IM INTERVIEW: ROBERT BAUR, PRINCIPAL GLOBAL INVESTORS

"Gute Erträge im nächsten Jahrzehnt schwer zu finden"

Chefvolkswirt: Für US-Aktien sind die Bewertungen sehr hoch und die Gewinnerwartungen recht robust - Ergebniswachstum gerät ins Hintertreffen

"Gute Erträge im nächsten Jahrzehnt schwer zu finden"

Robert Baur, Chefvolkswirt von Principal Global Investors, befürchtet, dass die aktuelle Rally an den Aktienmärkten die letzte vor dem Ende der bereits sehr langen Expansion der US-Wirtschaft sein wird. Er traut ihnen zwar vorerst weiter steigende Kurse zu, ist aber u. a. aufgrund hoher Bewertungen skeptisch. Eine Rezession erwartet er aber frühestens im Jahr 2021. Herr Baur, wird der Coronavirus die chinesische Wirtschaft beeinträchtigen?Ja, sicher, zumindest vorübergehend. Wenn man davon ausgeht, dass dieser Ausbruch ähnlich oder zumindest nicht schlimmer ist als die Sars-Epidemie Anfang 2003, könnte sich das BIP-Wachstum für etwa ein Quartal im Vergleich zum Vorjahr um 1 bis 2 % verlangsamen. Das Wachstum würde jedoch wahrscheinlich im darauf folgenden Quartal wieder ansteigen. Werden die Maßnahmen der Regierung zur Stimulierung der Wirtschaft hilfreich sein?Die chinesische Regierung wird alles tun, um die Wirtschaft zu stützen und das Funktionieren der Märkte zu gewährleisten. Dazu wird sie gezielte Stimuli einsetzen. Die werden vermutlich stärker sein, als das, was die Regierung zuvor unternommen hat. Ihre Maßnahmen gegen den Abschwung des Jahres 2019 waren nämlich mäßig erfolgreich. Die Impulse kamen zögerlicher – im Vergleich zu früher, wo sie kreditfinanzierten Orgien glichen. Jetzt waren es Steuersenkungen, niedrigere Reserveanforderungen, höhere Infrastrukturausgaben, niedrigere Zinssätze und die Ausgabe ausgewählter regionaler Anleihen. Die Behörden haben also versucht, das übermäßige Schuldenwachstum einzudämmen und die Verschuldung unter Kontrolle zu halten. Als richtig erwiesen hat sich diese Vorsicht durch nie dagewesene Zahlungsausfälle bei Anleihen. Wie stark wird die Erholung sein?Das Wachstum hat sich noch in 2019 stabilisiert, wird aber nicht nach oben weglaufen. Chinas wenig inspirierende Erholung kann also nicht wie in 2017 der Motor eines starken weltweit synchronisierten Wachstums sein. Da Chinas Importmaschine nicht so wie früher in Gang gekommen ist, wird auch der Schwung für die Weltwirtschaft gedämpft bleiben. Können dann die USA die treibende Kraft für eine dynamische Erholung des globalen Wachstums sein?Wahrscheinlich nicht so sehr wie in der Vergangenheit. Es gibt mehrere Anzeichen, die sehr typisch für das Ende einer Expansion sind und die darauf hindeuten, dass der derzeitige Aufschwung in den USA nicht so stark und nicht so lange wie in der Vergangenheit sein wird. Dennoch wird die größte Weltwirtschaft den weltweiten Aufschwung sicherlich unterstützen, wenn das US-Wachstum auf 2,5 % oder mehr ansteigt, wie wir es für dieses Jahr tatsächlich erwarten. Besteht die Gefahr einer Rezession?Wahrscheinlich nicht vor 2021, oder sogar noch später. Insgesamt ist aber das Gewinnwachstum der amerikanischen Unternehmen aufgrund von Lohnzuwächsen ins Hintertreffen geraten. Auch die höheren Zinskosten – nicht wegen steigender Zinsen, aber wegen steigender Schuldenlast – drücken auf das Ergebnis. Wenn sich die Lohnzuwächse weiterhin – wie wir erwarten – beschleunigen, könnten sich die Gewinne sogar in Verluste verwandeln. Das würde das Beschäftigungswachstum und die Investitionsausgaben beeinträchtigen und könnte irgendwann im Jahr 2021 zu einer leichten Rezession in den USA führen. Haben die Aktienmärkte weiteres Aufwärtspotenzial?Die Aktienkurse haben Mitte Januar fast den Bewertungshöhepunkt vom Januar 2018 erreicht. Dies deutete auf einen Abwärtstrend