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In Brasilien kehrt das politische Risiko zurück

Von Tobias Gruber *) Börsen-Zeitung, 1.6.2017 Die politische Krise ist in Brasilien mit Wucht zurückgekehrt. Dies dürfte auch die Märkte nicht kaltlassen, zumal die Turbulenzen inzwischen das höchste Staatsamt erreicht haben. Zwar wurde auch schon...

In Brasilien kehrt das politische Risiko zurück

Von Tobias Gruber *)Die politische Krise ist in Brasilien mit Wucht zurückgekehrt. Dies dürfte auch die Märkte nicht kaltlassen, zumal die Turbulenzen inzwischen das höchste Staatsamt erreicht haben. Zwar wurde auch schon vorher gegen Präsident Michel Temer ermittelt. Temer und seine Vorgängerin Rousseff sollen beispielsweise den Präsidentschaftswahlkampf 2014 mit illegalen Wahlkampfspenden finanziert haben. Doch zum ersten Mal werden Anschuldigungen gegen ihn wegen Vergehen während seiner Präsidentschaft erhoben. Laut dem Bericht einer führenden lokalen Zeitung soll der Präsident in einem aufgezeichneten Gespräch mit den Eignern des fleischverarbeitenden Unternehmens JBS grünes Licht für Schweigegeldzahlungen an den Ex-Parlamentspräsidenten Eduardo Cunha gegeben haben. Cunha ist aufgrund seiner Verwicklung in den Korruptionsskandal (“Lava Jato”) selbst seit Oktober 2016 inhaftiert. Temer bestätigte zwar, dass es das besagte Treffen gegeben habe, wies die Vorwürfe jedoch als falsch zurück und hat Forderungen nach seinem Rücktritt eine Absage erteilt. Real wertet abDie erste Reaktion an den Finanzmärkten fiel deutlich aus. Der Real wertete um knapp 8 % ab und das Anleihesegment geriet mit ausgeprägten Spread-Ausweitungen unter Druck. Hierin spiegelt sich die Sorge der Marktteilnehmer wider, dass das größte lateinamerikanische Land in eine neue Phase politischer Turbulenzen zurückfällt und wichtige Reformen auf der Strecke bleiben. Die Unsicherheit ist auch deswegen so ausgeprägt, da über die weiteren Entwicklungen in Brasilien aktuell nur spekuliert werden kann. Wird sich Temer bis zu den Präsidentschaftswahlen im Herbst 2018 im Amt halten können? Wer folgt auf Temer für den Fall, dass er doch geht oder aufgrund von Ermittlungen im Zuge der eingangs erwähnten illegalen Wahlkampfspenden gehen muss? Wird der Übergang sauber ablaufen? Was passiert mit dem ökonomischen Team von Temer? Kann der eingeleitete Reformprozess fortgesetzt werden? Aktuell gibt es viele Fragezeichen, die auch die Märkte beunruhigen.Dabei steht zu befürchten, dass eine schnelle Lösung für die schwierige politische Konstellation nicht in Sichtweite ist. Denn während Temer derzeit eine Amtsniederlegung kategorisch ausschließt, fordert die Opposition den sofortigen Rücktritt des Präsidenten. Zudem bröckelt auch der Rückhalt aus den eigenen Reihen. Ein formelles Amtsenthebungsverfahren stellt angesichts der geforderten Drei-Fünftel-Mehrheit in beiden Kammern jedoch eine hohe parlamentarische Hürde dar und dürfte darüber hinaus ein sehr langwieriger Prozess sein. Zur Erinnerung: Das im vergangenen Jahr gegen Dilma Rousseff abgeschlossene Amtsenthebungsverfahren zog sich über acht Monate hin. Ob sich Temer folglich im Amt halten kann, wird von den politischen Rahmenbedingungen sowie den weiteren Ermittlungen und insbesondere vom Vorgehen des Obersten Gerichtshofs abhängen. Wichtige ReformvorhabenDie politische Krise trifft Brasilien dabei in einer Phase, in der die Regierung wichtige Reformvorhaben in Angriff genommen hat und sich der makroökonomische Rahmen des Landes wieder etwas stabilisiert hatte. Nach markanten Rückgängen des