Rohstoffmärkte

G7-Staaten riskieren neuen Ölpreis­schock

Mit der geplanten Preisobergrenze für russische Ölexporte riskieren die G7-Staaten einen neuen Preisschock am Ölmarkt. Die Brent-Notierung könnte auf 140 Dollar steigen.

G7-Staaten riskieren neuen Ölpreis­schock

Von Dieter Kuckelkorn, Frankfurt

Was die weitere Entwicklung des Ölmarktes betrifft, so könnte es einen weiteren Preisschock geben, der angesichts der bereits jetzt enormen Belastung der weltweiten Konjunktur durch die hohen Öl- und Gaspreise die Situation von gleichzeitig hoher Inflation und tiefer Rezession noch einmal deutlich verschlimmern könnte. Wie die Außenminister der G7-Staaten am Dienstag noch einmal bestätigten, planen sie nach wie vor, weltweit eine Preisobergrenze für russisches Erdöl durchzusetzen: „Wir beabsichtigen weiterhin eine Reihe von Ansätzen zu verfolgen, einschließlich Optionen für ein umfassendes Verbot sämtlicher Dienstleistungen für den seegebundenen Transport von russischem Erdöl und Ölprodukten, außer wenn dieses Öl zu einem Preis oder unter diesem Preis gekauft worden ist, der in Konsultationen mit internationalen Partnern vereinbart worden ist“, heißt es in der Erklärung der G7-Außenmi­nister.

Die Idee zu diesem Vorhaben stammt von der amerikanischen Finanzministerin und früheren Notenbankpräsidentin Janet Yellen. Damit sollen Russland Öleinnahmen verweigert werden, die das Land zur Aufrechterhaltung seiner militärischen Operationen im Rahmen des Ukraine-Kriegs benötige. Zudem soll die wirtschaftliche Situation der russischen Bevölkerung verschlechtert werden, mit der erklärten Hoffnung, dass dies zu einem Regierungswechsel in Moskau führt. Wo diese Preisobergrenze angesetzt wird, ist unklar. Ins Spiel gebracht wurden bereits 70 Dollar je Barrel, aber auch die russischen Produktionskosten für Öl, die zwischen 35 und 45 Dollar je Barrel betragen dürften. Bloomberg berichtete zuletzt von Diskussionen über eine Preisobergrenze zwischen 40 und 60 Dollar. Durchgesetzt werden soll diese Obergrenze vor allem durch Verbote von Transporten zu teuren Öls durch westliche Reedereien und durch das Verbot der Versicherung von Tankschiffen, die teures russisches Öl transportieren. Bislang werden Tanker fast ausschließlich in London versichert, während griechische Reedereien einen großen Anteil an den Transporten haben. Aber zusätzlich dürften Interessenten aus den G7-Ländern und der EU derartige Käufe schlicht verboten werden. Dabei geht es um substanzielle Mengen. Nach Berechnungen von Bloomberg wurden in der Woche per 29. Juli 3,5 Mill. Barrel pro Tag (bpd) an russischem Öl per Schiff transportiert.

Zwei Szenarien

Was die Folgen eines solchen Schrittes betrifft, so sind zwei Szenarien denkbar. Einerseits könnten sich die Maßnahmen als wirkungslos erweisen. Dafür spricht, dass Russland trotz bereits getroffener Boykottmaßnahmen der USA, Großbritanniens und der Europäischen Union keinerlei Probleme hat, Käufer für sein Öl zu finden. Asiatische Kunden stehen Schlange, wozu beiträgt, dass Russland Preisnachlässe anbietet. So haben sich die gesamten Importe Indiens aus Russland im April und Mai im Vorjahresvergleich um den Faktor 3,7 vervielfältigt. Russisches Öl wird in indischen Raffinerien verarbeitet, und die Produkte kaufen dann – trotz aller Boykottrhetorik – vor allem die Länder der Europäischen Union. Es gilt als äußerst unwahrscheinlich, dass sich, wie von den G7-Regierungen angestrebt, Indien und China einer solchen Preisobergrenze anschließen, insbesondere nachdem die USA mit der neuen Taiwan-Krise nach Einschätzung Pekings auf Konfrontationskurs zu China gegangen sind.

