DEVISENWOCHE

Geldpolitisches Valium für Märkte auch 2020

Von Sonja Marten *) Börsen-Zeitung, 12.11.2019 Vor zwei Jahren schien sich nach einer langen Durststrecke endlich der geldpolitische Wandel anzubahnen. Eine Kombination aus robustem Wachstum und anhaltend niedriger Inflation sollte, so die damals...

Geldpolitisches Valium für Märkte auch 2020

Von Sonja Marten *)Vor zwei Jahren schien sich nach einer langen Durststrecke endlich der geldpolitische Wandel anzubahnen. Eine Kombination aus robustem Wachstum und anhaltend niedriger Inflation sollte, so die damals weit verbreitete Annahme, das perfekte Umfeld für eine langsame Rückführung expansiver Maßnahmen bereiten. Während das positive Konjunkturumfeld, das unter anderem von dem vorherrschenden positiven Rückenwind aus dem Jahr 2017 profitierte, eine fortschreitende Normalisierung der Geldpolitik mehr als zu rechtfertigen schien, verhinderte die nur moderate Inflation den Aufbau von übermäßigem Handlungsdruck. Nur die Fed reduziertDie Vorfreude hielt jedoch nicht lange an. Enttäuschende Konjunkturdaten und schwächer als erwartet ausfallende Inflationszahlen führten zunächst dazu, dass aggressivere Zinserhöhungserwartungen und Hoffnungen auf eine aktive Bilanzreduzierung unter den großen Zentralbanken ausgepreist wurden. Letztendlich war in den Jahren 2017 bis 2018 nur die amerikanische Zentralbank Fed gewillt, sich mit echter Entschlossenheit aus der Reserve zu wagen: Als einzige G10-Notenbank agierte sie, bevor das inländische Inflationsziel erreicht war. Die meisten anderen Zentralbanken blieben hingegen im expansiven Modus der vorhergegangenen Jahre gefangen. Neue expansive Maßnahmen Im Jahr 2019 folgte dann die nächste Ernüchterung: Nicht nur war eine geldpolitische Normalisierung in scheinbar weite Ferne gerückt, eine wachsende Anzahl von Zentralbanken sah sich genötigt, neue expansive Maßnahmen auf den Weg zu bringen oder diese zumindest perspektivisch in Aussicht zu stellen.Die Weichen für das Jahr 2020 sind somit gestellt. Sowohl die Zentralbanken im G10- als auch in unserem Schwellenländeruniversum werden im kommenden Jahr insgesamt weiterhin expansiv agieren. Der durchschnittliche Leitzins wird unseren Erwartungen zufolge erneut um 15 bzw. 35 Basispunkte fallen. Der leichte Anstieg, der sich Ende 2018/Anfang 2019 abgezeichnet hatte, ist damit wieder hinfällig. Eine ähnliche Entwicklung dürften die Bilanzsummen durchlaufen. Die aggregierte Bilanzsumme der größten G10-Zentralbanken (Fed, EZB, Bank of England, Bank of Japan, SNB und Riksbank), die Mitte 2018 ihren vorläufigen Höchststand erreicht und in den folgenden zwölf Monaten leichtgefallen war, weist nun erneut eine steigende Tendenz auf. Unseren Schätzungen zufolge wird sie bis Ende 2020 um 3,5 % ansteigen. Diese Wachstumsrate liegt zwar deutlich unter den Raten, die wir zum Teil in den Jahren 2015/2016 beobachten konnten, lässt jedoch keinen Zweifel daran, dass die Marschrichtung nun erneut expansiv ist. Zentralbanken im DilemmaDabei befinden sich viele Zentralbanken in einem Dilemma: Die verpasste Chance auf eine, zumindest im Ansatz begonnene, geldpolitische Normalisierung bedeutet, dass ihre Geldpolitik sich auch weiterhin “am Anschlag” befindet. Ihre Handlungsmöglichkeiten sind daher begrenzt bzw. in ihrer Effektivität limitiert. Gleichzeitig wächst der Druck zu handeln: Das globale konjunkturelle Bild hat sich im Verlauf des Jahres deutlich eingetrübt. Angesichts