IM INTERVIEW: STUART REEVE, BLACKROCK

Gegenwind für den Aktienmarkt

Leiter des Londoner Global-Equity-Teams: Es drohen viele Jahre mit niedrigem Wachstum

Gegenwind für den Aktienmarkt

Das konjunkturelle Umfeld für den Aktienmarkt ist alles andere als rosig. Im Interview der Börsen-Zeitung erläutert Stuart Reeve, Leiter des Londoner Global-Equity-Teams von BlackRock und Co-Fondsmanager des BGF Global Equity Income Fund, warum das seiner Meinung auch noch länger so bleiben wird.- Herr Reeve, wie stellt sich derzeit das globale Umfeld für Aktieninvestments dar?Nun, es gibt bei Marktbeobachtern derzeit große Unsicherheit hinsichtlich des Umfelds. Ich bin jedoch der Ansicht, dass sich in den vergangenen sechs Jahren wenig verändert hat. Wir leben derzeit in einer Welt, die durch niedriges Wachstum gekennzeichnet ist. Dies ist eine Aussage, die sicherlich noch für eine längere Zeit gelten wird. Wenn man nämlich ähnliche Zeitspannen in der Vergangenheit betrachtet, fällt auf, dass auf durch hohe Verschuldung ausgelöste Krisen in der Regel eine Phase schwachen Wachstums folgte, die im Durchschnitt etwa 25 Jahre dauerte. Daher ist es meiner Meinung nach unwahrscheinlich, dass wir bald wieder Zeiten mit starkem Wachstum sehen. Hinzu kommt, dass bestimmte Faktoren, die in den 1980er und 1990er Jahren der Konjunktur Rückenwind verschafft haben, weggefallen sind. Einer dieser Faktoren ist der Schuldenaufbau. Ein anderer und noch wichtigerer Faktor ist die Demografie. In weiten Teilen der entwickelten Welt nimmt der Anteil der arbeitenden Bevölkerung ab, was zu konjunkturellem Gegenwind führt, zumal ein dies kompensierendes Produktivitätswachstum kaum noch stattfindet. Ein dritter konjunkturstützender Faktor, den es in den vergangenen zehn bis zwanzig Jahren gegeben hat, war der massive Aufbau der Infrastruktur in China.- … der der Weltwirtschaft durch die Finanzkrise geholfen hat.Ja, genau. China hat seine stimulierenden Maßnahmen in jener Zeit nochmals hochgefahren und damit wohl entscheidend dazu beigetragen, dass die kurzfristigen realwirtschaftlichen Auswirkungen der Finanzkrise begrenzt blieben. Diese hohe Wachstumsrate der chinesischen Investitionen reduziert sich aber nun.- Es gibt am Aktienmarkt deutliche Ausschläge nach oben oder unten, je nachdem wie Daten ausfallen, die Rückschlüsse auf die Konjunkturlage ermöglichen.In einem Umfeld mit geringen Wachstumsraten und niedrigen Zinsen fühlen sich kleine Veränderungen mitunter größer an, als sie es wirklich sind. Eine Leitzinsanhebung von 0 % auf 0,25 % erscheint bereits als ein großer Schritt. Eine Leitzinsanpassung beispielsweise von 4 % auf 4,25 % würde man vermutlich weniger stark wahrnehmen. Es kommt als Reaktion auf diese kleinen Schritte zu großen Veränderungen der Erwartungen der Marktteilnehmer, und das wiederum führt zu einer erhöhten Volatilität.- Wie würden Sie das aktuelle Marktsentiment für Aktien einschätzen?Das Marktsentiment ist derzeit relativ pessimistisch. So etwas ist normalerweise ein positives Zeichen für die Aktienmärkte. Wir sehen darin insofern einen stützenden Faktor für die Märkte.- Wie stellt sich aus Ihrer Sicht das Bewertungsniveau an den Aktienmärkten dar?In den entwickelten Ländern ist das Bewertungsniveau ein wenig höher als im langfristigen Durchschnitt, aber nicht viel. In den Emerging Markets liegen die Bewertungen etwas unter dem langfristigen Durchschnitt. Aber auch dort gibt es keine extremen Ausschläge.