IM GESPRÄCH: HOLGER BRAUER, NOMURA ASSET MANAGEMENT

Gute Chancen für Inflationsbonds

Portfoliomanager erwartet Teuerungseffekte ab 2021 - Krise stärkt Preissetzungsmacht der Unternehmen

Gute Chancen für Inflationsbonds

Laut Nomura Asset Management wird die Inflation im Euroraum steigen. Derzeit seien viele Kräfte am Werk, die zu einer Teuerung führen werden. Im kommenden Jahr sollten die ersten positiven Effekte in Richtung Inflationssteigerung zu sehen sein. Diese Ansicht vertritt Holger Brauer, Portfoliomanager und Experte für inflationsgeschützte Anleihen bei dem japanischen Investmentmanager im Gespräch mit der Börsen-Zeitung. Inflationsbonds stuft er deshalb als chancenreiches Investment ein. Von Kai Johannsen, FrankfurtEin in der vergangenen Woche verabschiedeter 750 Mrd. Euro schwerer Wiederaufbaufonds der Europäischen Union (EU) für die wirtschaftlichen Folgen der Covid-19-Pandemie, dazu 100 Mrd. Euro für das EU-Kurzarbeitergeld, enorme Konjunkturmaßnahmen auf der Ebene der jeweiligen einzelnen Länder, nicht nur in der EU oder Europa, sondern weltweit, des Weiteren die umfangreichen Käufe von Anleihen seitens der Europäischen Zentralbank (EZB), darüber hinaus ein Marktbereinigungsprozess in vielen Branchen, der erst ganz am Anfang steht und das Preissetzungsverhalten der Unternehmen beeinflusst, Nachholeffekte der Haushalte und der Unternehmen und dergleichen mehr – so gestaltet sich die derzeitige Covid-19-Situation in wirtschaftlicher Hinsicht. In den kommenden Monaten, wenn nicht gar Jahren wirken auf die Märkte und Branchen gewaltige Summen ein. Enorme Kräfte am WerkDamit verbunden ist bei Marktteilnehmern, Unternehmen und privaten Haushalten aber auch immer eine Frage: Wie wird sich die Inflation in der Eurozone unter dem Eindruck dieser enormen Kräfte, die nun in Gang gesetzt werden, entwickeln? Kommt es zum Inflationsanstieg, womöglich sogar zu einem recht deutlichen, der von den europäischen Währungshütern erhofft, in den vergangenen Jahren zeitweise – so das Gefühl vieler Marktakteure – vermutlich sogar herbeigesehnt wurde? Im Gespräch mit der Börsen-Zeitung geht Holger Brauer, Senior Portfoliomanager und Experte für inflationsgebundene Anleihen beim japanischen Investmentmanager Nomura Asset Management, auf dieses ganze Bündel von Einflussfaktoren für die Inflationsentwicklung ein und erläutert, wie Maßnahmen inflationstechnisch wirken und ob somit die sogenannten Linker, also Anleihen mit Inflationsschutz, ein chancenreiches Investment sind.Brauer sieht diverse Hauptantriebsfedern für die Inflation in den kommenden Monaten. “Rein technisch wirkt zunächst einmal die Senkung der indirekten Steuern in einigen EU-Ländern sowie in Großbritannien”, sagt er. Das lasse die zwölfmonatige Änderungsrate bei den Konsumentenpreisindizes zunächst einmal sehr niedrig aussehen. Da sie aber vorübergehender Natur sei, habe sie auf das durchschnittliche Inflationsniveau keine Auswirkung. “2021 werden wir dann einen positiven Effekt auf die Inflation bekommen”, so Brauer. In diesem Zusammenhang spiele zudem eine Rolle, inwieweit die Steuersenkungen überhaupt weitergegeben werden.Ein weiterer technischer Effekt bei der Inflationsmessung komme durch die Änderung der Warenkörbe aufgrund von Corona zustande. “Lebensmittel, die als gesamte Gruppe teurer geworden sind, werden mehr gekauft. Pauschalreisen und Hotels, bei denen es eher wenig Preisdruck gibt, werden weniger konsumiert. Allerdings werden die Warenkörbe in der Regel nur zu Beginn eines Kalenderjahres angepasst. Aktuell wird die Inflation zu niedrig gemessen