Gewinnwarnungen im Dax programmiert
Seit Beginn des Jahres 2019 haben sich nicht nur Aktien, sondern auch Anleihen sehr positiv entwickelt. Zumindest auf den ersten Blick scheint die gleichermaßen positive Wertentwicklung beider Anlageklassen allerdings inkonsistent zu sein. Die anhaltend hohe Nachfrage nach sicheren Staatsanleihen zeigt, dass viele Anleger angesichts der derzeitigen wirtschaftlichen Lage skeptisch sind, ob und mit welcher Dynamik sich der wirtschaftliche Aufschwung fortsetzt.Gleichzeitig signalisiert der Anstieg der Aktienkurse, dass es jedoch genügend Investoren gibt, die das Szenario einer Rezession ausschließen und die von einer konjunkturellen Erholung in der zweiten Jahreshälfte ausgehen. Obwohl es gerade für die Eurozone bislang kaum Daten gibt, die diese Annahme untermauern, wiesen europäische Aktien zuletzt sogar eine bessere Wertentwicklung auf als US-amerikanische. Viele UnsicherheitenDies ist umso erstaunlicher, da von der politischen Seite die erhoffte Klärung offener Fragen bislang nicht eingetreten ist. Im Gegenteil: Ob US-Präsident Donald Trump tatsächlich in der Lage ist, einen Handelsdeal mit China unter Dach und Fach zu bringen, ist genauso unsicher wie die Frage, ob ein anderer britischer Premierminister einen No-Deal-Brexit verhindern kann.In der jüngeren Vergangenheit haben sich Erfolgsmeldungen in Bezug auf eine baldige Einigung im Handelsstreit und gegenseitige Schuldzuweisungen für das Scheitern der Gespräche nahezu täglich abgewechselt. Momentan müssen die Kapitalmarktteilnehmer bezogen auf dieses Thema damit leben, dass die Unsicherheit weiter anhält.Zudem ist die Wahrscheinlichkeit eines harten und ungeordneten Brexit nach der Rücktrittsankündigung von Theresa May angestiegen. Zum einen haben die Briten bei der Europawahl noch einmal gezeigt, wie gespalten das Land in Bezug auf den Brexit ist. Zum anderen gilt Boris Johnson als Favorit für die Nachfolge von Theresa May. Der Ex-Außenminister und Ex-Bürgermeister von London ist nicht gerade als kompromissbereit und Mann leiser Töne bekannt. Aber auch hier wird das Problem nicht zeitnah gelöst sein, was wiederum zu anhaltender Unsicherheit führt. Bei den Europawahlen konnten die Euroskeptiker zwar nur moderate Zugewinne verzeichnen, dennoch macht das Wahlergebnis das Regieren zukünftig schwieriger.Aufgrund dieser Rahmenbedingungen gibt es wenig Gründe, warum die Anleihekurse nachhaltig unter Druck geraten sollten, so dass wir unsere Jahresendprognose für 10-jährige Bundesanleihen auf 0 % und damit nach unten revidiert haben. Schließlich ist die Inflation bis auf Weiteres unter Kontrolle. Mit höheren Notenbankzinsen als Spielverderber ist von daher weder dies- noch jenseits des Atlantiks zu rechnen. Von der Europäischen Zentralbank (EZB) sind bis zur Nachfolgeregelung Mario Draghis, dessen Amtszeit im Oktober ausläuft, keine weitreichenden Entscheidungen zu erwarten, wohingegen die US-Notenbank im Jahresverlauf die Zinsen sogar senken könnte.Der vielleicht wichtigste Faktor, der sowohl den Aktien- als auch den Anleihekursen in diesem Jahr zugutekommt, ist das Agieren der Notenbanken. Insbesondere die US-Notenbank hat mit ihrer abrupten geldpolitischen Kehrtwende zu Beginn des Jahres und der Aussage, die Zinsen vorerst nicht weiter erhöhen zu wollen, die Kursentwicklung an den Kapitalmärkten maßgeblich beeinflusst. Allerdings macht die Federal Reserve unter Jerome Powell keine sonderlich gute Figur, scheinen ihre Handlungen doch zunehmend unter dem Einfluss von US-Präsident Trump zu stehen, der schon seit einiger Zeit