IM INTERVIEW: DAVID OLDER UND ROSE OUAHBA, CARMIGNAC

"Hausse des Tech-Sektors fundamental gerechtfertigt"

Fondsmanager: Aktien relativ zu Anleihen sehr attraktiv bewertet - Geldpolitik der amerikanischen Notenbank spricht für Risiko-Assets

"Hausse des Tech-Sektors fundamental gerechtfertigt"

Der Assetmanager Carmignac sieht für die Hausse der Technologieaktien das Ende der Fahnenstange noch nicht erreicht. Nach Einschätzung von David Older, der zusammen mit Rose Ouahba den Carmignac Patrimoine verantwortet, ist die Hausse fundamental untermauert. Herr Older: Die Technologieaktien befinden sich auf einer spektakulären Rekordjagd, während die meisten übrigen Marktbereiche eher mäßig abschneiden. Kann die Tech-Rally nachhaltig sein?Older: Es gibt verschiedene Treiber für die Technologie-Hausse. Sie werden unter anderem von dem makroökonomischen Umfeld gestützt. Wir haben eine weltweite Bewegung der Zentralbanken, die versuchen, die Zinsen für lange Zeit auf dem niedrigen Niveau zu halten. Sie werden in der absehbaren Zukunft bei beziehungsweise unter 0 % bleiben, was ein bedeutender Rückenwind für Assets mit langen Laufzeiten ist. In diesem Niedrigzinsumfeld haben sich Unternehmen mit strukturellem Wachstum, insbesondere aus der Technologiebranche, überdurchschnittlich entwickelt. Hinzu kommt das niedrige Wirtschaftswachstum. Die Branche weist ein im Vergleich zum Rest des Marktes überlegenes Wachstumsprofil auf. Die Hausse des Tech-Sektors, insbesondere des Internet-Bereiches, ist fundamental gerechtfertigt. Welche Rolle spielt die Coronakrise?Older: Sie ist ein weiterer wichtiger Faktor. Durch den Stillstand der Weltwirtschaft hat sie die relative Attraktivität der Branche gegenüber dem Rest des Marktes verstärkt. Die Unternehmen und ihre Geschäftsmodelle sind gestärkt worden, durch einen Schub für die Digitalisierung. Geschlossene Geschäfte begünstigen den E-Commerce, das Home Working die Nachfrage nach cloudbasierter Software und Infrastruktur. Das sind signifikante Rückenwinde für die Geschäftsmodelle. In den USA ist der Anteil des E-Commerce am Einzelhandel von 8 % vor fünf Jahren auf 15 % im Februar 2020 gestiegen. Anschließend ist der Anteil innerhalb von nur zwei Monaten auf 40 % hochgeschnellt. Ähnliches ist in etlichen anderen Bereichen zu beobachten, etwa in der Gaming-Branche und im Streaming-Geschäft. Wie nachhaltig können die Trends sein angesichts der Normalisierung, die zu erwarten wäre, wenn es einen Corona-Impfstoff gibt?Older: Wenn es eine Normalisierung gibt, wird sich das Wachstumstempo in den genannten Branchen abschwächen. Aber sie werden nachhaltig weiter wachsen. Viele Konsumenten lernen jetzt die Annehmlichkeiten der digitalen Dienstleistungen erst kennen. Es ist schwer vorstellbar, dass das nach der Pandemie wieder komplett zurückgedreht wird, so etwa im Bereich digitales Zahlen. Viele Menschen wollen Bargeld nicht mehr anfassen. Ältere Menschen sind jetzt ebenfalls verstärkt dazu übergegangen, Bargeld nicht mehr zu nutzen. Ähnliches gilt für Streaming-Dienste wie Netflix und für das Home Working. Werden die Bewertungen in der Technologiebranche denn nicht allmählich anspruchsvoll?Older: Seit dem Februar ist es zu einer Bewertungsexpansion gekommen. Aber wir glauben, dass das gerechtfertigt ist. Wir sehen in den Bewertungen auch keinen Überschwang. Derzeit liegen die gleitenden Zwölf-Monats-KGVs im niedrigen bis mittleren Zwanzigerbereich. Während der Dotcom-Blase waren die Bewertungen höher, und außerdem hatten sich die Geschäftsmodelle vieler Technologieunternehmen noch nicht bewährt. Jetzt sind diese Unternehmen so profitabel wie noch nie. Ihre Geschäftsmodelle funktionieren. Die Performance ist verdient. Es gibt aber durchaus Ausnahmen wie Apple und Tesla, die überproportional gestiegen sind. Teilweise ist dies auf die jüngsten Aktien-Splits zurückzuführen. Dass Aktien deswegen stark steigen, ergibt aus fundamentaler Sicht keinen Sinn. Frau Ouahba: Die europäische Marktaufsicht ESMA hat kürzlich gewarnt, dass es ein hohes Risiko einer Marktkorrektur, die auch ein signifikantes Ausmaß annehmen kann, gibt. Wie hoch ist dieses Risiko Ihrer Einschätzung nach?Ouahba: Wir erleben einen zweigeteilten Markt. Auf die fünf Mega Caps des Technologiesektors entfallen mittlerweile rund 25 % der Marktkapitalisierung des S&P 500. Die Mehrheit des Marktes hat eine solche Performance nicht gesehen. Eine nochmalige Korrektur halten wir durchaus für möglich. Wenn der Markt um 5 bis 10 % nachgeben würde, wäre das auch gesund. Uns würde eine erneute Korrektur auch nicht überraschen. Es gibt