- Wie beurteilen Sie das konjunkturelle Umfeld?Die konjunkturellen Indikatoren senden derzeit sehr gemischte Signale aus. Die Frühindikatoren sehen etwas schlechter aus. Auf der anderen Seite heben Analysten ihre Schätzungen hinsichtlich der Ertragslage der Unternehmen erstmals seit längerer Zeit wieder an. Dazu mögen Verschiebungen der Währungskurse sowie andere kurzfristige Effekte beitragen, aber das lässt sich derzeit noch nicht vollständig beurteilen. Grundsätzlich ist es in den vergangenen fünf bis sechs Jahren immer ein “Sweet Spot” für Märkte gewesen, wenn ein gewisses – wenn auch nicht besonders hohes – Konjunkturwachstum existierte und die Notenbanken die Zügel nicht stärker anzogen. Derzeit sieht es nicht nach einer Rezession aus. Damit ist es kurzfristig das größte Risiko für die Aktienmärkte, ob die Notenbanken – vor allem die Fed – die Zügel anziehen, wobei ein einzelner Zinsschritte der Fed aber wahrscheinlich nur geringe Auswirkungen hätte. Außerdem gilt: Seit der Finanzkrise war es bislang so, dass fast jede Notenbank, die die Zinsen erhöht hat, diesen Schritt bald darauf wieder rückgängig gemacht hat. Übrigens hat, soweit ich weiß, die Fed auch niemals in einem Wahljahr die Zinsen erhöht. Sollte es dennoch zu einem Zinsschritt der amerikanischen Notenbank kommen, wird die Volatilität an den Märkten sicherlich zunehmen. Weitere Auswirkungen dürfte es allerdings kaum geben.- Wird das Zinsumfeld für den Aktienmarkt auch auf längere Sicht so positiv bleiben wie bisher?Wir gehen davon aus, dass sich an der gegenwärtigen Situation wenig ändern wird. Allerdings muss man sich fragen, ob das Zinsumfeld derzeit wirklich so positiv für den Aktienmarkt ist. Die meisten Beobachter sehen sich die Renditen von Staatsanleihen an, die wirklich extrem niedrig sind. Etwas anders sieht die Situation aber bei den Corporate Bonds aus. So bieten Anleihen von Emittenten mit einem “BBB”-Rating derzeit Renditen von etwa 3 bis 4 %. Im historischen Vergleich erscheint dies zwar als niedrig. Berücksichtigt man aber, dass das Wirtschaftswachstum ungefähr 2 % beträgt und die Inflation 1 %, so liegt das, was man als den natürlichen Zinssatz bezeichnen könnte – also Wirtschaftswachstum zuzüglich Inflationsrate – bei 3 %. Somit sind die Zinsen also gar nicht so niedrig. Dennoch handelt es sich um ein Umfeld, von dem Aktien zu einem gewissen Grad profitieren – insbesondere wenn man bedenkt, dass die Dividendenrenditen in den vergangenen Jahren weiter gestiegen sind. Aktien sind also attraktiver als viele andere Investments. Allerdings sollte man sich stets fragen, wie nachhaltig die hohen Dividendenrenditen sind, da es auch Unternehmen gibt, die Ausschüttungen aus der Substanz zahlen.- In welchen Sektoren des Aktienmarktes sehen Sie attraktive Anlagemöglichkeiten?Es kommt sicherlich darauf an, was man als Investor erreichen möchte. Mein Fokus liegt darauf, mit dem Portfolio eine Dividendenrendite zu erzielen, die bei etwa 3,5 % liegt. Zudem soll diese Dividendenrendite im Zeitverlauf stabil und nachhaltig sein. Wir suchen also nach Unternehmen, die auch in Zeiten schwachen Wirtschaftswachstums ein expandierendes Geschäftsmodell aufweisen. Daher investieren wir eher in defensive und weniger zyklische Sektoren.- Wo werden Sie da konkret fündig?Zu unseren Anlagen zählen beispielsweise einige international tätige Konzerne aus dem Bereich des persönlichen Konsums, insbesondere Tabak und Getränke. Einige Teile des Gesundheitssektors sind ebenfalls interessant. Trotz der laufenden Diskussion vor allem in den USA über Arzneimittelpreise sind einige Pharmakonzerne, die zudem relativ viel Forschung und Entwicklung betreiben, vernünftig bewertet. Auch im Bereich der Industrie gibt es Unternehmen, deren Geschäftsmodell nachhaltig ist. Das sind beispielsweise Unternehmen, die einen großenteils ihrer Umsätze mit Dienstleistungen im Anschluss an den Verkauf eines Produktes erzielen. Ich denke beispielsweise an den Aufzughersteller Kone. Auch im Technologiesektor, in dem wir normalerweise nicht sehr stark vertreten sind, gibt es Unternehmen mit für uns interessanten Geschäftsmodellen. Zurückhaltend sind wir dagegen bei Investmentbanken, Versicherern und Versorgern. In diesen Bereichen gibt es zwar attraktive Dividendenrenditen, aber es fehlen Geschäftsmodelle, die auf Wachstum ausgerichtet sind.