GASTBEITRAG ZUR SERIE ANLAGETHEMA IM BRENNPUNKT (73)

Immobilienaktien profitieren vom Niedrigzinsumfeld

Börsen-Zeitung, 1.6.2019 Immobilienaktien haben sich - dank des Niedrigzinsumfelds und dem damit verbundenen Immobilienboom - über die letzten Jahre prächtig entwickelt. Auch dieses Jahr legten sie bis dato deutlich zu. Neben der allgemeinen...

Immobilienaktien profitieren vom Niedrigzinsumfeld

Immobilienaktien haben sich – dank des Niedrigzinsumfelds und dem damit verbundenen Immobilienboom – über die letzten Jahre prächtig entwickelt. Auch dieses Jahr legten sie bis dato deutlich zu. Neben der allgemeinen Aktienmarkt- und speziell der Immobilienmarktentwicklung sind vor allem die Zinsen ein wesentlicher Performancetreiber – und zwar über viele Wege.Die relative Attraktivität der stabilen Mieteinkünfte leidet zum Beispiel, wenn die Zinsen steigen, insbesondere bei wachsenden Realzinsen. Ein nachhaltiger inflationsbedingter Zinsanstieg führt zwar zu steigenden Mieteinkünften, jedoch erst mit starker Verzögerung. Zudem geht in beiden Fällen die Nachfrage nach Immobilien aufgrund steigender Finanzierungskosten zumindest vorübergehend zurück. Deshalb stehen Immobilienpreise bei steigenden Renditen erst einmal unter Druck. Oft hoch verschuldetDarüber hinaus sind die Immobilienunternehmen meist recht hoch verschuldet. Steigende Refinanzierungskosten belasten da zusätzlich. Historisch gesehen wirkte sich ein Anstieg sowohl der Anleiherenditen als auch der Hypothekenzinsen entsprechend negativ auf die relative Wertentwicklung von Immobilienaktien oder Reits gegenüber anderen Aktien aus. Reits, kurz für “Real Estate Investment Trusts”, sind börsennotierte Immobilien-Aktiengesellschaften, die Immobilien besitzen und vermieten sowie bestimmte rechtliche Anforderungen erfüllen.In den letzten zehn Jahren ist jedoch eine Verschiebung bei diesen Wirkungskanälen zu beobachten. Die relative Wertentwicklung von Reits oder Immobilienaktien gegenüber anderen Aktien reagiert zunehmend stark auf Veränderungen der langfristigen Zinsen, während der Einfluss mittelfristiger Zinsen scheinbar abnimmt.Wesentlicher Grund ist, dass der Aspekt der Refinanzierungskosten der Reits – hier sind insbesondere die mittelfristigen Renditen relevant – gegenüber den positiven Effekten fallender langfristiger Anleiherenditen an Bedeutung verloren hat. Dies ist der anhaltenden Liquiditätsschwemme durch die Zentralbanken und dem damit einhergehenden Anlagenotstand der Investoren geschuldet.Mit dem Einsetzen der Renditejagd stiegen zum einen die Immobilienpreise und mit ihnen – wenn auch schwächer – die Mieten. Zum anderen spielten die stabilen und hohen Dividenden von Reits eine immer größere Rolle. Real Estate Investment Trusts wie auch andere dividendenstarke Aktientitel wurden für Anleger zunehmend eine Alternative zu Anleihen und konkurrieren dabei mit jenen Anleihen, welche die höchste Verzinsung bieten (das heißt dem langen Ende der Kurve).Dadurch steigt die Sensitivität zwischen den langen Renditen und der Entwicklung von Reits. Die Jahre seit 2014 haben gezeigt, dass die positiven Effekte fallender und niedriger langfristiger Zinsen dabei sogar die negativen Effekte von steigenden kurzfristigen Zinsen mehr als kompensieren können. Zumindest in den USA gingen stark sinkende langfristige Renditen mit steigenden kurzfristigen Renditen einher. Die US-Renditekurve hat sich seit dem Jahr 2014 um über 250 Basispunkte verflacht. Reits haben in diesem Umfeld eine starke Entwicklung gezeigt.Historisch gesehen konnten Reits dementsprechend aber nicht mehr mit Aktien Schritt halten, sobald die Renditen deutlich stiegen. Das schlechtere Abschneiden in Phasen stark steigender Zinsen geht auf die höhere finanzielle Verschuldung