China

Historische Ohrfeige

Chinas politische Weichenstellungen nach dem großen Parteikongress führen zu panischen Reaktionen an der Hongkonger Börse. Die Anleger misstrauen dem wirtschaftspolitischen Kurs in der nun angebrochenen dritten Amtszeit des Präsidenten Xi Jinping.

Historische Ohrfeige

Chinas großer Parteikongress hat der Nation und der Welt vor Augen geführt, wohin die politische und auch wirtschaftspolitische Reise im Reich der Mitte führen wird. Gleichzeitig zeigen neue Konjunkturdaten, die während der Parteitagswoche nicht verbreitet werden durften, dass Chinas Wirtschaft aus der von anhaltenden Corona-Restriktionen herbeigeführten Misere kaum noch herausfindet. Staats- und Parteichef Xi Jinping weitet mit dem Antritt einer eigentlich nicht vorgesehenen dritten Amtsperiode seine bislang schon bedenkliche Machtfülle praktisch grenzenlos aus und wird die Wirtschaftspolitik künftig im Alleingang bestimmen. Seine Prioritäten liegen eindeutig bei der Sicherheitspolitik, was nicht gerade für eine Lockerung der wachsenden Staatskon­trolle über die Privatwirtschaft oder gar marktfreundliche Reformen spricht. Dokumentiert und zementiert wird dies mit einem erbarmungslosen Revirement der Führungspositionen im Politbüro, das jetzt ausschließlich mit engen Verbündeten und treu ergebenen Jasagern besetzt worden ist. Sämtliche Kandidaten für die Führungsgremien, die sich für wirtschaftliche Kompetenz und so etwas wie Reformbereitschaft und Marktorientierung verbürgt hatten, wurden nicht berücksichtigt und verschwinden von der Bildfläche.

Xi hat deutlich gemacht, dass er zu keinerlei Machtteilung bereit ist und auch mit der bislang geltenden Usance, dass die Wirtschaftspolitik dem Premierminister und seinem Regierungsapparat unterliegt, de facto aufräumt. Damit gibt es auch keine Mechanismen mehr, die Pragmatikern eine Kurskorrektur erlauben, wenn das parteipolitische Diktat zu wirtschaftlichen Verwerfungen führt, wie sie die von Xi diktierte Corona-Nulltoleranzpolitik mit sich bringt.

Am Finanzplatz Hongkong – „Chinas Tor zur Welt“ – scheint man die Botschaft immerhin verstanden zu haben. Die Anleger begeben sich auf die Flucht. Der Leitindex Hang Seng ist am Montag um 6,4 % eingekracht. Das ist nicht nur der größte Tagesverlust seit der globalen Finanzkrise von 2008, sondern führt auch zu einem Vierzehnjahrestief. Vielleicht bezeichnender noch ein historischer Verweis: Der Hang Seng steht praktisch auf demselben Niveau wie im Juli 1997, als Hongkong von der britischen Krone an China zurückgegeben wurde. So gesehen haben sich 25 Jahre chinesischer Wirtschaftsaufschwung in der Bewertung der international geprägten Hongkonger Marktgemeinde in Luft aufgelöst, und das nur binnen eines Jahres. Vernichtender kann ein Urteil über Chinas aktuelle Wirtschaftslenkungskompetenz wohl nicht ausfallen.

BZ+
Jetzt weiterlesen mit BZ+
4 Wochen für nur 1 € testen
Zugang zu allen Premium-Artikeln
Flexible Laufzeit, monatlich kündbar.