IM INTERVIEW: MARTIN LÜCK, BLACKROCK

"Geldpolitik bleibt akkommodierend"

Chefstratege: 2020 wird es keine KGV-getriebenen Kurssteigerungen an den Aktienmärkten mehr geben

"Geldpolitik bleibt akkommodierend"

Die Entspannung im Handelskonflikt ist für Martin Lück ein gutes Signal für die Aussichten der Aktienmärkte im kommenden Jahr. Allerdings erwartet der Chief Investment Strategist für Deutschland, Schweiz, Österreich und Osteuropa von BlackRock weniger starke Kursgewinne als im auslaufenden Jahr. Herr Lück, 2019 hat sich das globale Wachstum weiter verlangsamt. Womit rechnen Sie für das kommende Jahr?Wir gehen von einer Stabilisierung des Wachstums aus, aber auf niedrigem Niveau. Bislang hatten wir eine moderate Verlangsamung, durch das Absinken der Aktivitäten in der Industrie. Doch das sollte sich stabilisieren, nicht zuletzt weil die Vereinbarung eines Phase-1-Abkommens ein klares Zeichen dafür ist, dass es zu keiner Eskalation im Handelskonflikt zwischen den USA und China kommen wird. Sie gehen also davon aus, dass sich der Konflikt zwischen den USA und China damit nun definitiv entspannen wird?Die Vereinbarung zeigt deutlich, dass beide Seiten definitiv an einer Einigung interessiert sind. Wir gehen in den USA auf ein Wahljahr zu, und Trump möchte sich als “Dealmaker” präsentieren. Die Chinesen wiederum haben derzeit ein – gemessen an den eigenen Wünschen – zu geringes Wachstum. Ihre Möglichkeiten, mit geld- und fiskalpolitischen Mitteln zu stimulieren, werden geringer. Mittlerweile kommen in China 60 % des Wachstums aus dem Privatsektor. Daher besteht auch das Interesse, alle anderen Instrumente zu ergreifen, um die Wirtschaft zu stimulieren, und somit auch an einem Deal. Also darf die deutsche Wirtschaft darauf hoffen, dass sie bald aufatmen kann?Die negativen Auswirkungen des Konflikts auf der Außenhandelsseite für Volkswirtschaften wie Deutschland werden bald abebben. Die negative Nachricht ist jedoch: Wir werden keine starke Erholung sehen. Für Deutschland halten wir ein Wachstum in einer Größenordnung zwischen 0,5 % und 1 % für möglich. Das liegt knapp unter dem Wachstumspotenzial, bedeutet aber eben, dass es kein weiteres Abrutschen in die Rezession geben wird. Was erwarten Sie auf der geldpolitischen beziehungsweise von der Zinsseite?Die Zinsen und die Zentralbanken sind in den zurückliegenden Jahren das eigentlich Entscheidende an den Finanzmärkten gewesen, wichtiger als die Handelskonflikte. 2018 sorgte die Fed für Schwäche, weil die Investoren Angst hatten, dass das Umfeld niedriger Zinsen in Frage gestellt wird. Immer wenn die Angst umgeht, dass die Zentralbanken stärker anziehen könnten, steigt die Volatilität und kommt es zu einem Abverkauf. Den Marktteilnehmern wurde der Zentralbank-Put vom Tisch genommen. 2019 wiederum ist gut gelaufen, weil die Zentralbanken den Schalter wieder umgelegt und dem Markt signalisiert haben: “Hier ist der Zentralbank-Put zurück auf dem Tisch.” 2020 bleibt die Geldpolitik akkommodierend. Die Fed wird sich nicht mit Zinserhöhungen gegen Trump stellen. Sie senkt ihren Leitzins eventuell noch einmal, aber nicht fundamental, sondern politisch motiviert. Auch von der EZB ist keine Zinserhöhung zu erwarten. Sie wird vielleicht noch einmal senken oder noch bei den Anleihekäufen nachlegen. Wie schätzen Sie die Aussichten der Aktienmärkte ein?Wenn es wie von uns erwartet zu keiner Rezession kommt und eine Eskalation der politischen Konflikte ausbleibt, dann steht ein gutes Jahr für Aktien bevor. Allerdings wird es nicht so gut wie das auslaufende Jahr. Dafür ist das Wirtschaftswachstum zu niedrig und das Wachstum der Unternehmensgewinne ebenfalls. Unserer Einschätzung nach wird sich die Entwicklung der Aktienkurse wieder stärker am Wachstum der Unternehmensgewinne orientieren. Die Kurs-Gewinn-Verhältnisse sind 2019 gestiegen, weil die Investoren auf die Zinsentwicklung und die Entspannung geopolitischer Risiken reagiert haben. Im langfristigen Vergleich sind die Kurs-Gewinn-Verhältnisse jetzt im teuren Bereich. In welchen Größenordnungen bewegen sich die Ihrer Einschätzung nach erwartbaren Kursgewinne?Es wird 2020 keine KGV-getriebenen Kurssteigerungen wie im laufenden Jahr mehr geben. Vorstellbar scheinen uns für die amerikanischen Aktienindizes Gewinne im niedrigen zweistelligen Prozentbereich. In Europa halten wir Gewinne im mittleren einstelligen Prozentbereich für wahrscheinlich, entsprechend eben dem, was auf der Gewinnwachstumsseite erwartet werden kann. Wie sehen im derzeitigen Umfeld extrem niedriger Zinsen Ihrer Einschätzung nach die Aussichten der Anleihemärkte aus?An den Anleihemärkten kommt es nach unserer Meinung auf zwei Fragestellungen an. Wie hoch ist die Wahrscheinlichkeit von Zinsveränderungen in den USA und Europa? Wo bestehen größere Chancen auf einen Zinsrutsch nach unten? Denn dort werden die Anleihekurse am deutlichsten steigen. Zweitens ist zu fragen, ob eine Zinsanhebung eventuell ohne Einfluss auf das lange Ende der Zinskurve bleiben könnte, das heißt, ob stattdessen die Zinskurve steiler wird. Nach unserer Auffassung besteht in den Vereinigten Staaten etwas mehr Spielraum für sinkende Zinsen, während das Zinsniveau in Europa bereits sehr niedrig ist. Viele erwarten, dass die laufende Verzinsung zehnjähriger Bundesanleihen bei einer makroökonomischen Stabilisierung Richtung 0 % steigen wird. Die Wahrscheinlichkeit steigender Renditen ist damit im Euroraum wohl höher. Allerdings wird das lange Laufzeitenende auch stark von der Risikowahrnehmung beeinflusst. Was erwarten Sie für den Euro-Dollar-Wechselkurs?Der Wechselkurs hängt von drei Faktoren ab. Neben der Zinspolitik und den Wachstumsunterschieden zählt dazu die Risikowahrnehmung. Derzeit ist der Markt Risk-on. Makroökonomische Stabilisierung und abnehmende geopolitische Risiken sprechen für den Euro. Wenn die Investoren risikoavers werden, werden sie sich eher im Dollar positionieren. Das Interview führte Christopher Kalbhenn.