aber eindeutige fundamentale Gründe für den Aufschwung der Aktienmärkte und keinerlei Zeichen von Exzessen. Aktien sind relativ zu Anleihen sehr attraktiv bewertet. Die Dividendenrenditen der meisten Aktien des S&P 500 sind höher als die Verzinsung zehnjähriger Treasuries. Wie wird sich die vom Fed-Chairman Jerome Powell angekündigte neue Strategie der US-Zentralbank auswirken?Ouahba: In den kommenden Wochen werden wir wahrscheinlich konkrete Aktionen der Fed sehen. So könnte sie dazu übergehen, Wertpapiere mit Laufzeiten von mehr als fünf Jahren zu kaufen, um Duration aus dem Markt zu nehmen, so dass sie auch am langen Ende die Zinsen niedriger verankern wird. Letztlich sollen die Inflationserwartungen erhöht werden. All dies spricht weiter für Risiko-Assets. Zunächst könnten die Investoren im Oktober und November im Umfeld der US-Wahlen aber Gewinne mitnehmen und Risiko reduzieren. Seit zwei Jahren leiten Sie und Herr Older gemeinsam den Carmignac Patrimoine. Mit welchen Vorstellungen sind Sie an diese Aufgabe herangegangen?Ouahba: Wir haben uns damals dazu entschieden, einen neuen Blick auf den Fonds und die mit ihm verbundenen Erwartungen zu werfen. Der Carmignac Patrimoine war mehr als 20 Jahre lang ein Vorbild für viele flexibel anlegende Fonds. Wir kamen zu dem Schluss, dass wir mehr als ein Relative-Performance-Mandat haben, nämlich auch ein Risikomanagement-Mandat. Zudem haben wir regelmäßig Performance-Treiber identifiziert. Die Stärke in der Asset-Allokation im Anleihebereich – Unternehmensanleihen, Schwellenländeranleihen et cetera – war für die Performance entscheidend.Older: Im Aktienbereich ist unser Ansatz, durch disziplinierte Prozesse Alpha zu generieren. Es geht darum zu entscheiden, in welche Sektoren investiert wird, sowie um die Selektion innerhalb dieser Sektoren. Bei der Suche nach interessanten Titeln ist für uns eigenes Primär-Research wichtig, denn alle öffentlichen Informationen sind in den Aktien enthalten. Wir machen beispielsweise Umfragen bei Unternehmen, Kunden et cetera. Damit glauben wir signifikantes Alpha generieren zu können. Welche Sektoren stehen bei Ihnen im Vordergrund?Older: Die Bereiche Technologie/Internet, Healthcare und Konsum stehen in unserem Aktienportfolio im Fokus. Sie haben im Vergleich zum Jahresanfang den Anteil der Schwellenländeranleihen in Ihrem Portfolio deutlich reduziert. Was war der Grund dafür?Ouahba: Wir haben bei den Schwellenländerstaatsanleihen Gewinne mitgenommen. Wir hatten Positionen in osteuropäischen Ländern und haben gesehen, dass die Zinsen stark gesunken sind. Mit unserer Flexibilität zögern wir nicht, gegebenenfalls Gewinne mitzunehmen. Wie hat sich der Patrimoine in diesem von der Coronakrise geprägten Jahr geschlagen?Ouahba: Unser flexibles Mandat war sehr hilfreich. Wir waren in der Lage, unser Aktien-Exposure schnell zu reduzieren. Unser Aktienanteil lag bei 50 %, und wir konnten ihn im März schnell auf nahe null zurückfahren. Dadurch konnten wir unsere Anleger in sehr unsicheren Zeiten vor Verlusten schützen.Older: Gemacht haben wird dies durch Future-Positionen, denn wir wollten unser Kern-Aktienportfolio behalten. Dann haben wir Gelegenheiten gesehen, als sich die Lage stabilisierte, nicht zuletzt dank der Stützungsmaßnahmen.Ouahba: Wir haben zunächst unsere Positionierung im Unternehmensanleihebereich erhöht. Die Credit-Märkte erreichten vor den Aktienmärkten den Boden, weil die Unternehmen begannen, Dividenden zu kürzen und Investitionen zurückzuführen, also Bondholder-freundliche Maßnahmen ergriffen. Zudem gab es eine Emissionswelle, was die Gelegenheit bot, viele Credits zu günstigen Preisen zu erwerben.Older: Anschließend haben wir mehr Vertrauen in die Erholung gewonnen und die Future-Positionen wieder abgebaut. In den letzten Monaten lag unser Aktienanteil im mittleren bis hohen 40er Prozentbereich. Wir konnten 97 % der Fonds in unserer Kategorie seit Anfang des Jahres outperformen. Wie hoch ist der Ertrag in diesem Jahr?Ouahba: Per Ende August haben wir einen Ertrag von 6,5 % erzielt. Spielt Gold in Ihrer Strategie eine Rolle?Older: Wir haben in Gold ein hohes Exposure von 7 bis 8 %, allerdings nicht direkt, sondern über Goldminenaktien. Die Folgen von Covid-19, die ultralockere Geldpolitik und die umfangreichen Fiskalpakete machen diese Aktien interessant. Angesichts der befürchteten Geldentwertung wird Gold stärker als Wertbewahrungsmittel angesehen, als dies in den zurückliegenden Jahren der Fall war. Wir sind nach wie vor von Goldminen überzeugt und bleiben investiert. Das Interview führte Christopher Kalbhenn.