Im Markt für Hochzinsanleihen ist vieles eingepreist
Drastisch gestiegene Rohstoff- und Energiepreise, die nur zum Teil weitergegeben werden können, verunsicherte Verbraucher, die sich aus Furcht vor den kommenden Strom- und Gasrechnungen in Kaufzurückhaltung üben und Notenbanken, die mit ihren Zinsanhebungen die Refinanzierungsbedingungen in rasantem Tempo verschlechtern – für manche nicht nur der perfekte Sturm für die Kapitalbasis der Unternehmen, sondern auch der Vorbote für eine deutlich steigende Ausfallrate vor allem bei den Emittenten von High-Yield-Anleihen.
Natürlich stellt diese Mischung schon jetzt eine veritable Herausforderung für die Firmen in Europa dar. Und angesichts der zu erwartenden Zweitrundeneffekte bei der Inflation besteht Spielraum für weitere Straffungen der Geldpolitik. Noch dazu nähert sich die Phase einem Ende, in der die hohen Transportkosten das europäische verarbeitende Gewerbe vor dem mit günstigerer Energie produzierenden internationalen Wettbewerb geschützt haben. Doch viele Unternehmen passen sich in erstaunlichem Tempo den neuen Gegebenheiten an und haben beispielsweise die Abhängigkeit vom Gas bereits so substanziell verringert, dass sie eine Rationierung mit Kürzungen zwischen 15 und teilweise 30% verkraften können. In der Automobilindustrie macht sich gleichzeitig ein Sondereffekt bemerkbar: Das Angebot an Halbleitern hat sich dort mittlerweile wieder verbessert, sodass die Unternehmen jetzt die Aufträge abarbeiten können, die sich während der rund anderthalb Jahre des Chip-Mangels aufgestaut haben. Dies sind nur zwei Faktoren, die dafür gesorgt haben, dass sich die europäischen Unternehmen im ersten Halbjahr unter dem Strich besser als erwartet geschlagen haben.
Solide finanziert
Auch die Ausfallrate bei den High-Yield-Anleihen ist in Europa mit 0,7% weiter extrem niedrig. Der wichtigste Grund dafür ist die gesunde Struktur der Emittenten: Mit mehr als 60% ist der Anteil der „BB“-Ratings etwa verglichen mit den USA sehr hoch, während die Quote der „CCC“-Bonitäten gleichzeitig relativ gering ausfällt. Auch der Rating-Trend ist bisher in diesem Jahr mit mehr Upgrades als Downgrades erstaunlich positiv gewesen. Hinzukommt die unverändert gute Ausstattung der Firmen mit Liquidität. Viele Emittenten haben sich in den vergangenen Jahren langfristig günstig refinanziert, sodass akuter Bedarf kaum vorhanden ist. Und schließlich haben die meisten Unternehmen von der konjunkturellen Erholung nach dem Ende der Coronavirus-Lockdowns profitiert und starten mit einer soliden Kapitalstruktur in die Krise.
Kurzfristig können die meisten Emittenten der Krise also durchaus trotzen. Zum Schwur kommt es erst in den Jahren 2024 und 2025, wenn der Refinanzierungsbedarf peu à peu deutlich zunehmen wird. Sollte die Wirtschaft dann unverändert schwächeln und der Zugang zum Kapitalmarkt aufgrund hoher Zinsen und weiter Spreads erschwert sein, könnte es für einige Unternehmen eng werden. So erwarten wir, dass die Ausfallrate im kommenden Jahr auf rund 2,5% steigen wird, womit sie aber weiter unter dem historischen Durchschnitt liegen würde. Auch der Rating-Trend dürfte sich dann drehen, da die Agenturen nach ein oder zwei Quartalen mit schlechten Zahlen und düsteren Ausblicken aktiv werden sollten. Eine fundamentale Prognose für die Zeit danach ist schwierig. Am Markt jedenfalls eingepreist ist derzeit eine Ausfallrate von 8% – und zwar in jedem der kommenden vier Jahre. Dieser Zeitraum erklärt sich dadurch, dass er der durchschnittlichen Laufzeit einer ausstehenden Anleihe im europäischen High-Yield-Universum entspricht. Dieses Szenario dürfte trotz der zahlreichen Unwägbarkeiten viel zu skeptisch sein. 8% und mehr in einem Jahr sind durchaus möglich, aber vier Mal in Folge sehr unwahrscheinlich.
