Technische Analyse

Gold – als sicherer Hafen gefragt

Es gibt mehrere Vorboten dafür, dass Gold auch auf Dollar-Basis ein neues Allzeithoch erreicht. Dies käme einem echten Knalleffekt gleich.

Gold – als sicherer Hafen gefragt

Technische Analyse

Gold – als sicherer Hafen gefragt

Von Jörg Scherer *)

Die Entwicklung des Goldpreises in diesem Jahr verlief weniger linear als vielmehr in Wellen. Auf den freundlichen Jahresauftakt – inklusive eines Tests des bisherigen Allzeithochs bei 2.072 Dollar – folgte ab Mai eine korrektive Phase, in deren Verlauf das Edelmetall sogar die Jahresauftaktnotiz von 1.824 Dollar unterschritt, ehe es auf dieser Basis dann zu einem dynamischen „reversal“ kam. Ist damit wieder alles im Lot? Bringt der beschriebene „Dreh“ den Goldpreis wieder zurück in die Erfolgsspur? Wir begeben uns im Folgenden auf die Suche nach charttechnischen Antworten.

Die Kursentwicklung im Herbst stellt möglicherweise den entscheidenden Knackpunkt dar, denn für den Goldpreis war der Oktober ein ganz besonderer Börsenmonat. Zunächst kam es zu einem Stresstest der Haltezone aus der 38-Monats-Linie (aktuell bei 1.839 Dollar) sowie den verschiedenen Hoch- und Tiefpunkten bei rund 1.800 Dollar. Bereits in den Jahren 2011 und 2012 hatte dieses Level eine Rolle gespielt. Letztlich dienten diese Unterstützungen dann aber als Sprungbrett für eine dynamische Aufwärtsbewegung.

Bemerkenswerte Monatskerze

Die Gegenbewegung der letzten Wochen lässt eine markante weiße Monatskerze entstehen, welche zudem die Körper der vier vorangegangenen Börsenmonate umschließt. Es ergibt sich also ein vierfaches „bullish engulfing“ – ein konstruktives Chartmuster aus der Candlestick-Analyse. Doch es wäre sogar noch mehr möglich gewesen, denn das Edelmetall hat den höchsten Monatsschlusskurs der Historie nur um Haaresbreite verpasst! Aufgrund der beschriebenen Bewegungsdynamik dürfte der Goldpreis perspektivisch die Rekordstände aus den Jahren 2020, 2022 und 2023 bei 2.070/2.072 Dollar ins Visier nehmen. Das gilt insbesondere dann, wenn das Edelmetall die runde 2.000er Marke überspringen sollte. Zusätzlichen Rückenwind liefert aktuell der Faktor „Saisonalität“. Schließlich kommt es im November/Dezember des US-Vorwahljahres oftmals zu einer starken Kursentwicklung. Salopp formuliert: Im Edelmetallbereich kommt es im Jahr vor der US-Präsidentenwahl regelmäßig zu der etwas anderen Jahresendrally! Ein paar Körner könnte der Goldpreis bis zum Jahreswechsel also noch im Tank haben.

Tradingweisheit als Vorbote

Übergeordnet gewinnt noch ein weiteres Argument an Bedeutung. Eine alte Tradingweisheit lautet „triple bottoms never hold“. Aufgrund der drei verschiedenen Anläufe auf die historischen Hochstände bei 2.070/2.072 Dollar liegt derzeit beim Goldpreis die spiegelbildliche Situation vor. D. h. die Hochs von 2020, 2022 und 2023 bilden ein mögliches Dreifachtop. Im Umkehrschluss könnte die zuvor angeführte Tradingweisheit in „triple tops always break“ abgewandelt werden. Vor diesem Hintergrund würde ein Vorstoß in „uncharted territory“ für ein ganz großes Investmentkaufsignal sorgen, zumal im charttechnischen Sinne dann auch eine große Untertassenformation vervollständigt wäre. Doch einen solchen Ausbruch sollten Anlegerinnen und Anleger eher für 2024 auf der Agenda haben. Apropos zeitliche Dimension: Auf einen der dynamischsten Aufwärtstrends der Börsengeschichte seit Beginn des Jahrtausends folgte beim Goldpreis ab 2011 eine sehr ausgedehnte Konsolidierungsphase. Es gehört zu den Basisannahmen der technischen Analyse, dass sich an starke Trendphasen ausgeprägte Konsolidierungen anschließen. Letztere legen dann wiederum den Grundstein für den nächsten Trendimpuls. Interessanterweise umfassen sowohl der Trend zu Jahrtausendbeginn als auch die Konsolidierung seit dem alten Allzeithoch bei 1.920 Dollar jeweils zwölf Jahre – auch charttechnisch eine spannende Koinzidenz.

Vorboten – Teil 2 und 3

Der dynamische Goldpreisanstieg der letzten Wochen hat das Edelmetall bis an die runde 2.000er Marke herangeführt. Im kurzfristigeren Bereich kann die Kursentwicklung als ein „V-förmiges“-Umkehrmuster interpretiert werden, woraus sich rein rechnerisch ein kalkulatorisches Anschlusspotenzial von 140 Dollar ergibt. Dieses Kurspotenzial ist perspektivisch mehr als ausreichend, um die historischen Hochpunkte von 2020, 2022 und 2023 bei 2.070/2.072 wieder ins Visier zu nehmen. Wie man es auch drehen und wenden mag, am Ende landen Anleger immer wieder bei der Bedeutung der bisherigen Rekordstände – und zwar selbst bei der Analyse verschiedener Zeitebenen.

Echter Knalleffekt

Für die weitere Analyse wollen wir bewusst noch einen anderen Blickwinkel einnehmen. Konkret: die Kursentwicklung des Edelmetalls in anderen Währungen 2023. Sowohl in japanischen Yen als auch in britischen Pfund sowie aus Sicht des Euro-Investors gelang dem Goldpreis zuletzt ein neues Verlaufshoch – charttechnisch jeweils sehr konstruktive Signale. D. h. in anderen Währungen hat das Edelmetall bereits neue Hochs verbuchen können. Damit drängt sich die spannende Frage auf, ob die beschriebenen Ausbrüche in den anderen Währungspaaren Vorboten für die äquivalente Weichenstellung im eigentlichen Chartverlauf darstellen. Vor dem Hintergrund der o. g. „V-Formation“ auf Dollar-Basis handelt es sich um ein durchaus plausibles Szenario. Auch auf die Gefahr, dass wir uns wiederholen: Ein neues Allzeithoch auf Dollar-Basis käme einem echten Knalleffekt gleich.

*) Jörg Scherer ist Leiter technische Analyse bei HSBC Deutschland.