vehement Zinssenkungen fordert. Selbst die Marktteilnehmer schenken der Fed wenig Vertrauen, gehen sie doch bis Ende dieses Jahres von einer und bis Mitte 2020 sogar von zwei Zinssenkungen aus.Für die Aktien- und Rentenmärkte kommt ein derartiges Szenario einem Schlaraffenland gleich: Genügend Wachstum, um die Wirtschaft und die Unternehmensgewinne am Laufen zu halten, aber auch nicht zu viel konjunkturelle Dynamik, die zu höheren Inflationsraten und damit zu einer restriktiveren Geldpolitik führt, sind der ideale Nährboden für steigende Kurse. Solange neue Wirtschaftsdaten diese Erwartungen bestätigen, dürfte es an den Aktienmärkten bergauf gehen. Bei den Konjunkturdaten bleiben jedoch viele Vorbehalte bestehen, ob es sich bei der für das zweite Halbjahr erwarteten Erholung nicht vielmehr um Wunschdenken als um die Realität handelt. Holprige Erholung in ChinaSo ist es mittlerweile Konsens, dass China angesichts des anhaltenden Handelsstreits mit den USA zu noch mehr geld- und fiskalpolitischen Hilfsmaßnahmen greifen wird, um das eigene Wachstum zu stimulieren. Davon würden auch andere Volkswirtschaften profitieren, vor allem diejenigen, die einen intensiven Handel mit China betreiben. Von daher wäre wohl die Eurozone der größte indirekte Gewinner einer Wachstumsbeschleunigung Chinas.Doch die letzten Konjunkturdaten zeigen, dass die Erholung in China bislang holprig verläuft und hinter den Erwartungen zurückbleibt. Der Einkaufsmanagerindex für das verarbeitende Gewerbe ist im Mai wieder unter die 50-Punkte-Marke gesunken, wobei sich vor allem die Exportaufträge überdurchschnittlich stark abgeschwächt haben. Selbst in den USA hat sich die wirtschaftliche Dynamik zuletzt abgeschwächt, im Mai lagen die beiden Einkaufsmanagerindizes von IHS Markit für das verarbeitende Gewerbe und für den Dienstleistungssektor nur noch knapp über der Wachstumsschwelle von 50 Punkten. Außenwirtschaftliche Impulse sind für die Eurozone von daher sobald nicht zu erwarten.Trotz des positiven Jahresbeginns halten wir deswegen an unserer Wachstumsprognose für Deutschland fest. Das reale Bruttoinlandsprodukt wird in diesem Jahr nur um 0,7 % wachsen. Da sich auch in vielen anderen Volkswirtschaften die Konjunktur abkühlt, stellen die ambitionierten Gewinnerwartungen das größte Risiko für die Aktienmärkte dar. Auch wenn die Berichtssaison im ersten Quartal ordentlich verlief, bleibt unter dem Strich ein Rückgang der Dax-Gewinne von 10 % gegenüber dem Vorjahresquartal. Schleierhafter OptimismusDennoch haben die Unternehmensanalysten ihre Prognosen für die nächsten Quartale zuletzt sogar wieder etwas angehoben. Damit das für das Gesamtjahr 2019 erwartete Plus von 8 % erreicht werden kann, müssen die Unternehmen in den nächsten drei Quartalen ihre Gewinne prozentual zweistellig steigern. Die Konsensdaten von Factset zeigen, dass die Analysten Gewinnsteigerungsraten von fast 10 % im zweiten Quartal, von fast 20 % im dritten Quartal und von knapp 30 % im vierten Quartal gegenüber dem Vorjahr erwarten. Für das Jahr 2020 wird ein weiteres Ertragsplus von 11 % erwartet.Woher dieser Optimismus stammt – von Basiseffekten bei einigen Firmen abgesehen – bleibt schleierhaft. Kommt es nicht rasch zu einem Abebben der politischen Risiken und damit verbunden zu einer Erholung der globalen Konjunktur, ist eine neue Welle von Gewinnwarnungen im zweiten Halbjahr programmiert. Carsten Klude, Chefvolkswirt M.M. Warburg & CO Zuletzt erschienen: Immobilienaktien profitieren vom Niedrigzinsumfeld (73), Berenberg Die fünf Pfeile im Köcher der EZB (72), Hauck & Aufhäuser