oder zumindest auf einen flachen Markt hin, um für eine Weile die Extreme im Optimismus zu korrigieren. Das scheint als Reaktion auf die Virusnachrichten jetzt zu geschehen. Sollte das weltweite Wachstum jedoch schließlich wieder anziehen, wie wir es erwarten, dürfte es zumindest eine vorübergehende und bescheidene Aufwärtsbewegung der Aktienkurse geben. Vorausgesetzt, dass es nicht zu einer dramatischen Eskalation der Konflikte im Nahen Osten oder der Virusepidemie kommt. Sind die Markterwartungen für das Gewinnwachstum des S&P 500 realistisch?Für US-Aktien sind die Bewertungen sehr hoch und die Gewinnerwartungen recht robust. Ich glaube nicht, dass die Gewinne der im S&P 500 gelisteten Unternehmen in diesem Jahr um 10 % oder 11 % steigen werden. Das ist aber die Größenordnung, die derzeit auf den Gewinnschätzungen steht. Welcher Aufwärtstrend auch immer für US-Aktien übrig bleibt, er wird wahrscheinlich langsam und zäh sein. Was erwarten Sie für das Gewinnwachstum?Für das Jahr 2020 wird das Gewinnwachstum für den S&P-500-Index wahrscheinlich weniger als 5 % betragen, was auf ein schnelleres Lohnwachstum und höhere Zinskosten aufgrund der zunehmenden Schuldenlast zurückzuführen ist. Viele Experten sind der Meinung, dass die Bewertung der Aktienmärkte zu hoch ist, insbesondere in den USA. Stimmen Sie dem zu?Zumindest in den USA sind die Bewertungen im historischen Vergleich sicherlich hoch. Die Kurs-Gewinn-Verhältnisse von US-Aktien sind aber auch im Vergleich zum Rest der Welt hoch. In vielen Schwellenländern sind die Bewertungen viel niedriger als in den USA und könnten einen besseren Wert darstellen. Der Bullenmarkt ist fast elf Jahre alt. Wann erwarten Sie, dass er zu Ende geht?Wie lange der gegenwärtige Aufschwung an den Märkten auch anhält – es wird wahrscheinlich die letzte Rally vor dem Ende dieser historisch langen Expansion der US-Wirtschaft sein. Sie ist jetzt gerade in der Mitte ihres elften Jahres angekommen und hat – zum ersten Mal übrigens – ein ganzes Jahrzehnt ohne Unterbrechung durch eine Rezession überdauert. Können Aktienanleger im neuen Jahrzehnt attraktive Renditen erwarten?Generell werden gute Erträge im nächsten Jahrzehnt sehr schwer zu finden sein. Es gibt ein paar Kennzahlen, die durchaus Prognosekraft für die Renditen in den nächsten zehn Jahren haben. Sie alle deuten auf niedrige durchschnittliche jährliche Durchschnittsrenditen hin in den USA. Da ist zum einen das Verhältnis der Marktkapitalisierung zum Wiederbeschaffungswert eines Unternehmens, das sogenannte “Tobin’sche Q”, benannt nach James Tobin. Es liegt heute bei annähernd zwei, während sein historischer Mittelwert unter eins liegt. Ein weiterer Indikator ist das Verhältnis der gesamten US-Marktkapitalisierung zur nominalen Größe der US-Wirtschaft. Auch dieser Lieblingsindikator von Warren Buffet liegt weit über seinem historischen Durchschnitt und bereits sehr nahe am Höhepunkt des Jahres 2000. Schließlich das sogenannte Shiller-KGV. Sein aktueller Wert von über 30 ist zwar noch weit entfernt von seinem historischen Hoch von 45. Man muss aber daran erinnern, dass ein solcher Wert nur zweimal im letzten Jahrhundert überschritten wurde – 1929 und 2000. Eine letzte Zahl: Nur in den 60er Jahren und zum Ende des letzten Jahrhunderts war der Anteil der Aktien am gesamten Finanzvermögen der US-Haushalte höher als heute. Was sagen uns all diese Zahlen?Sie sind vor allem ein Indiz für ein hohes Maß an Begeisterung in der Öffentlichkeit für Aktien. Der durchschnittliche Anleger ist heute sehr optimistisch und das hat die Kurse in die Höhe getrieben. In der Vergangenheit war dies zumindest ein Kontraindikator für die künftigen Renditen auf längere Sicht. Das Interview führte Christopher Kalbhenn.