DEVISENWOCHE

Immunisierung des Dollars nicht in Sicht

Von Stefanie Holtze-Jen *) Börsen-Zeitung, 24.11.2020 Die geldpolitischen Reaktionen auf die Coronavirus-Pandemie haben zu einer beispiellosen Konvergenz der Zinsen und Zinserwartungen geführt und damit zwei der mächtigsten Treiber am Devisenmarkt...

Immunisierung des Dollars nicht in Sicht

Von Stefanie Holtze-Jen *)Die geldpolitischen Reaktionen auf die Coronavirus-Pandemie haben zu einer beispiellosen Konvergenz der Zinsen und Zinserwartungen geführt und damit zwei der mächtigsten Treiber am Devisenmarkt eliminiert. Dasselbe Szenario hatte sich bereits während der globalen Finanzkrise eingestellt.Die Devisenmärkte befinden sich deshalb seit März in den Fängen des Risikoappetits. Aufgrund ihrer hohen Sensitivität gegenüber den Bewegungen am Aktienmarkt eignen sich Devisen daher sehr gut, um risikoreiche Positionen an einem extrem liquiden Markt einzugehen oder aber bereits mit Anleihen oder Aktien eingegangene Risiken abzusichern. Das heißt, eine treffsichere Einschätzung der Gemütsschwankungen des Markts ist derzeit unerlässlich. Um davon unabhängige Devisengewinne zu erzielen, bieten sich hingegen nur vergleichsweise wenige Gelegenheiten.Statistisch signifikant wird der Dollar in den vergangenen drei Monaten ebenso wie Yen und Schweizer Franken als sicherer Hafen genutzt. Steigt also die Unsicherheit, oder besser gesagt das Risikoempfinden der Märkte, wertet der Dollar als sicherer Hafen auf, während er in Zeiten großen Risikoappetits abwertet.Mittlerweile ist die Einschätzung der Unsicherheit wieder so niedrig wie vor der Pandemie. Die US-Präsidentenwahl ist entschieden, und es besteht Aussicht auf die baldige Verfügbarkeit von Impfstoffen. Sogar die steigende Zahl der Neuinfektionen mit dem Coronavirus und die sich daraus ergebenden Restriktionen für Wirtschaft und Gesellschaft scheinen die Stimmung derzeit nicht zu drücken.Nehmen wir also an, dass die Aussicht auf hochwirksame Impfstoffe die globale Wirtschaft und auch die Kapitalmärkte zu einer gewissen Normalität zurückkehren lässt. Ist damit vielleicht auch der Zeitpunkt gekommen, dass Devisen, insbesondere der Dollar, nicht mehr ausschließlich auf Risikoschwankungen reagieren? Langfristige ErwartungenZur Beantwortung dieser Frage lohnt sich der Blick auf die Treiber des Devisenmarkts in “normalen” Zeiten. Makroökonomisch sind dies die Antizipation und die Auswirkung unkonventioneller Geldpolitik und langfristige Zinserwartungen, Wachstumsannahmen, Rohstoffpreise, Ungleichgewichte, die sich aus unterschiedlich starken Positionen der Länder bei der Kredit- und Defizitfinanzierung ergeben, und die Inflation. Hinzu kommen Risikoszenarien wie etwa die Auswirkungen auf den europäischen Bankensektor, wenn ein Kreditbuch in einem anderen Land unter Druck kommt, sowie idiosynkratische Faktoren wie der Brexit oder die Koordination innerhalb der Eurozone. Auch Über- beziehungsweise Unterbewertungen von Währungen spielen eine Rolle, da sie sich korrigieren und schlimmstenfalls Interventionen am Devisenmarkt nach sich ziehen.Die vorher beschriebene Gemengelage findet sich dann in tatsächlichen grenzüberschreitenden Devisentransfers wieder. Die Absicherung von vormals höher verzinslichen “teuren” Währungen wird im Niedrigzinsumfeld erschwinglich, so wie aktuell beim Dollar. Dies beeinflusst, ob eine Investition in lokaler Währung erfolgt oder etwa in Euro “zurückgedreht” wird. Das Wissen um strategische Währungsallokationen von Zentralbanken hilft genauso wie Informationen