von Reits und deren Status als Titel mit anleiheähnlichem Charakter zurück, der ihnen angesichts ihrer hohen Dividendenrenditen zukommt. Die hohe Dividendenrendite von Reits wird bei steigenden Anleiherenditen relativ unattraktiver.Immobilienaktien weisen eine hohe Korrelation mit Aktien auf. Sie stellen riskante Vermögenswerte dar. In einer Rezession schneiden sie tendenziell schlechter als Staatsanleihen ab, in einem Aufschwung dagegen besser. Je höher das Wirtschaftswachstum und je geringer die Arbeitslosigkeit, desto besser für Reits.Weniger klar ist jedoch, ob es auch beim Abschneiden von Reits im Vergleich zum Aktienmarkt Gesetzmäßigkeiten in Bezug auf bestimmte Phasen des Konjunkturzyklus gibt – ob Reits also grundsätzlich defensiver oder zyklischer als der Aktienmarkt reagieren. Es gibt gute Gründe für die Annahme, dass Reits defensiverer Natur sein müssten als Aktien: zum Beispiel die stabilen Erträge aus Mieteinkünften, die hohe Ausschüttungsquote und damit die stabilen und hohen Dividenden. Zudem dürfte der Anteil langfristig orientierter institutioneller Anleger wie Pensionskassen oder Versicherungen bei Reits im Schnitt höher.Das Verhalten von Reits in den Konjunkturzyklen seit 1978 deutet jedoch nicht auf ein regelmäßiges Muster hin, was auf einen grundsätzlich defensiven Charakter von Reits schließen lassen könnte. In einigen Expansionsphasen schlugen Reits Aktien, in anderen schnitten sie schlechter ab. Dasselbe gilt für Rezessionen.Wie Reits im Vergleich zu Aktien abschneiden, lässt sich nicht anhand der jeweiligen Phase des Konjunkturzyklus erklären. Die ist einleuchtend, denn die Entwicklung des Immobilienmarktes und die strukturelle Entwicklung des Zinsniveaus spielt wie oben beschrieben für Reits eine bedeutende Rolle. So zeigt auch die dreijährige Sensitivität (auch Beta genannt) des US-Reits-Index gegenüber dem gleichgewichteten S&P 500, dass das Beta von Reits im Zeitablauf stark schwankt. Beispielsweise lag das dreijährige Beta von Reits in der Phase des Immobilienaufschwungs und -abschwungs in den Jahren von 2006 bis 2013 teilweise deutlich über 1, aber davor praktisch stetig unter 1. Gegenwärtig steht es bei circa 0,8 und damit deutlich höher als im Durchschnitt der 80er und 90er Jahre. Reits sollten entsprechend als riskante Vermögenswerte betrachtet werden, die ihren ehemals defensiven Charakter zumindest teilweise verloren haben. Attraktive BeimischungImmobilienaktien bleiben als Portfoliobeimischung weiterhin attraktiv: Das Immobilienangebot holt beispielsweise in Deutschland nur langsam auf, während die Nachfrage in den Großstädten immer weiter steigt. Die Zentralbanken agieren weiterhin vorsichtig. Die Renditejagd aufgrund des globalen Niedrigzinsumfelds sollte anhalten, was Reits weiterhin Unterstützung bieten sollte.Dafür spricht auch die zuletzt gefallene Wahrscheinlichkeit eines aggressiven US-Zinsanhebungspfads hin. Der Markt sieht momentan sogar eine höhere Wahrscheinlichkeit für Zinssenkungen als für Zinssteigerungen der amerikanischen Zentralbank. Und auch in der Eurozone dürften die Zinsen für längere Zeit niedrig bleiben. Neben dem langfristigen, demografisch bedingten Trend zu geringer Inflation, der durch die Digitalisierung noch verstärkt wird, spricht auch der hohe Schuldenstand in einigen Peripheriestaaten der Eurozone dafür, der es für die EZB schwierig macht, die Leitzinsen anzuheben. Deshalb dürften Renditeanstiege wohl nicht sonderlich hoch ausfallen, was wiederum positiv für die weitere Entwicklung von Immobilienaktien sein sollte. Ulrich Urbahn, Leiter Multi Asset Strategy & Research, Berenberg Zuvor erschienen: Die fünf Pfeile im Köcher der EZB (72), Hauck & Aufhäuser Innovationen in der Wasserversorgung (71), Pictet Asset Management