Hongkong darf auf IPO-Spitzenplatz hoffen

Entspannung im Handelskonflikt und Unruhen dürften Aktienmarkt durchwachsene Entwicklung bescheren

Hongkong darf auf IPO-Spitzenplatz hoffen

Von Ernst Herb, HongkongIn Hongkong dominieren nach sechs Monaten zunehmend gewaltsam gewordener Proteste leere Läden und Restaurants das Stadtbild. Dabei zeichnet sich nach wie vor kein Ende der Proteste in der stark von Dienstleistungen abhängigen Volkswirtschaft ab, steht den Forderungen der politischen Reform fordernden Demokratiebewegung doch eine unverändert harte Haltung der chinesischen Zentralregierung gegenüber. Darüber hinaus hat die kleine und weltoffene Volkswirtschaft Hongkong im Verlauf der vergangenen Monate auch zunehmend die Auswirkungen des amerikanisch-chinesischen Handelskriegs zu spüren bekommen. BIP schrumpft um 1,9 ProzentGemäß Schätzungen des Internationalen Währungsfonds ist das Bruttoinlandsprodukt der Stadt im zurückliegenden Jahr 1,9 % geschrumpft und wird 2020 gerade einmal um 0,2 % wachsen. Bemerkenswerterweise hat die tiefe Rezession bisher kaum auf die Stimmung am lokalen Aktienmarkt durchgeschlagen. Allerdings hat der Hang- Seng-Index der Hong Kong Exchanges and Clearing (HKEX) im zurückliegenden Jahr nur um unterdurchschnittliche 9,1 % zugelegt.Das anhaltende Vertrauen der Investoren in die Stabilität des internationalen Finanzzentrums spiegelt sich auch darin wider, dass die Hongkonger Börse 2019, was das Finanzvolumen betrifft, in Sachen Börsengänge noch vor der Nasdaq weltweit den Spitzenplatz eingenommen hat. Die in diesem Zeitraum getätigten Börsengänge spülten den insgesamt 169 Unternehmen 314 Mrd. Dollar in die Kasse.Für Aufsehen sorgte neben der Börseneinführung der asiatischen Tochter des global größten Bierbrauers Anheuser-Busch Inbev vor allem die Zweitnotierung des chinesischen Tech-Giganten Alibaba. Bereits jetzt zeichnet sich ab, dass auch im neuen Jahr eine ganze Reihe namhafter Unternehmen ihr Börsendebüt geben werden. Das Beratungsunternehmen PwC geht davon aus, dass Hongkong auch 2020 einen weltweiten IPO-Spitzenplatz belegen wird. Den Weg dazu geebnet hat eine bereits 2018 angepasste Regelanpassung. Die Anpassung ermöglicht die Emission verschiedener Aktienklassen, die es den Gründern von Unternehmen erlauben, auch nach einem Börsengang über Aktien mit Mehrfachstimmrechten die Kontrolle zu behalten. Syngenta Group ein KandidatDiese Neuerung hat 2019 den Weg für den chinesischen Online-Händler Alibaba an die HKEX geebnet. Nach Einschätzung von PwC wird dies im Verlauf der kommenden Monate auch eine ganze Reihe anderer namhafter chinesischer Techfirmen nach Hongkong locken. Zumindest mittelfristig könnte auch der einst an der Schweizer Six gelistete schweizerisch-chinesische Agrochemiekonzern Syngenta in Hongkong an die Börse gebracht werden. Das folgt der am Sonntag angekündigten Schaffung einer neuen Konzernstruktur. Künftig wird der neu als Syngenta Group führende Konzern auch die Agrochemie-Aktivitäten des vom chinesischen Staat kontrollierten Chemieriesen Sinochem und der Syngenta-Mutter Chemchina unter einem Dach vereinen. Bereits bei der vier Jahre zurückliegenden Übernahme von Syngenta durch Chemchina hieß es, dass Syngenta zu einem späteren Zeitpunkt wieder an einen vorerst nicht festgelegten Aktienmarkt gebracht werden soll.Die anhaltende IPO-Welle dürfte nach Einschätzung von Analysten des japanischen Finanzhauses Nomura wie bereits 2019 auch in den kommenden Monaten gerade auch der Aktie der HKEX Auftrieb geben. Sie hat im Verlauf des vergangenen Jahres rund 20 % zugelegt und damit die Performance des Hang Seng deutlich übertroffen. Die Entwicklung des Gesamtmarktes dürfte allerdings wie bereits in den vergangenen Monaten weiterhin uneinheitlich ausfallen. Unter Abgabedruck dürften angesichts der anhaltenden politischen Krise weiterhin Aktien von auf die lokale Wirtschaft ausgerichteten Unternehmen wie etwa die im Hauptindex stark gewichteten Immobilienkonzerne stehen. Und das obwohl in ihren Kursen die politischen Risiken mittlerweile weitgehend enthalten sind.Doch wird das Geschehen an der Börse Hongkong von Unternehmen aus Festlandchina dominiert werden. Das Gewinnwachstum dieses Segments hat sich in den vergangenen zwei Jahren zwar verlangsamt. Doch hat es an der Börse Hongkong von der Mitte Dezember eingetretenen Entspannung und den jüngsten geldpolischen Lockerungsschritten der chinesischen Notenbank deutlich Auftrieb erhalten. Die anhaltenden politischen Spannungen in Hongkong einerseits und die sich verbessernden Nachrichten von der Handelsfront dürften an der Börse Hongkong in den kommenden Monaten für eine durchwachsene Entwicklung sorgen.