GASTBEITRAG

Growth- und Value-Strategien sollten kombiniert werden

Börsen-Zeitung, 28.2.2017 Haben Wachstums- oder Substanzwerte die Nase vorn? Derzeit stellen sich wieder viele Investoren diese Frage. Nachdem das Growth-Segment jahrelang Überrenditen erzielen konnte, haben sich im vergangenen Jahr die Anzeichen...

Growth- und Value-Strategien sollten kombiniert werden

Haben Wachstums- oder Substanzwerte die Nase vorn? Derzeit stellen sich wieder viele Investoren diese Frage. Nachdem das Growth-Segment jahrelang Überrenditen erzielen konnte, haben sich im vergangenen Jahr die Anzeichen für eine Wende gemehrt. Doch unter dem neuen US-Präsidenten wächst auch die Unsicherheit. Für eine große Stilrotation zu Substanzwerten braucht es eine nachhaltige Erholung der Weltwirtschaft, und noch weiß niemand, ob die Politik der neuen Trump-Administration diese langfristig eher befördern oder hemmen wird. Investoren sollten sich daher die Frage stellen, wie sie das Beste aus beiden Welten in ihrem Portfolio zusammenführen können. Denn bei genauerem Hinsehen zeigt sich: Die Strategien auf beiden Seiten des Stilspektrums gleichen sich allmählich an.Dass zurzeit überhaupt wieder über die beiden vermeintlich so gegensätzlichen Anlagestile diskutiert wird, ist kaum verwunderlich. Immerhin haben Substanzwerte im Jahr 2016 eine satte Outperformance von rund zehn Prozentpunkten gegenüber Wachstumstiteln erzielt. Nach über sieben Jahren Bullenmarkt im Growth-Segment schien die Zeit bereits im vergangenen Jahr reif für einen Wechsel. Eine solche Zäsur beruht allerdings auf einem grundsätzlichen Wandel der fundamentalen Lage. In einer Zeit, in der Wachstum knapp war, waren Anleger verständlicherweise bereit, einen Aufschlag für Wachstumstitel zu zahlen.Kehrt das Wachstum allerdings wieder zurück, sinkt diese Bereitschaft. Doch angesichts politischer Entwicklungen wie dem Brexit, dem wachsenden Populismus in Europa vor den anstehenden Richtungswahlen in europäischen Kernstaaten wie Frankreich, den Niederlanden und Deutschland sowie der Unsicherheit über die künftigen Maßnahmen der neuen Trump-Administration in Washington fallen Prognosen schwer. Kritische Stimmen warnen daher schon seit einiger Zeit davor, die Euphorie zu dämpfen.Auf den ersten Blick scheinen die Märkte zum Optimismus entschlossen. Seit der Präsidentschaftswahl haben sich die Börsen auf einen Höhenflug begeben, und der Dow Jones konnte die Marke von 20 000 Zählern knacken. Auch diesseits des Atlantiks nimmt die Zuversicht zu, wie die neuesten Konjunkturerwartungen der EU-Kommission zeigen. Doch die Hoffnungen konzentrieren sich am stärksten auf den US-Aktienmarkt. Viele Anleger hoffen auf die stimulierende Wirkung von Investitionsprogrammen und gelockerter Regulierung – Donald Trumps erste Amtshandlungen haben die Richtung deutlich gemacht. Doch der kurzzeitige Börsenknick nach der Amtseinführung zeigt auch, dass die Nervosität bleibt. Der US-Markt ist eng mit der Weltwirtschaft verflochten, und wenn protektionistische Maßnahmen den Welthandel belasten, werden dies auch die USA zu spüren bekommen. Angesichts solcher Unsicherheiten muss auch die Frage nach Growth oder Value vorerst unbeantwortet bleiben. Kluge Kombination gefragtDie Verfechter beider Ansätze diskutieren zwar leidenschaftlich weiter. Doch anstatt über eine allgemeine Stilrotation hin zu Value-Titeln nachzudenken, sollten Anleger lieber beide Ansätze klug kombinieren. Dafür lohnt es sich, die Entwicklung in beiden Segmenten einer kurzen Analyse zu unterziehen. Da die Zweifel an einer allgemeinen Outperformance des jeweiligen Segments sowohl auf Value- als auch auf Growth-Seite groß bleiben, prüfen die Spezialisten derzeit umso intensiver, woran sich die besten Wachstums- beziehungsweise Substanzwerte erkennen lassen. Und dabei zeigt sich: Die besten Argumente für Unternehmen aus dem einen oder anderen Spektrum sind unabhängig von der allgemeinen Marktlage. Voraussetzung ist in beiden Fällen, dass Investoren bereit sind, sich auf der Einzeltitelebene zu bewegen.Gute Unternehmen mit außergewöhnlichem langfristigem Wachstumspotenzial gibt es immer. Wachstumschancen ergeben sich vor allem dort, wo sich Geschäftsmodelle