Indexfonds sind aktiver als man denkt
Investoren, die in Indexfonds investieren, weil sie eine „passive“ Geldanlage suchen, könnten womöglich „aktiv“ überrascht werden, selbst wenn der Fonds den Index erfolgreich nachbildet. Es wird oft nicht hinterfragt, aus welchen Einzeltiteln der Index eigentlich besteht, wer über die Titelauswahl entscheidet oder wie diese Entscheidungen getroffen werden. Die Wahrheit ist, dass die Indexkonstruktion oft kompliziert, undurchsichtig und willkürlich ist, und dass die Entscheidungen darüber, wie sie getroffen werden, nicht immer im besten Interesse der Anleger sind.
Für viele Investoren scheint der Kauf eines Indexfonds eine kluge, kostengünstige und risikoarme Möglichkeit zu sein, passiv in einen breiten Markt oder eine darin enthaltene Assetklasse zu investieren. Dimensional hat sich in einer kürzlich erschienenen Studie „Von wegen passiv: Indizes sind das Ergebnis aktiver Entscheidungen“ jedoch mit den aktiven Entscheidungen befasst, die in die Gestaltung und Verwaltung von Indizes einfließen, und analysiert, wie viel diese Entscheidungen kosten können.
Drei Punkte sind hierbei besonders wichtig: Repräsentiert der Index wirklich den Markt? Wählt der Index Aktien aktiv aus? Und gibt es versteckte Kosten bei Indexfonds?
Entscheidung über Methodik
Viele Anleger gehen davon aus, dass ihr Indexfonds den gesamten Markt oder eine gesamte Assetklasse abdeckt. Die Wahrheit ist jedoch, dass jeder Indexanbieter selbst über seine Methodiken entscheidet, was zu einer großen Renditespanne zwischen Indizes führen kann, die dieselbe Assetklasse abbilden. So lag die durchschnittliche Renditedifferenz bei vier marktweiten US-Indizes in den vergangenen 20 Jahren beispielsweise zwischen 0,2% bis 3,2% pro Jahr, mit einer durchschnittlichen Spanne von 1%.
Ein weiteres Beispiel: Ein großer Indexanbieter stuft Südkorea als Schwellenmarkt ein, während ein anderer das Land als entwickelten Markt klassifiziert. Kurz gesagt: Es gibt nicht den einen, konsistenten Ansatz zur Definition eines Marktes.
Gegenteil von Stock Picking
Indexstrategien werden üblicherweise als das Gegenteil des „Stock Pickings“, also der Einzeltitelauswahl, verstanden. Tatsächlich basieren Entscheidungen über die Auswahl von Titeln, deren Gewichtung sowie die Neugewichtung eines Index aber häufig auf willkürlichen Indexregeln oder werden durch Indexgremien gefällt.
Man könnte meinen, dass der S&P 500 die 500 größten US-Aktien enthält. Größe ist aber nicht alles. Im Januar 2020 wurde die Tesla-Aktie zu einem Kurs von rund 100 Dollar gehandelt und lag damit nach Marktkapitalisierung in etwa auf Rang 60 der größten Unternehmen in den USA. Allerdings hatte der Titel noch nicht alle Auswahlkriterien für die Aufnahme in den S&P 500 erfüllt. So musste das Unternehmen unter anderem noch einen positiven Gewinn in vier aufeinanderfolgenden Quartalen vorlegen. Am Tag vor der Aufnahme in den S&P 500 im Dezember 2020 waren Tesla-Aktien etwa 700 Dollar wert und das Unternehmen damit das sechstgrößte in den USA. Der Russell 1000 Index hingegen hatte Tesla die gesamte Zeit über enthalten.
Immerhin gelten Indexstrategien als kostengünstig. Ein genauerer Blick zeigt, dass die Kostenquoten einiger Indexfonds tatsächlich sehr niedrig sind. Anleger sollten jedoch auch andere Kosten und Renditebelastungen im Blick behalten.
Indexfonds mögen manchem Anleger als „Anlegen-und-vergessen“-Lösung erscheinen, doch tatsächlich bewegen sich die Märkte täglich: Neue Unternehmen kommen an die Börse, bestehende Unternehmen melden Insolvenz an oder werden von der Börse genommen, aus kleinen werden große Unternehmen, Value- werden zu Growth-Titel usw. Um all das zu berücksichtigen, müssen Indexanbieter entscheiden, wie und vor allem wie häufig sie einen Index im Rahmen des sogenannten Rekonstitutionsprozesses neu gewichten.
Enormer Anstieg des Handelsvolumens
MSCI gibt beispielsweise alle drei Monate die Zu- und Abgänge für den MSCI World bekannt. Um die Indexperformance abzubilden, müssen Indexfonds Aktien kaufen und verkaufen, sobald eine Indexrekonstitution erfolgt, was bei den meisten Indizes in regelmäßigen Abständen der Fall ist. Die Folge ist ein enormer Anstieg des Handelsvolumens rund um diese Zeitpunkte. Die Folgen der hohen Nachfrage lassen sich gut mit den Preissprüngen vergleichen, die verärgerte Fans beim Kauf von Oasis-Tickets in diesem Sommer erleben mussten – mit dem Unterschied, dass Anleger die Kostensteigerungen kaum nachvollziehen können, weil diese in der Rendite des jeweiligen Index versteckt sind.
Unsere Analyse des Handelsvolumens zwischen 2018 und 2022 für den S&P 500, Russell 2000, MSCI EAFE und MSCI EM zeigt, dass die Handelsvolumina (gleichgewichteter Durchschnitt) der neu aufgenommenen oder entfernten Aktien an den Tagen der Indexrekonstitution um ein Vielfaches höher waren – zum Teil bis zu 20- oder 30-mal höher – als die durchschnittlichen Volumina an anderen Handelstagen. Für die an diesen Tagen handelnden Indexfonds können daraus höhere Handelskosten resultieren, die zwar nicht in den Kostenquoten enthalten sind, die Renditen der Anleger aber dennoch schmälern können.
Indexfondsmanager werden in der Regel daran gemessen, wie genau sie ihre Zielindizes abbilden, d. h. wie gut es ihnen gelingt, den Tracking Error zu minimieren. Allerdings bedeutet ein niedriger Tracking Error nicht zwangsläufig, dass Anleger an allen Renditen, die die Märkte zu bieten haben, auch tatsächlich partizipieren. Mehr noch, liegt der Fokus primär auf der Reduzierung des Tracking Error, geschieht das zu Lasten der Flexibilität und des Ermessensspielraums. Für eine effizientere Orderausführung und andere renditesteigernde Anlageentscheidungen ist beides jedoch enorm wichtig.
Indexanbieter treffen wichtige Entscheidungen über die Aufnahme von Aktien, über Kauf- und Verkaufszeitpunkt und das Management operativer Kosten. Diese Entscheidungen beeinflussen die Anlageallokation und die Renditen von Indexfondsanlegern. Daher sollten Anleger die Entscheidungen von Indexanbietern sorgfältig überprüfen.
Marlena Lee ist Global Head of Investment Solutions bei Dimensional Fund Advisors.