"Gewinnerwartungen zu hoch"
Die Vermögensverwaltungssparte der US-Großbank J.P. Morgan geht von anhaltendem Rückenwind an den Aktienmärkten durch die Notenbankpolitik an. Eine Rezession sieht der globale Stratege Tilmann Galler derzeit nicht, es sei denn, der Handelskonflikt zwischen den USA und China verschärfe sich.Von Dietegen Müller, FrankfurtDie Vermögensverwaltungssparte von J.P. Morgan geht derzeit nicht von einer Rezession in den USA oder in Europa aus. Auch in China dürfte es keine “harte Landung geben”, sagte Tilmann Galler, globaler Marktstratege von J.P. Morgan AM, auf einer Konferenz in Frankfurt am Mittwoch. Der Handelskonflikt sei aber eine potenziell große Belastung für die Wirtschaft in den USA und Europa und könnte bei einer Verschärfung zu einer Rezession führen, wenn etwa das bis dato noch robuste Konsumvertrauen eingetrübt würde. Mit Blick auf den Brexit geht Galler zumindest für Ende Oktober nicht von einem No-Deal-Szenario aus, sondern von einer erneuten Verschiebung des Austrittsdatums. Kein Sonnenschein-SzenarioSo kommt dem Handelskonflikt aus Risikoüberlegungen heraus aktuell die größere Rolle zu. “Es besteht die Gefahr, dass bislang noch expandierende Sektoren von Sorgen bezüglich des Handelskonflikts angesteckt werden, wenn der Konflikt noch länger anhält”, so Galler. Bisher sei davon nur die Industrie betroffen. Die US-Wirtschaft sei dagegen nicht immun. Sollte sich der Konflikt verschärfen, müsse ab Mitte 2020 über eine US-Rezession gesprochen werden. Die Großbank geht nicht von einem “Sonnenschein-Szenario” aus – selbst wenn die Demokraten in den nächsten US-Wahlen an die Macht gelangten, würde sich an der Entschiedenheit der US-Position in dem Konflikt wohl wenig ändern.Doch dürften die Notenbanken das Wachstum durch eine lockere Geldpolitik stützen. Der Markt gehe von einer anhaltenden Niedrigzinsphase aus, was eine “realistische Einschätzung” sei, sagte Galler. Die Zinserwartungen würden durch ihre uniforme Kurve an das EKG eines Herztoten erinnern: Sie weisen auf Sicht von einem Jahr nach unten und zeigen bis 2023 auch keinen nennenswerten Anstieg an, in den USA gehen sie gar weiter nach unten.Sollte die Wirtschaft in der Eurozone in eine Rezession geraten, dürfte die Europäische Zentralbank (EZB) ihre Anleihekaufprogramme ausweiten und etwa im Segment der Corporates hochfahren. Aktienkäufe würden dagegen wohl eher zu den letzten Maßnahmen gehören: “Ich bin skeptisch, der Europäische Gerichtshof dürfte ein Wort mitsprechen.”In der Asset-Allokation ist J.P. Morgan vorsichtig optimistisch für Aktien gestimmt. Die niedrigen Zinsen seien eine fundamentale Unterstützung für reale Vermögenswerte wie Immobilien oder Aktien. Es sei nicht ratsam, “blind” Aktien zu kaufen, da es zyklisch bedingt konjunkturellen Gegenwind gebe. “Ohne politische Verbesserung sind die Gewinnerwartungen für 2020 in den USA zu hoch”, so Galler. Trotz ihrer starken Ausrichtung auf den Binnenmarkt sei die Gewinndynamik der US-Unternehmen abhängig von der Dynamik im Welthandel. Hier spielt der Handelskonflikt wieder hinein.Im Multi-Asset-Portfolio hat J.P. Morgan die Aktienquote leicht gesenkt. Es werde ein “balancierter” Mix angestrebt, aber Aktien seien leicht untergewichtet. In den Schwellenländern namentlich in Asien sieht J.P. Morgan gute Chancen, aber erst, wenn sich dort die Einkaufsmanagerindizes wieder in die Expansionszone bewegen würden. Reduzierte AktienquoteKonkret ist im 27,6 Mrd. Euro schweren Global Income Fund die Aktienquote per Juni auf 27 % reduziert worden, sagte Jakob Tanzmeister, Investmentspezialist Multi-Asset Solutions Group. Die maximale Aktiengewichtung im Fonds betrug im Jahr 2015 rund 47 %, das Minimum wurde 2008 mit 20 % erreicht. Es gebe somit nach oben und unten noch “Puffer”, so Tanzmeister. Und: “Wir gehen mehr Asymmetrien ein.” So würde das von vielen Investoren angewendete “Barbelling” angewendet. Dabei werde zum einen auf hochqualitative, aber kaum Rendite bringende Anlagen gesetzt, zum anderen auf einen Mix an langlaufenden Hochzinsanleihen, die mit höheren Risiken verbunden sind.Es stellt sich die Frage, ob sich durch das beliebte “Barbelling” neue, bisher nicht vorhandene Ansteckungsrisiken ergeben. Denkbar wäre etwa, dass bei einer Korrektur in Hochzinspapieren direkt auch Druck auf das – wesentlich größere und liquidere – Investment-Grade-Segment ausgelöst wird.Auf der Aktienseite bevorzugt J.P. Morgan tendenziell Aktien, die in Bärenmärkten ein niedriges Beta aufweisen, also weniger stark als der breite Markt verlieren. Dazu gehören Aktien aus dem Gesundheitssektor sowie aus Telekommunikation und Energie und nichtzyklische Konsumgüterhersteller. Ein hohes Beta in Bärenmärkten weisen dagegen Technologieaktien, Aktien von zyklischen Konsumgüterherstellern, Industrietitel sowie Rohstoffaktien auf. “Kein Pillepalle-Zins”Angesprochen darauf, ob sich die niedrigen Zinsen nicht auch aus Spardruck ergeben – viele Gelder, die in die Altersvorsorge fließen – sagte Tilmann Galler, die steigende Sparneigung sei zumindest in Deutschland eher die Folge als die Ursache der Niedrigzinsen. Es sei Unfug zu behaupten, dass wegen des Sparens die Zinsen sinken: “Der Leitzins ist kein Pillepalle-Zins.” Derzeit werde aber “die Zukunft verfrühstückt” und durch die Niedrig- und Negativzinsen der Vermögensaufbau namentlich für die Millennials-Generation schwierig. “Die Zentralbankpolitik wirkt teils selbstverstärkend, Reiche werden durch die Aufwertung von Aktien und Immobilien noch reicher”, so Galler. Durch diese “Umverteilung” sinke womöglich die Konsumneigung, da der zusätzliche Konsum von Wohlhabenden nicht den sinkenden Konsum breiter Bevölkerungsschichten ausgleichen könne und so auch das Wachstum leide.