- Was halten Sie von Immobilienaktien?Wir haben auch keinerlei Investments in Immobilienwerten. Immobilienunternehmen arbeiten oft mit operativem und finanziellem Leverage. Das macht es ausgesprochen schwierig, die zukünftige Entwicklung zuverlässig vorauszusehen. Uns kommt es aber darauf an, positive Renditen in einer ganzen Reihe möglicher Szenarien zu erzielen.- Wie sehen Ihre aktuellen regionalen Präferenzen aus?Die Signale, die die Bewertungsniveaus in den einzelnen wichtigen Anlageregionen aussenden, sind nicht so unterschiedlich, als dass man daraus mit unserem Investmentansatz eine Über- oder Untergewichtung einzelner Regionen begründen könnte. Grundsätzlich investieren wir bevorzugt in multinational aufgestellte Konzerne, deren Geschäft von dem Land, in dem sie notiert sind, nur wenig abhängt. Denn was beispielsweise die Emerging Markets betrifft, so wollen wir schon am Wachstum des Konsums in diesen Ländern teilhaben. Dies tun wir aber über Aktien von Konzernen aus den entwickelten Ländern, die stark in den Schwellenländern engagiert sind. Wir sprechen dabei von Konzernen wie Unilever und Nestlé.- Was sind derzeit große Positionen in Ihrem Portfolio?Wir finden Unternehmen wie AstraZeneca und British American Tobacco attraktiv. Wir finden auch International Paper zunehmend interessant, weil sich die Situation in der Papier- und Verpackungsindustrie verbessert hat. Eine Position in unserem Portfolio ist auch Givaudan. An deutschen Aktien haben wir Deutsche Post im Portfolio.- Wie würden Sie Ihren Investmentansatz beschreiben. Handelt es sich um einen Top-down- oder um einen Bottom-up-Ansatz?Es handelt sich fast ausschließlich um einen Bottom-up-Ansatz. Es gibt im Wesentlichen drei Inputs in diesem Prozess. Wir sehen uns erstens an, ob es sich im Sinne der bereits dargestellten Kriterien um ein gutes Unternehmen handelt. Es geht dabei darum, ob das Unternehmen intern genügend Cash-flow generiert, um sein Wachstum zu finanzieren und um eine Dividende zu zahlen. Da wir davon ausgehen, dass wir die Aktie über einen längeren Zeitraum von meist drei bis fünf Jahren halten, sehen wir uns zweitens die längerfristigen Perspektiven an. Drittens vermeiden wir es, mit unserem Portfolio Indizes abzubilden, da Marktbarometer nicht dafür geeignet sind, die von uns gewünschten Ergebnisse zu erzielen. Wir müssen uns daher schon die Unternehmen einzeln ansehen. Allerdings kontrollieren wir unser Investment-Portfolio auch aus einer Top-down-Perspektive. Wir überprüfen, ob unser Portfolio regional und in Bezug auf die einzelnen Branchen hinreichend diversifiziert ist. Dies ist praktisch eine weitere Ebene, die wir in unseren Investmentprozess einziehen.- Welche Arten von Investoren werden von Ihrem Investmentmodell angesprochen?Auf jeden Fall längerfristig orientierte Anleger. Wir haben Investoren sowohl aus dem Retail-Bereich als auch Institutionelle. Dabei handelt es sich bei Letzteren vielfach um Pensionsfonds und Versicherer. Unsere Kunden sind aber auf keinen Fall Investoren, die erwarten, schnell reich zu werden. Unser Investmentansatz ist übrigens auch für Privatanleger interessant, die kurz vor der Pensionierung stehen, die also kein allzu hohes Risiko eingehen wollen. Ältere Privatanleger können mit einem derartigen Produkt, das eine über dem Marktniveau liegende Rendite bei einer Absicherung nach unten hin bietet, das Problem lösen, dass die Anleihezinsen so niedrig sind.—-Das Interview führte Dieter Kuckelkorn.