IM INTERVIEW: LORENZO CARCANO UND STEFAN MEYER

"Größere Opportunitäten als bei Large Caps"

Die Portfoliomanager für Small und Micro Caps von Metzler Asset Management über Bewertungen, Auswahlkriterien und Größen von Börsengängen

"Größere Opportunitäten als bei Large Caps"

Kleinkapitalisierte Aktien bringen Anlegern traditionell im Mittel eine höhere Rendite als großkapitalisierte Werte. Die Metzler-Small-Cap-Fondsmanager Lorenzo Carcano und Stefan Meyer sind der Ansicht, dies werde trotz gestiegener Bewertungen weiter so bleiben. Auch Börsengänge sind ein Thema, wie sie im Interview der Börsen-Zeitung erklären.- Herr Carcano, Herr Meyer, was spricht im Jahr acht seit dem Börsenaufschwung nach der Finanzkrise für Small und Micro Caps?Carcano: Wir achten immer auf die langfristige Entwicklung. Der Stoxx Europe Small 200 Index hat gegenüber dem Stoxx Europe Large 200 in den vergangenen zwanzig Jahren im Mittel eine jährliche Mehrrendite von über 4 % für Small Caps erbracht. Rückschläge wie während der Euro-Krise oder nach dem Brexit-Votum stellen günstige Gelegenheiten dar. Auch strukturell schneiden Small Caps besser ab. Wir erwarten ein anhaltend höheres Wachstum kleiner und mittelgroßer Unternehmen und gehen auch von einem anhaltenden Konjunkturwachstum über die nächsten zwei bis drei Jahre aus. Als Beimischung gehören Nebenwerte deshalb in jedes Portfolio.- Was macht Sie so zuversichtlich?Carcano: Weil die Unternehmen fokussierter sind und oft nur in Nischen oder in einer Region aktiv sind, ergibt sich mehr Wachstumspotenzial. Ferner werden Nebenwerte nur von wenigen Marktteilnehmern beobachtet. Wir haben den Anspruch, schon früh in Kontakt zum Unternehmen zu stehen und das Geschäftsmodell zu verstehen, bevor andere darauf aufmerksam werden. Die Marktineffizienz ist besonders im Segment der Small und Micro Caps besonders ausgeprägt. Last, but not least ist kostengünstiges indexnahes Investieren in Mode. Im Segment der Nebenwerte ist dies schwierig umzusetzen, wir haben hier ein Paradies für Stock Picker, wo sich ein aktiver Ansatz auszahlt.- Das ist alles nicht unbekannt. Wie verhindern Sie, dass Sie zu stark ins Risiko laufen?Carcano: Erfahrung und Know-how sind extrem wichtig. Das bringen wir mit. Wir müssen die guten von den schlechten Unternehmenskonzepten unterscheiden und die Börsenzyklen verstehen. Unser Portfolio ist zwar konzentriert – im einen Fonds haben wir rund 65 Titel, im kleineren rund 40 – aber wir haben eine sehr hohe Diversifikation innerhalb der Geschäftsmodelle.Meyer: Kleine Firmen haben zunächst einmal kein höheres operatives Risiko als Large Caps. Allerdings steht am Markt weniger Information zur Verfügung. Das eigentliche Problem in Small Caps ist ihre geringere Liquidität. Wenn in großen Marktkrisen Liquidität entzogen wird, kann es zu strukturellen Problemen im Nebenwertesegment kommen. Da gibt es temporär eine höhere Volatilität bis hin zu Illiquidität. Am Ende ist das aber zu managen und eine gute Portfoliokonstruktion bringt eine Risikominderung.Carcano: In Small Caps zu investieren bedeutet eine größere Anlageopportunität als bei Large Caps. Es gibt in Europa rund 3 000 Unternehmen mit einer Marktkapitalisierung im Bereich von einigen hundert Millionen bis 6 Mrd. Euro. Großkapitalisierte Werte gibt es einige hundert. Wir suchen die Blue Chips von morgen; Grenke oder Nemetschek Group waren alle vor einigen Jahren Micro Caps und sind heute Unternehmen mit Milliardenwert.- Nun ist das bessere Abschneiden von Small Caps kein Geheimnis. Da müsste es doch eine sehr große Nachfrage nach solchen Investments geben?Carcano: Ja, aber es gibt periodische Untersuchungen, die zeigen, dass der Anteil an Small Caps in der Portfolioallokation von institutionellen Investoren in Deutschland, etwa verglichen mit den USA, niedriger ist. Andere Länder wie Italien oder Frankreich haben sinnvollerweise steuersparende Anlagemodelle geschaffen, mit denen Privatinvestoren langfristig in kleinere Unternehmen investieren können. Das fehlt hierzulande.