Doch welche Überlegungen sprechen gegen solche Doomsday-Erwartungen? Während der Coronavirus-Pandemie haben Staaten und Notenbanken noch gemeinsam mit ihren gigantischen Rettungsprogrammen die Volkswirtschaften vor dem Totalschaden bewahrt. In der gegenwärtigen Krise fallen EZB & Co. zwar aus, dafür laufen die Regierungen aber zu ganz großer Form auf. Dies belegt beispielsweise der deutsche 200-Mrd.-Euro-Wumms zum Schutz von Verbrauchern und Unternehmen eindrucksvoll. KfW und Bund statt EZB könnte man also sagen. Und auch mit Blick auf beispielsweise Frankreich dürfte es ausgemachte Sache sein, dass der Staat die Insolvenz von großen Firmen aufgrund der Energiekosten verhindert. Und von denen gehören nicht wenige zu den wichtigen Emittenten von High-Yield-Anleihen in Europa. Daher könnte der Markt insgesamt besser unterstützt sein als gedacht.
Daneben können aktive Portfoliomanager die zahlreichen Investmentchancen nutzen, die sich ihnen aufgrund der hochgradigen Verunsicherung bei einzelnen Firmen bieten. Denn die Spreads haben sich wie über einen Kamm auch bei wenig zyklischen Unternehmen und selbst bei den Gewinnern der gegenwärtigen Krise deutlich ausgeweitet. Dazu folgendes Beispiel: In der Düngemittelindustrie ist Erdgas nicht nur ein wichtiger Energieträger für den Betrieb von Anlagen, sondern auch ein bedeutender Rohstoff. Die Preise haben sich jedoch regional höchst unterschiedlich entwickelt. Verglichen mit der Zunahme in Europa, ist der Anstieg etwa in Nordamerika beinahe zu vernachlässigen. Die Folge: Während hier Werke stillgelegt werden, fahren die Anbieter auf der anderen Seite des Atlantiks die Produktion nach oben und substituieren – unterstützt von sinkenden Transportkosten – das ausgefallene Angebot in Europa. Trotz dieses zusätzlichen Geschäfts haben sich deren Spreads aber trotzdem auch ausgeweitet. Zahlreiche weitere Beispiele finden sich bei Emittenten, die in großem Umfang Vermögenswerte verkauft haben. Damit wurde die Verschuldung teils deutlich abgebaut, weshalb die Refinanzierung von bestehenden Anleihen sehr viel wahrscheinlicher geworden ist. Teilweise kaufen die Unternehmen die Schuldtitel auch bereits zurück. Und in solche Firmen kann man weiter zu attraktiven Renditen investieren, da gute Nachrichten in der aktuellen Marktphase oft ignoriert werden. Unter dem Strich lässt sich also festhalten, dass die europäischen Emittenten von High-Yield-Anleihen zwar vor veritablen geopolitischen und makroökonomischen Herausforderungen stehen. Allerdings sind sie zumeist gut gerüstet und in vielen Fällen dürften die Regierungen nicht zögern, ihnen an die Seite zu springen.
Zahlreiche Gelegenheiten
Gleichzeitig ist der Markt auf längere Sicht günstig, was freilich nicht ausschließt, dass er auf kürzere Sicht noch einmal günstiger wird. Dann sollten Investoren jedoch kontrazyklisch mit von der Partie sein, da sich High-Yield-Anleihen in der Regel schneller als andere Anlageklassen erholen und der Markt in solchen Phasen zur Illiquidität neigt. Aktiven Portfoliomanagern bieten sich in diesen volatilen Zeiten noch dazu zahlreiche Gelegenheiten, von durch den Markt falsch eingeschätzten Risiken für einzelne Emittenten zu profitieren.
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