zu taktischen Neugewichtungen der Devisenpositionen zum Monatsende und die Abwicklung großer Transaktionen im Rahmen von grenzüberschreitenden Firmenübernahmen. Weiterhin werden manche Währungspaare als Näherungen benutzt. So bilden beispielsweise viele Investoren, die den Renminbi nicht ins Portfolio nehmen können, positive Erwartungen für China mit Hilfe einer Position im australischen Dollar ab, aufgrund der räumlichen und wirtschaftlichen Verflechtung beider Volkswirtschaften. Schlussendlich kann einem die technische Analyse als Abbild des Herdentriebs dabei helfen, den richtigen Ein- oder Ausstiegszeitpunkt zu identifizieren.Obwohl wirksame Impfstoffe identifiziert wurden, gehen die Zentralbanken davon aus, dass die Zinsen aufgrund der von der Pandemie verursachten Schäden noch Jahre nahe null dümpeln werden. Der Federal Reserve traut der Markt, insbesondere nach der Einführung der neuen Strategie des Average Inflation Targeting, eine erste Zinsanhebung erst im ersten Quartal 2024 zu. Flankiert wird die extrem lockere Geldpolitik mit weitreichenden Fiskalmaßnahmen. Die dadurch bereits entstandenen und noch entstehenden Fiskaldefizite werden von den kommenden Generationen zu schultern sein und sind kein länderspezifisches Einzelphänomen. Große HerausforderungenDie Pandemie hat die Notwendigkeit zur Bekämpfung des Klimawandels, zur Digitalisierung und zu Innovationen noch verstärkt und stellt viele Volkswirtschaften vor immense Herausforderungen. Welche Volkswirtschaften diese Herausforderungen besser meistern und dann stärker als andere Länder wachsen, sich gar abkoppeln und gestärkt aus der Krise hervorgehen können, wird erst später transparent. Vielerorts erscheint noch nicht einmal klar, mit welcher Strategie man dem Coronavirus bis zur Einführung des Impfstoffs begegnen will.Beim Thema Bewertung der heimischen Währung reagieren die Notenbanken vielerorts empfindlich. Währungsaufwertungen, die nicht mit realen Wirtschaftsdaten und Erwartungen kongruent sind, wird entgegengewirkt. So machte beispielsweise der Gouverneur der australischen Zentralbank klar, dass die auf der November-Sitzung beschlossene Zinssenkung den Lockerungstendenzen anderer Zentralbanken geschuldet war. Im veröffentlichten Protokoll der Sitzung vom 3. November war nachzulesen, dass der Fokus vor allem auf der im Vergleich zu anderen Ländern relativ steilen australischen Zinskurve lag. Mit einem höheren Zins hätte man starke Zuflüsse in australische Anleihen befördert, was wiederum Aufwärtsdruck auf den australischen Dollar ausgeübt hätte.Ähnliche Äußerungen waren in der vergangenen Woche aus Neuseeland zu vernehmen, das seine internationalen Grenzen erst 2022 wieder öffnen möchte, sowie aus Südkorea und Thailand. Auch Pablo Hernández de Cos von der Europäischen Zentralbank sagte, Devisenbewegungen zwischen Dollar und Euro seien etwas “to worry about”. Bleibt man beim Euro, deutet das darauf hin, dass dessen Potenzial auch bei einem schwächelnden Dollar nicht besonders hoch ist.In Ermangelung signifikanter Veränderungen bei den wichtigen Treibern für Devisen scheint eine Abkehr vom aktuellen Risk-on-/Risk-off-Handelsgebaren von Devisen in weiter Ferne. Wir rechnen zur Jahreswende hin zwar mit einer höheren Schwankungsbreite des Dollar zum Euro, insbesondere wenn es zu einem fiskalischen Stillstand in den USA und Europa kommen sollte. Wir halten jedoch unser Langfristziel von 1,15 Dollar je Euro unweit der aktuellen Niveaus konstant. *) Stefanie Holtze-Jen ist Chief Currency Strategist der DWS.