Bruttoinlandsproduktes (BIP) in den Jahren 2015 und 2016 ist für das laufende Jahr zumindest eine im Jahresdurchschnitt unveränderte Wirtschaftsleistung (sprich Nullwachstum) zu erwarten. Die Fortschritte spiegelten sich auch in der Performance brasilianischer Anleihen wider, die in den einschlägigen Emerging-Market-Indizes bis zu den neuerlichen Anschuldigungen mit die stärkste Wertentwicklung seit Jahresbeginn gezeigt hatten. Staatshaushalt belastetNun dürfte der Fokus der Marktteilnehmer jedoch in besonderem Maße auf den Auswirkungen der Krise für die Rentenreform liegen. Die Umgestaltung des defizitären Systems ist einer der Eckpfeiler der Politik von Temer. Dass die Fiskalposition einen klaren Schwachpunkt in der Beurteilung des Landes darstellt, ist eben auch der aktuellen Ausgestaltung des Rentensystems geschuldet. Ein hohes Rentenniveau in Kombination mit einem im OECD-Vergleich niedrigen Renteneintrittsalter belastete den Staatshaushalt zuletzt merklich – insbesondere vor dem Hintergrund der schweren Rezession seit 2014. Der IWF bezifferte das Budgetdefizit im vergangenen Jahr auf 9 % des BIP und prognostiziert zudem einen Anstieg der Staatsverschuldung bis 2022 auf fast 90 % des BIP. Ohne ausgabensenkende Maßnahmen kann die Tragfähigkeit des Rentensystems auf lange Sicht nicht gewährleistet werden. Neben kurzfristigen Maßnahmen sind daher strukturelle Anpassungen eminent wichtig. Eine wesentliche Säule der von Temer geplanten Reform ist dabei die Anhebung des Renteneintrittsalters.Wurden der Regierung bisher gute Chancen eingeräumt, die notwendige Zustimmung für dieses Vorhaben im Nationalkongress gewährleisten zu können, dürfte die Verabschiedung der wichtigen Reform nun zunächst auf Eis liegen oder zumindest weitere Zugeständnisse erfordern, da Temer die komplexe brasilianische Politikmaschine nun mit geringerem politischem Rückhalt organisieren muss. Im schlechteren Fall steht das Reformvorhaben komplett vor dem Aus – mit klar belastenden Effekten. So würde neben den beschriebenen negativen Auswirkungen für die langfristige Fiskalposition auch das Vertrauen ausländischer Investoren in die Handlungsfähigkeit der Regierung einen erheblichen Dämpfer erleiden mit negativen Implikationen für die Märkte. Zudem dürfte es der brasilianischen Zentralbank schwerer fallen, den Ende 2016 begonnenen Zinssenkungszyklus in dem aktuell hohen Tempo fortzusetzen, was sich wiederum negativ auf die ohnehin nur schleppende wirtschaftliche Erholung auswirken könnte. Ausblick zurückgenommenDie Ratingagenturen wurden durch die erneuten politischen Turbulenzen bereits auf den Plan gerufen. Sowohl S & P als auch Moody’s haben reagiert: Während S & P das “BB”-Rating auf eine zeitnahe Herabstufung (Creditwatch Negative) prüft, hat Moody’s den Ausblick für das “Ba 2”-Rating von “stabil” auf “negativ” zurückgenommen. In den Entscheidungen spiegelt sich die Befürchtung der Ratinghäuser wider, dass die ohnehin schwierige politische Konstellation nochmals komplexer geworden ist und die notwendigen Anpassungsprozesse weiter verzögert werden. Die marktseitige Reaktion auf die Ratingschritte fiel bislang zwar verhalten aus, im Falle einer anhaltenden politischen Unsicherheit dürfte sich dies jedoch ändern. Schienen die wirtschaftlichen Rahmenbedingungen und der damit verbundene Bonitätsweg sich zwischenzeitlich aufgehellt zu haben, sind in Brasilien nun abermals dunklere Wolken aufgezogen. Eine gewisse Portion Skepsis erscheint daher – wieder – angebracht.—-*) Tobias Gruber ist Analyst für die Emerging Markets bei der DZ Bank.