angesichts des wirklichen Konsumverhaltens”, erläutert er. Sobald aber die Anpassung des Warenkorbs für die Statistik erfolge, werde das dann einen steigernden Effekt auf die Inflation haben. “In UK können wir Brexit-bedingt steigenden Preisdruck durch zusätzliche Zölle oder Lieferengpässen bekommen. Sollte das britische Pfund abwerten, würde das die Inflation zusätzlich erhöhen”, sagt er. Gewaltiges KonjunkturpaketAuch die Maßnahmen der Regierungen auf der jeweiligen nationalen Ebene und das beim jüngsten EU-Gipfel beschlossene Paket an Wirtschaftsmaßnahmen seien nicht ohne Einfluss auf die Teuerungsentwicklung. “Es kommt ein gewaltiges Konjunkturpaket auf uns zu, das wir aber auch brauchen”, sagt Brauer. Die nationalen Staaten hätten zudem ihre Verschuldung bereits hochgefahren, und jetzt nehme zusätzlich noch die EU Kredite auf, die sie erst in ferner Zukunft zurückzahlen müsse. Die Notenbanken würden zugleich die Staatsschulden monetarisieren. Die EZB hat ein gewaltiges Kaufprogramm (PEPP) aufgelegt, das mindestens bis Mitte 2021 die Märkte in Schach halten wird. Denn es werden enorme Summen in die Bondmärkte der Eurozone gepumpt.”Die EZB stellt damit sicher, dass die zusätzlichen Staatsanleihen, die emittiert werden, Abnehmer finden und sich die Staaten günstig finanzieren können. Aber auch für den privaten Sektor werden die Finanzierungsbedingungen verbessert”, führt er aus. Denn die EZB kauft auch Unternehmensanleihen, worüber die Konditionen für die Firmen günstig gehalten werden. Private Haushalte profitieren darüber, dass auch die Bankzinsen oder Hypothekenzinsen nicht steigen, da über die EZB-Bondkäufe wie etwa bei Covered Bonds niedrig gehalten werden. Auch das sorgt für Entlastung. Wie reagiert die EZB?Damit stellt sich für manchen Marktteilnehmer die Frage, ob es in diesem Umfeld sogar zu einem Überschießen des Inflationsziels der EZB von nahe 2 % kommen könnte und ob die Märkte das tolerieren werden. “Die Staaten werden natürlich versuchen, sich über Inflation zu entschulden. Ein realistisches Szenario ist die Finanzrepression, bei der die Zinsen dauerhaft niedriger sind als die Inflation. Die interessante Frage wird sein, auf welche Art und Weise die EZB gezwungen sein könnte, da mitzumachen. Ein Grund könnte sein, dass in Italien antieuropäische Tendenzen wieder zunehmen”, meint Brauer. Geldmenge M3 legt zuDer Grund, warum die expansive Geldpolitik der EZB nach der Finanzkrise nicht zu einer stärkeren inflationären Entwicklung geführt habe, sei, dass zwar die Zentralbankgeldmenge M0 gestiegen sei, die weiter gefassten Geldmengenaggregate M1 bis M3 aber nicht so sehr. “Das private Kreditwachstum hat sich zumindest erholt, war aber nicht dynamisch genug, um starke Inflation zu erzeugen. Nun steigt aber beispielsweise M3 deutlich, weil jetzt ja die Staatsverschuldung hinzukommt”, so Brauer. Es sei somit durchaus möglich, dass das 2 %-Ziel der EZB erreicht werde und die Marktteilnehmer nach jahrelanger Unterschreitung des Zielwertes dieses Überschießen dann in einer Art Erleichterung auch erstmal tolerieren. Erschwerter WettbewerbDie Covid-19-Krise stellt die Unternehmen vor erhebliche Herausforderungen. Firmen kommen in Liquiditätsschwierigkeiten, die nicht in kurzer Zeit wieder ausgestanden sein werden. Umsätze brechen weg, Gewinne schmelzen in Windeseile zusammen, tiefrote Zahlen sind an der Tagesordnung. Kreditereignisse werden zunehmen, und noch ist nicht absehbar, wie stark der Bankensektor in Mitleidenschaft gezogen wird. Denn die Zahl der Defaults nimmt in den kommenden Monaten eher zu als