Zudem haben beispielsweise die Erfahrungen mit iranischem Öl gezeigt, dass sich die Herkunft des Energieträgers leicht verschleiern lässt, unter anderem durch Mischung mit Öl aus anderen Ländern. So gibt es bereits jetzt im Markt neue Mischungen, die vor dem Ukraine-Krieg nicht angeboten wurden. Und auch Länder wie Russland und China sind in der Lage, Versicherungen für Schiffe zu entwickeln und anzu­bieten.

Verfehlt werden dürfte auch das Ziel, Russland von für den Krieg dringend benötigten Einnahmen abzuschneiden. Wie Daten für den Juni zeigen, steigen die russischen Ex­porteinnahmen trotz der Boykottmaßnahmen. So sind die russischen Einnahmen aus Exporten im Juni im Vergleich zum April um 13% geklettert, trotz eines Rückgangs der Ölverkäufe um 7%. Russland erzielt jeden Monat mittlerweile mehr als 20 Mrd. Dollar an Einnahmen aus Exporten. Demgegenüber wurde geschätzt, dass Russland der Krieg anfangs rund 4 Mrd. Dollar pro Monat kostete – ein Betrag, der mit der erfolgten deutlichen Reduzierung der Anzahl der russischen Truppen in der Ukraine mittlerweile stark gesunken sein dürfte.

Knappheit verschärft sich

Sollten sich gemäß dem anderen Szenario die Maßnahmen jedoch wider Erwarten als wirkungsvoll er­weisen, würden dem bereits jetzt unter Knappheit leidenden Ölmarkt weitere Mengen entzogen, und zwar bis zu den genannten 3,5 Mill. bpd. Bereits im Frühjahr haben die Ölanalysten von J.P. Morgan für den Fall eines kompletten Ausfalls russischen Öls ein Preisniveau von 187 Dollar je Barrel vorausgesagt – also gegenüber dem aktuellen Niveau fast eine Verdoppelung. Die russische Notenbankchefin Elvira Nabiullina stellte kürzlich klar, dass Russland nicht an Kunden verkaufen werde, für die eine solche Preisobergrenze gilt. Das Land verfügt mittlerweile über hohe finanzielle Reserven, so dass Russland eine solche Eskalation des Wirtschaftskriegs höchstwahrscheinlich länger durchhalten kann als die westlichen Ölkonsumenten.

Dabei geht es aber nicht nur um die schlichte Arithmetik der Ölmengen, weil der Ölmarkt komplex ist. So produziert Russland hauptsächlich Öl mit mittlerem Schweregrad. Dieses Öl wird vornehmlich für die Herstellung von Dieselkraftstoff und Heizöl verwendet. Es gibt bereits jetzt eine weltweite Knappheit an Dieselkraftstoff, die sich verschärfen und die weltweite Logistik- und Beschaffungskrise erheblich verschlimmern würde – mit der Folge einer Vertiefung der Rezession und eines weiteren Anheizens der In­flation.

Brent-Preis bei 140 Dollar?

In der Realität würde es bei Einführung einer Preisobergrenze wohl auf eine Situation hinauslaufen, deren Auswirkungen zwischen den beiden skizzierten Szenarien liegen. So rechnet das auf den Energiesektor spezialisierte Institute for the Analysis of Global Security damit, dass die Einführung einer Preisobergrenze durch die G7-Staaten den Ölpreis auf 140 Dollar erhöhen wird.

Dieser Preisanstieg dürfte mit Blick auf die Einnahmen des russischen Staates einen gewissen Rückgang der Ölexporte mindestens kompensieren, vermutlich sogar überkompensieren, so wie dies im Rahmen des Ukraine-Kriegs sowohl bei Erdgas als auch bei Rohöl bereits geschehen ist. Den westlichen Industrieländern und insbesondere den Entwicklungsländern droht hingegen in diesem Fall eine weitere erhebliche Verschärfung ihrer Wirtschaftskrisen.

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