der Tatsache, dass die klassischen, traditionellen Maßnahmen bereits voll oder zumindest fast ausgeschöpft sind, bleibt Zentralbanken oft nur noch die Möglichkeit, nach alternativen geldpolitischen Instrumenten zu suchen. BoJ-Politik immer extremer Das Paradebeispiel hierfür ist die Bank of Japan (BoJ), deren verzweifelte Versuche eine zumindest halbwegs stabile Preisdynamik zu generieren, in den vergangenen Jahren immer extremere Züge angenommen haben. Der aktuelle Policy-Mix nennt sich QQE mit YCC (Quantitative and Qualitative Monetary Easing with Yield Curve Control) und ist eine Mischung aus Wertpapierankaufprogramm (Staatsanleihen, ETFs, J-Reits), Negativzinsen in der Policy Rate, einem Nullzinsversprechen für zehnjährige JGBs und der Steuerung der Zinskurve. All dies reicht jedoch weiterhin nicht aus: Die Inflationsrate verbleibt auf frustrierend niedrigen Niveaus. Eine erneute Ausweitung der Geldpolitik dürfte damit unvermeidbar sein. (Noch) Halbwegs traditionell unterwegs sind derzeit die Fed und die Europäische Zentralbank (EZB). Erstere beschränkt sich derzeit auf Zinssenkungen (wenngleich die Aufnahme von T-Bill-Käufen im Umfang von 60 Mrd. Dollar pro Monat zumindest die Frage aufwirft, ob hier nicht ein QE-Programm “durch die Hintertür” aufgenommen wird). Aggressivere Schritte möglich Die EZB hat im Herbst ihr QE- Programm wiederbelebt und wird ihre Bilanz im kommenden Jahr um 20 Mrd. Euro pro Monat ausweiten. Wir hegen jedoch keine Zweifel daran, dass im Falle einer erneuten konjunkturellen Enttäuschung, die die Eurozone schnell an den Rand einer echten Rezession bringen könnte, aggressivere Maßnahmen der Notenbank die Folge wären. Auch die Bank of England könnte sich im kommenden Jahr neuen geldpolitischen Herausforderungen gegenübersehen, je nachdem, wie das andauernde Brexit-Drama nun ausgeht bzw. wie gravierend die konjunkturellen Folgeschäden sind.Das Jahr 2020 wird also, ähnlich wie das Jahr 2019, von einer expansiven Geldpolitik auf globaler Ebene geprägt sein. Unter den knapp 20 Zentralbanken, die wir betrachten, finden sich nur zwei, denen wir überhaupt restriktive Schritte zutrauen: der Riksbank, die ihren Leitzins im Dezember 2019 auf 0 % anheben dürfte, und der Zentralbank der Türkei, deren Leitzins Ende 2020 erneut auf 13 % angehoben werden dürfte. Alternativen Anderenorts dominieren expansive Grundtöne, die sich, zumindest bei den Zentralbanken mit dementsprechendem Spielraum, in Zinssenkungen niederschlagen dürften. Zentralbanken, die diese Spielräume bereits ausgereizt haben, werden im Notfall zu alternativen Maßnahmen greifen müssen. Auf der Zinsseite könnten auf breiterer Front Versuche gestartet werden, mithilfe von Tiering neue Manövriermasse zu gewinnen. Doch auch eine breitere Wiederaufnahme von aktiven QE-Programmen wollen wir nicht ausschließen, insbesondere, wenn das globale Wachstum hinter die Erwartungen zurückfallen sollte.Eine eindeutige Abkehr von der globalen ultraexpansiven Geldpolitik der vergangenen Jahre ist somit auf absehbare Zeit nicht wahrscheinlich. Aus Sicht der Finanzmärkte bedeutet dies nicht nur, dass sich Akteure auch weiterhin in einem extremen Niedrigzinsumfeld zurechtfinden müssen, sondern auch eine anhaltend großzügige Versorgung mit dem geldpolitischen Valium erwarten dürfen, welches die Märkte in den vergangenen Jahren Krisen gegenüber fast immun gemacht hat. *) Sonja Marten ist Leiterin Devisenresearch der DZ Bank.