ab. Der Konzentrationsprozess in einigen Branchen wird sehr stark ausfallen. Das hat vielerorten auch Auswirkungen auf eine stärkere Preissetzungsmacht der jeweiligen dominierenden Marktplayer. “Die Standardthese ist, dass Digitalisierung zu mehr Transparenz und mehr Wettbewerb führt. Aber es gibt in der digitalen Wirtschaft Konzentrationsprozesse aufgrund von Netzwerkeffekten, die Wettbewerb erschweren”, sagt Brauer.Und durch die Deglobalisierung werde der internationale Wettbewerb eingeschränkt. “Wir sehen aber eher eine stärker werdende Preissetzungsmacht von Unternehmen in vielen Branchen.” Die Insolvenzen werden Brauers Einschätzung zufolge noch zunehmen und die Preissetzungsmacht durch den abnehmenden Wettbewerb langfristig zunehmen. “Kurzfristig wirkt aber die Zurückhaltung bei Konsum und Investitionen, wenn Betriebe in Schwierigkeiten geraten, was zunächst eher für moderate Inflation spricht”, sagt er. Wenn die Krise sich über einen längeren Zeitraum hinziehe, könne es sein, dass die Inflationserwartungen gedämpft würden, was dann tatsächlich zu niedriger Inflation führe. Es sei aber eher unwahrscheinlich, dass sich Erwartungen stetig sinkender Preise etablieren könnten. “Selbst wenn sich die Sparquote bei privaten Haushalten erhöhen sollte, entsparen die öffentlichen Haushalte, d. h. nationale Staaten und dann auch die EU. Und die Unternehmen könnten ihren Investitionsstau auflösen und wieder mehr investieren, wenn die Unsicherheit vorüber ist”, führt Brauer aus.Im Blick hat Brauer aber auch den Nachholkonsum der privaten Haushalte und die diesbezüglichen Wirkungen auf die Inflationsentwicklung. “Viele Dienstleistungen konnten oder können derzeit nicht nachgefragt werden, und die Anschaffung dauerhafter Konsumgüter wird vertagt. Auch die Unsicherheit trägt dazu bei, dass der Konsum aufgeschoben wird. Ist ein Ende der Pandemie in Sicht, wird ein Großteil dieses Konsums nachgeholt”, so seine Prognose. Die Umlaufgeschwindigkeit des Geldes sinke somit zunächst noch, steige aber später an. “Viel zu pessimistisch”In dieser Gemengelage stellt sich für weite Anlegerkreise die Frage, ob die inflationsgeschützten Anleihen — zum Beispiel des Bundes – derzeit als ein chancenreiches Investment anzusehen sind. “Ja, wegen des relativ geringen Spreads der realen Rendite von Linkern relativ zu nominalen Anleihen, der sogenannten Breakeven-Inflation. Gerade die Break-even-Inflation – also die Inflation, bei deren Eintritt ein Anleger indifferent ist, ob er in nominale oder reale, d. h. inflationsgeschützte Anleihen investiert, weil keine einen Vorteil beschert – aus dem Euroraum habe nicht so sehr an der Erholung seit März 2020 teilgenommen, wie es etwa in den USA der Fall war. Bei fünf Jahren sind es derzeit in etwa 50 Basispunkte Break-even-Inflation im Euroraum. “Das ist viel zu pessimistisch. Die Inflation wird später deutlich darüber liegen, also in den Jahren 2021 und 2022. Bei kürzeren Laufzeiten wie etwa drei Jahren liegt die Break-even-Inflation noch unter 50 BP.” Bund seit 2006 vertretenDer Bund ist seit dem Jahr 2006 mit Emissionen im Linker-Markt vertreten. Für den Bund ist das somit kein Neuland mehr. “Ich kann mir hierzulande aber durchaus noch Wachstum in diesem Segment vorstellen. Und es ist durchaus möglich, dass weitere EU-Länder hinzukommen, die Linker emittieren”, sagt er. Die Inflationsbonds entwickeln sich laut Brauer in Zeiten einer expansiven Geldpolitik gut. Derzeit würden sie von sinkenden nominalen Renditen und steigenden Break-even-Inflationsraten im Zuge abnehmender Risikoaversion profitieren.