- Die Bewertungen an den Aktienmärkten sind im historischen Vergleich nicht mehr günstig. Wie sieht es bei den Nebenwerten aus?Carcano: Die Bewertungsniveaus sind vielleicht hier und da strapaziert, aber wir sehen keine Blase. Es gibt viele gesunde Unternehmen mit guten Geschäftsmodellen, die heute an die Börse gehen.Meyer: Viele Unternehmen haben sich restrukturiert und auf die Erzielung von freiem Cash-flow konzentriert. Die vergangenen Jahre waren von sinkenden Gewinnschätzungen geprägt. Nun steigen die Gewinnschätzungen. Zugleich bleiben die Zinsen auf einem niedrigen Niveau und die makroökonomische Entwicklung ist gut. Nebenwerte-Unternehmen sind nicht in großen, regulierten Märkten vertreten. Deshalb ist ihre Ausrichtung gegenüber dem fertigenden Gewerbe auch meist viel höher. Small Caps profitieren überproportional von einer anziehenden Konjunktur.- Sie machen sich also keine Sorgen?Carcano: Aktien sind eine langfristige Anlage, das kann man nicht oft genug betonen. Deshalb gilt für uns, in Kurskorrekturen tendenziell nachzukaufen, wenn wir vom Geschäftsmodell überzeugt sind. Wir versuchen antizyklisch zu handeln und raten dies auch unseren Kunden. Die Börsen haben seit sieben Quartalen keine richtige Korrektur mehr verzeichnet und die Risikoneigung der Anleger scheint sehr hoch zu sein. Vielleicht gibt es daher in den nächsten Monaten eine bessere Einstiegsgelegenheit. Eine Korrektur von 15 % wäre nur gesund.- Das bedingt Cash auf der Seite?Carcano: Wir achten darauf dort, wo wir eine Überhitzung sehen, etwas Geld herauszunehmen. Im Metzler European Small and Micro Cap Fonds haben wir derzeit rund 7 % Baranteil, beim Metzler European Smaller Companies Fonds sind es 3 %. Grundsätzlich investieren wir in Aktien und machen keine Vermögensallokation auf Ebene der Fonds.- Was erwarten Sie für die Zahl der Börsengänge?Carcano: Dass die Zahl der gelisteten Unternehmen insgesamt nicht steigt, liegt auch daran, dass Unternehmen aufgekauft werden. Eine gute Wirtschaftslage und solide Bilanzen ermöglichen mehr Übernahmen. Die Nachfrage kommt vor allem aus Asien, insbesondere aus China. So verschwinden leider auch gute, sehr wachstumsstarke Unternehmen vom Markt. Es gibt Regionen, die ein strukturell besseres Umfeld für Börsengänge bieten, etwa Skandinavien und die Schweiz. Das sind vor allem Länder, die auch eine ausgebaute kapitalgedeckte Altersvorsorge haben. Leider ist das in Deutschland nicht der Fall. Es gibt keine richtige Aktien- und Investmentkultur, was auch darauf zurückzuführen ist, dass ein funktionierendes Pensionssystem fehlt. Hoffentlich wird die Politik hier in den nächsten Jahren etwas ändern.- Was erwarten Sie von der Qualität der Initial Public Offerings?Carcano: Es gibt eine Reihe Börsengänge, bei denen Private-Equity-Gesellschaften möglichst hohe und schnelle Gewinne erzielen wollen. Das bedeutet nicht unbedingt stabile Geschäftsmodelle. Aber wir erwarten, dass in Europa in den kommenden Jahren mehr interessante Unternehmen an den Markt kommen. Leider ist Deutschland hier noch nicht so weit.Meyer: Wir wären bereit, und wir haben auch in diesem Jahr am ersten Börsengang im neuen Scale-Segment der Deutschen Börse für kleine und mittelgroße Unternehmen teilgenommen. Wir zeichnen Börsenneulinge, aber wir müssen das Geschäftsmodell vorher verstehen. Es gibt durchaus auch attraktive Private-Equity-Exits, wie etwa den Vakuumpumpenhersteller VAT Holding, der in der Schweiz gelistet ist und extrem gut gelaufen ist.- Worauf achten Sie?Carcano: Wir achten auf Marktstrukturen, überprüfen, wie hoch die Eintrittsbarrieren sind und wie das Geschäft in der Lage ist, Wachstum zu erwirtschaften. Im zweiten Schritt untersuchen wir die Bewertung. Hinzu kommen die Aktionärsstruktur und die Qualität der Corporate Governance.Meyer: Wir sind sehr diszipliniert, was die Bewertung anbelangt. Je größer das Initial Public Offering – so unsere Beobachtung über die Jahre, – desto weniger erfolgreicher wird es. Es gibt einen Zusammenhang zwischen der Größe eines Börsengangs und der Performance. Gerade prominente Neulistings gehen oft mit weniger attraktiven Preisen einher.- Wie wichtig ist der persönliche Kontakt zum Unternehmen?Carcano: Der Kontakt ist einer der wichtigsten Analyseschritte. Wir machen eine Five-Forces-Wettbewerbsanalyse nach Michael Porter und eine SWOT-Analyse, aber wir müssen auch die Produktionsprozesse, die Produkte sowie das operative Management sehen. Wir stellen uns die Frage, wo das Geschäft in zehn Jahren steht. In vielen Nebenwerten ist dies verhältnismäßig einfach zu beantworten, da diese Gesellschaften in ein oder zwei Ländern Marktführer sind, aber noch in andere Märkte expandieren können.