IM GESPRÄCH: DIRK SCHUMACHER UND SEBASTIAN RÖMER, NATIXIS

"Gewaltiger Strukturwandel"

Strategen des Assetmanagers über die Folgen der Pandemie und die Enttäuschung beim Value-Ansatz

"Gewaltiger Strukturwandel"

Von Wolf Brandes, FrankfurtWenn schon auf der Bühne in Corona-Zeiten kaum mehr Ballett zu sehen ist, so versuchen doch andere Akteure die richtigen Schrittfolgen hinzukriegen. “Das Zusammenspiel von Geldpolitik und Fiskalpolitik in der Krise kann man als Pas de deux bezeichnen. Regierungen und Zentralbanken haben bislang ein fehlerfreies Duett hingelegt”, sagt Dirk Schumacher mit Anerkennung der Performance. Schumacher ist Europa-Volkswirt von Natixis. Die Investmentbank der französischen Sparkassen und Genossenschaftsbanken ist eine der größten Bankengruppen des Landes. Reibungslos expansivDie Akteure seien bei Geld- und Fiskalpolitik sehr reibungslos und sehr schnell expansiv geworden. Weniger schön anzusehen ist für den Ex-Goldman-Banker die Entwicklung in der Realwirtschaft. Nur weil Konjunkturindikatoren wieder kräftig anziehen, heißt das nicht, dass man schnell wieder “back to normal” wäre, gibt Schumacher zu bedenken. “Wenn ich die Volkswirtschaft zumache und danach wieder öffne, ist es klar, dass die Wachstumszahlen erstmal mechanisch nach oben gehen.” Er weist zudem auf eine Folge der wirkungsvoll inszenierten Geldpolitik hin. “Nebenwirkung ist, dass die Einlagen der Banken bei den Zentralbanken, die Geldbasis, durch die Decke gegangen ist. Es ist eine riesige Menge an Zentralbankliquidität im System und es ist nicht klar, ob und wie diese Liquidität überschwappt in den Wirtschaftskreislauf.” Das Spiel des Geldes zum “Nulltarif” werde vorbei sein, würden die Inflationserwartungen steigen. Doch Schumacher glaubt an die “Tänzer” auf dem geldpolitischen Parkett. “Wir sehen nicht, dass es zwangsläufig zu einer Inflation kommt. Die weitere Entwicklung steht und fällt aber damit, ob die richtigen Leute das Richtige tun.” Aus seiner Sicht sind die richtigen Leute am Ruder der Zentralbanken. “Sie haben eine gute Mischung aus Pragmatismus und Weitsicht und sind offen für die Risiken ihrer Maßnahmen.” Aber es sei ein enger Raum, auf dem Powell, Lagarde und Konsorten sich bewegten. Positiv für die Märkte sei zu bewerten, dass die Notenbanken aus Sicht des Volkswirts diesmal länger warten werden, bis sie die Zügel anziehen. “Man wird nicht kaputt machen wollen, was man mühsam aufgebaut hat.”Den Mitspielern aus der Fiskalpolitik schaut Schumacher ebenfalls entspannt zu. “Die stark gestiegenen Staatsschulden machen mir keine Kopfschmerzen. Der Grund ist Japan. Die Entwicklung dort hat gezeigt, dass eine hohe Schuldenquote nicht zwangsläufig zu Inflation führen muss. Offensichtlich haben wir unterschätzt, wie hoch das Produktionspotenzial bei ausgereiften Industrienationen ist.” Der Ökonom glaubt, dass man in Europa zwar nicht auf 50 % der Staatsschulden kommen werde, die bei den Zentralbanken liegen. Aber in Richtung 20 bis 30 % Schuldenbestände könnte es gehen. Damit sei der Teil der Staatsschulden, der am Markt finanziert werden müsse, immer noch nicht zu groß.Die Schuldentragfähigkeit ist nach Simulationen von Natixis auch bei Zinserhöhungen gegeben – selbst in Italien. “Dort müssten die Renditen durch die Kurve hinweg um 5 bis 6 % steigen, ehe es ein Problem gibt. Das sieht natürlich anders aus, wenn sich die Krise wieder verschärft und Italien noch mal um 20 bis 30 % Schuldenbestände aufstocken würde. Aber 160 % des BIP halten wir bei Italien für verkraftbar.” Das Spiel werde erst dann problematisch, wenn die Inflation komme. Keine Angst vor Zombies Von Zinserhöhungen geht Schumacher derzeit nicht aus. Und während Nullzinsen für die Staaten generell von Vorteil seien, seien die Folgen der Nullzinsen hinsichtlich Unternehmen gemischt zu bewerten. “Man könnte vermuten, dass das Problem der Zombie-Firmen durch die krisenbedingte Dauer-Nullzinspolitik verschärft würde.” In Europa geht Natixis von 20 % solcher Zombie-Firmen aus, bei denen der Zinsaufwand höher liege als der Ertrag. “Das Argument, dass der Strukturwandel aufgehalten wird, teilen wir nicht. Im Gegenteil: Es gibt einen gewaltigen Strukturwandel, der durch niedrige Zinsen eben nicht lahmgelegt wird. Beispiel Autoindustrie. Oder die enormen technologischen Veränderungen, der Wettbewerb mit China. Das Zombie-Problem wird durch die Krise nicht verschärft, da gleichzeitig der Druck zum Wandel steigt.” Die Selektion von Unternehmen sei in der Krise aber wichtiger geworden, sagt Sebastian Römer, Leiter des Geschäfts Mittel- und Osteuropa bei Natixis. “In den vergangenen Monaten haben sich einige aktive Manager deutlich ausgezeichnet. Das weckt Interesse und führt zu Nachfragen der Kunden, wie die Portfolios in der Krise navigiert wurden.” Im Gegenzug habe der Trend zu passivem Management ein paar Kratzer abgekommen, meint Römer, der viele Anfragen für aktive Mandate registriert. Die weit verbreitete Meinung, dass passiv immer gleich günstiger und besser bedeutet, müsse hinterfragt werden.Fragezeichen dagegen setzt Römer hinter den Value-Ansatz. “Klassische Investoren sind mit Warren Buffett groß geworden. Value Investing ergibt von der Theorie her auch Sinn – aber die alten Weisheiten haben sich in der Krise wieder nicht bewahrheitet.” Ein billiges Unternehmen müsse eben nicht zwangsläufig seinen inneren Wert generieren, sondern sei vielleicht aus gutem Grund billig. Dagegen seien vielleicht teure Unternehmen die Besseren in einer Welt, die digitaler werde, so der Investmentprofi.Der Trend zu ESG-Investments sei durch die Pandemie gestärkt worden. “Portfolios, die mit der grünen Brille gemanagt werden, haben sich gut entwickelt. Die Krise hat gezeigt, dass man ESG-Kriterien erfüllen und eine überzeugende Performance haben kann”, meint Römer. Nach den Versicherungen kämen jetzt die Pensionsfonds als Kunden, während Endanleger tendenziell die Letzten seien, die auf den Zug aufspringen würden.