wandeln und revolutionäre Innovationen ganze Branchen umwälzen. Und das gilt insbesondere für den US-Markt. Auch wenn Donald Trump nicht zuletzt durch die Hoffnungen derer, die sich eine Reindustrialisierung der USA wünschen, ins Amt getragen wurde, hat doch kein anderes Land bislang so stark vom Wandel profitiert. “Disruption” lautet das neue Schlagwort. Dieser Megatrend wird in hohem Maße von US-Firmen angetrieben und er dürfte sich langfristig auch nicht von politischen Stimmungen aufhalten lassen. Die Gewinner dieser Entwicklung bildet man nicht ab, indem man eine breite Stilprämie abzugreifen versucht. Notwendig ist stattdessen eine Rückbesinnung auf die Tugenden des Growth Investing, also eine langfristige Herangehensweise und eine tiefgehende Analyse der einzelnen Unternehmen. Mit diesem Ansatz finden erfolgreiche Growth-Investoren Chancen in allen Segmenten des Marktes. Frappierende ParalleleDie Entwicklung im Value-Segment ist auf den ersten Blick eine andere – zeigt aber bei genauerem Hinsehen eine frappierende Parallele. Denn auch hier fällt es zunehmend schwer, Substanzwerte als breites Segment in den Griff zu bekommen. Traditionell setzen Investoren hier auf Bewertungskennziffern wie Kurs-Gewinn-Verhältnis (KGV) oder Gewinnerwartungen. Doch die Korrelation zwischen diesen Kennzahlen hat seit der Jahrtausendwende abgenommen. Im Jahr 2015 hätte etwa eine Strategie, die sich am KGV und am Kurs-Buchwert-Verhältnis orientiert, deutlich schlechter abgeschnitten als eine, die auf freie Cash-flows setzt. Value-Spezialisten prüfen daher stärker als in der Vergangenheit, welche Kennzahl zu einem bestimmten Zeitpunkt für die Performance die größte Aussagekraft hat, und passen ihren Ansatz flexibel an. Um das auf im Portfolio umzusetzen, ist auch hier eine sehr genaue Kenntnis der einzelnen Unternehmen vonnöten. Auf dieser Ebene werden sich immer unterbewertete Qualitätsfirmen finden lassen. Einzeltitelselektion TrumpfInsgesamt setzt sich auch die Erkenntnis durch, dass bestimmte Eigenschaften von Unternehmen sowohl aus Growth- als auch aus Value-Sicht relevant sind. Ein gutes Beispiel dafür sind die freien Cash-flows. Diese haben nicht nur als Bewertungskennzahl für Substanzwerte an Bedeutung gewonnen und stehen häufig im Zentrum von Unternehmenszukäufen. Sie sind auch die Basis für zukunftsweisende Investitionen und damit zugleich ein wichtiger Indikator für das Wachstumspotenzial eines Unternehmens. Sie ermöglichen es den Firmen, aus eigener Kraft zu wachsen. Das könnte sich insbesondere am US-Markt, wo die Zinsen wieder steigen und es für Unternehmen teurer wird, an Fremdkapital zu kommen, als besonders nützlich erweisen. Freie Cash-flows sind zudem die Grundlage für Ausschüttungen an Investoren. Damit sorgen sie für Liquidität und ermöglichen es Anhängern beider Ansätze, in unsicheren Zeiten agil zu bleiben.Freie Cash-flows sind zudem ein höchst unternehmensspezifischer Faktor und passen damit zur stärkeren Fokussierung auf einzelne Titel, die für die Spezialisten beider Ansätze an Bedeutung gewonnen hat. Dieser Ansatz passt in eine Zeit, in der die Märkte auf Makroebene zwischen Euphorie und Verunsicherung schwanken. Denn auf der Mikroebene gilt: So wie es immer Unternehmen mit außergewöhnlichem Wachstumspotenzial gibt, so gibt es auch immer Weltklassefirmen, die aus dem einen oder anderen Grund unterbewertet sind. Viele Fragen offenBezüglich der Wirtschafts- und Außenpolitik der Trump-Administration sind viele Fragen offen. Solange die endgültige Fahrtrichtung unklar ist, wird es fast zwangsläufig immer wieder zu Verunsicherungen an den Börsen kommen. Und damit werden sich bei aussichtsreichen Titeln beider Stile durch Kursschwankungen und zeitweiligen Fehlbewertungen immer wieder Einstiegschancen eröffnen. Für Investoren, die sich nicht an einen Stil binden müssen, bleibt es also spannend. Sie sollten wachsam bleiben, Liquidität bereithalten und langfristige strategische Chancen ins Portfolio zu holen. Nichts spricht dagegen, sich die Erkenntnisse der Substanz- und Wachstumsspezialisten gleichermaßen in einem kombinierten Portfolio zunutze zu machen.—-Laurence Taylor, Portfoliospezialist globale Aktien bei T. Rowe Price