdurchschnittlich abgeschnitten. Über drei Monate vergrößert sich dabei die Underperformance auf durchschnittlich 5,6 %. Eine Fußballweltmeisterschaft bewegt also die Märkte. Allerdings sind die Effekte oft nur von kurzer Dauer und werden häufig von anderen Entwicklungen wie z. B. den Midterm Elections in den USA überlagert. Eine Spekulation darauf ist also eher riskant. Es ist also zu raten, die Fußballweltmeisterschaften zu genießen und sich beim Geldanlegen nicht durch kurzfristige Stimmungen leiten zu lassen. Fußball ist eben die wichtigste unwichtige Sache der Welt, wie Papst Johannes Paul II. bereits festgestellt hat.—-Ulrich UrbahnLeiter Multi Asset Strategy & Research, Berenberg