- Hat dieser Informationsvorsprung nicht gerade in wenig liquiden Aktien einen großen Einfluss?Meyer: Wir kommen nicht an Insider-Informationen. Wir haben einen Informationsvorsprung, weil wir offiziell zugängliche Informationen kennen, die sich noch nicht allgemein herumgesprochen haben. Der Markt ist hier einfach wenig effizient, da es oft keinen institutionellen Investor gibt, der das Unternehmen pflegt. Was die Liquidität anbelangt – wir handeln uns teilweise über Monate in eine Position hinein. Es braucht lokales Know-how und ein lokales Netzwerk, das einen Block Aktien zusammensammeln kann, die dann von uns gekauft werden können. Wir gehen da sehr bedacht vor. Wir wollen vorher investiert sein, bevor andere Anleger die Firma entdecken.- Wo sehen Sie die größten Chancen?Meyer: Wir haben unkorrelierte Geschäftsmodelle in unseren Portfolien. Die Zuordnung der Unternehmen zu gewissen Indexkategorien ist weitgehend beliebig und hat keine Aussagekraft. So fällt zum Beispiel unter den Sektor Industrie eine Firma, die Kühlsysteme für PC und Server herstellt. Wir kombinieren unterschiedlichste Endmärkte wie beispielsweise ein Unternehmen, das Eye-Tracking-Technologie herstellt, etwa für Behinderte, oder ein Unternehmen das Schneidetische für die Modeindustrie herstellt, oder ein Unternehmen das Betonklötze herstellt, oder einen Anbieter von Dachabdichtungen.- Wo finden Sie am meisten reizvolle Anlagemöglichkeiten?Meyer: Es gibt in fast jeder Industrie Firmen, die extrem gut sind. So gibt es in Bryne in Norwegen einen globalen Marktführer für Lachsfang-Ausrüstung und Aquakultur, Akva Group. Das Unternehmen bietet Komplettlösungen inklusive Software-Steuerungssysteme für den Betrieb von Lachsfarmen sowie Käfige, Kameras und Fütterungssysteme an. Das Unternehmen wächst seit Jahren prozentual zweistellig. Der Kurs hat sich schon mehr als verdoppelt, ist aber weiter hochinteressant.Carcano: Wir halten auch den Halbleitersektor für sehr interessant, denn das Internet der Dinge sorgt für einen gesteigerten Bedarf an Chips und Rechenkapazitäten. Das ist aber ein zyklischer Sektor. Wir haben auch im Finanzbereich Beteiligungen, etwa an Unternehmen, die notleidende Schulden von Banken einsammeln und verwerten, wie Arrow Global Group und Intrum Justitia. Dies bedingt viel Know-how und große Datenbankressourcen.Meyer: Strukturell hat die Finanzindustrie in den vergangenen Jahren wenig interessante Anlagemöglichkeiten geboten, aber wir konzentrieren uns auf innovative Nischen. Hier erweist sich einmal die stärkere Regulierung als ein Wachstumstreiber für diese Firmen.- Sie haben auch Medienaktien, weshalb?Meyer: Wir halten Independent News and Media. Das irische Unternehmen kämpft mit rückläufigen Print-Erlösen, hat aber einen hohen Cash-Anteil auf der Bilanz und könnte damit in Online-Aktivitäten investieren. Medientitel sind vergleichbar mit Druckmaschinenbauern: Jahrelang galt die Branche als nicht mehr investierbar, doch der Markt restrukturiert und konsolidiert sich, und es entstehen neue Wachstumschancen. Koenig & Bauer hat sich vor Jahren neu positioniert und kann nun rückläufige Wachstumsraten im traditionellen Geschäft auffangen. In der Medienbranche ist dies vergleichbar. Es gibt eine Vielzahl gelisteter Unternehmen die nicht wachsen, aber der Anteil digitaler Erlöse steigt deutlich und überkompensiert rückläufige Umsätze aus dem Printgeschäft. Die Aktien sind dann oft noch sehr günstig.- Wie sieht es auf dem britischen Markt aus? Durch den Brexit gelten auf den Heimatmarkt ausgerichtete Unternehmen als nachteilig betroffen, Sie halten aber relativ viele Anteile an britischen Small Caps?Carcano: Das Interessante an der Londoner Börse ist, dass es dort oft Geschäftsmodelle gibt, die nichts mit dem Heimatmarkt zu tun haben. Das makroökonomische Umfeld wird in Großbritannien schwierig sein, wir setzen darum eher auf international ausgerichtete Aktien.—-Das Interview führte Dietegen Müller.