LEITARTIKEL

Geldpolitischer Gegenwind

Nach einer sehr langen Phase der Underperformance erleben die Aktienmärkte der Schwellenländer ein bemerkenswertes Comeback. Gemessen an ihrem Sammelindex MSCI Emerging Markets, der in dieser Woche auf den höchsten Stand seit dem August 2011...

Geldpolitischer Gegenwind

Nach einer sehr langen Phase der Underperformance erleben die Aktienmärkte der Schwellenländer ein bemerkenswertes Comeback. Gemessen an ihrem Sammelindex MSCI Emerging Markets, der in dieser Woche auf den höchsten Stand seit dem August 2011 gestiegen ist, haben sie seit dem Jahresbeginn um mehr als 30 % zugelegt. Damit haben sie die Aktienmärkte der entwickelten Volkswirtschaften – der MSCI World ist um rund 16 % gestiegen – deutlich hinter sich gelassen. Diese Entwicklung geht mit sehr hohen Mittelzuflüssen einher. So sind den auf Schwellenländern fokussierten Aktienfonds laut dem Datendienstleister EPFR Global in diesem Jahr bislang per Saldo 55 Mrd. Dollar zugeflossen. Das liegt nur 5 % unter dem Rekord, der im Jahr 2010 aufgestellt wurde.Nicht minder bemerkenswert ist, dass die Schwellenländer-Hausse in einem Umfeld geschieht, in dem sich der geldpolitische Wind in den Industrienationen gedreht hat. Die amerikanische Zentralbank Fed hat einen Leitzinserhöhungszyklus gestartet und beginnt nun auch mit der Reduktion ihrer Anleihebestände. Zur Erinnerung: Im Jahr 2013 reichte allein die Ankündigung des damaligen Fed Chairman Ben Bernanke, das Volumen der Anleihekäufe zu reduzieren, aus, die Finanzmärkte der Schwellenländer ins Schlingern zu bringen – zu einem Zeitpunkt also, als die Geldpolitik in den Vereinigten Staaten real noch gar nicht restriktiver geworden war. Während der MSCI World von Ende 2012 bis Ende 2016 um 31 % zulegte und Rekordhöhen erklomm, verlor der MSCI Emerging Markets 18,5 %.Unerklärlich ist der Aufschwung der Schwellenländeraktienmärkte indes nicht. Durch ihre deutliche Underperformance hatte sich ein immer größerer Bewertungsrückstand zu den Industrieländern aufgebaut, so dass früher oder später ein Nachzieheffekt einsetzen musste, zumal die langfristigen Aussichten für das Wachstum von Wirtschaft und Unternehmensgewinnen in den Emerging Markets deutlich besser aussehen als in den entwickelten Volkswirtschaften. Zudem stellen sich die fundamentalen Rahmenbedingungen der Emerging Markets heute wesentlich besser dar als damals. Im Jahr 2013 befanden sich die Schwellenländer bereits in einer Phase der Wachstumsverlangsamung. Lag das BIP-Wachstum 2012 noch bei 5,4 %, erreichte es in den Jahren 2015 und 2016 nur noch jeweils 4,3 %. In diesem und im nächsten Jahr steigt das Wachstum laut dem World Economic Outlook auf 4,6 % und 4,9 %.Eine entscheidende Rolle spielen nicht zuletzt die Rohstoffmärkte, da viele Schwellenländer stark von Rohstoffexporten abhängig sind. Nachdem der Rohstoff-Superzyklus im Jahr 2011 ausgelaufen war, folgte 2014 ein schwerer Preiseinbruch. Gemessen am CRB-Index sackten die Preise von Juni 2014 bis zum Januar 2016 um bis zu 40 % ab, getrieben insbesondere von den Ölpreisen. Mittlerweile erleben aber auch die Rohstoffmärkte ein Comeback. In dieser Woche erreichte der CRB-Index das höchste Niveau seit dem Juni 2015, womit er seit dem Tief von Januar 2016 um 42 % zugelegt hat. Hinzu kommt, dass sich – nicht durchgängig, aber insgesamt gesehen – in den zurückliegenden Jahren auch die politischen Rahmenbedingungen in den Schwellenländern verbessert haben, beispielsweise durch Wahlsiege reformfreudigerer und marktfreundlicherer Parteien in wichtigen Ländern wie etwa Indien oder Indonesien.Trotz alldem werden die Schwellenländer aber den immer stärkeren geldpolitischen Gegenwind aus den entwickelten Volkswirtschaften zu spüren bekommen. Die Fed wird im Dezember nochmals an der Zinsschraube drehen und prognostiziert für das kommende Jahr drei weitere Anhebungen. Somit wird sich der amerikanische Leitzins – wenn man die von führenden US-Notenbankern beharrlich vorgetragenen Zinserhöhungsabsichten halbwegs ernst nimmt – in den kommenden zwölf Monaten voraussichtlich um 100 Basispunkte erhöhen. Damit werden die Zinsen beziehungsweise Anleiherenditen zwar kein Niveau erreichen, das als dramatisch hoch zu bezeichnen wäre. Ohne Folgen für die globalen Kapitalströme wird das aber kaum bleiben können.Die Schwellenländer sind in einer wesentlich besseren Verfassung und Lage als im Jahr 2013. Das wird ihnen helfen, den geldpolitischen Gegenwind aus den Industrienationen zu verkraften. Ob sie allerdings weiterhin in einem Ausmaß in den Genuss von Kapitalzuströmen kommen werden wie im laufenden Jahr, scheint mehr als fraglich zu sein.——–Von Christopher KalbhennDie Schwellenländer werden den immer stärkeren geldpolitischen Gegenwind aus den entwickelten Volkswirtschaften zu spüren bekommen.——-