GASTBEITRAG

Indien an der Schwelle zu einer mehrjährigen Hausse

Börsen-Zeitung, 8.7.2017 Dank der Kombination aus günstiger Bevölkerungsstruktur, vorteilhaften wirtschaftlichen Fundamentaldaten und unternehmensfreundlicher Politik erscheinen die Aussichten für die Rentabilität der Unternehmen in Indien sehr...

Indien an der Schwelle zu einer mehrjährigen Hausse

Dank der Kombination aus günstiger Bevölkerungsstruktur, vorteilhaften wirtschaftlichen Fundamentaldaten und unternehmensfreundlicher Politik erscheinen die Aussichten für die Rentabilität der Unternehmen in Indien sehr robust. Das Land profitiert von der jüngsten Bevölkerung der Welt, da etwa 54 % (ca. 600 Mill. Menschen) unter 30 sind. Die Erwartung eines Wachstums des Bruttoinlandsprodukts (BIP) von über 7 % im kommenden Jahr wird zum Teil mit dem Aufholpotenzial zu den anderen Ländern in der Region begründet.Das indische Pro-Kopf-BIP entspricht zum Beispiel nur 11 % desjenigen der USA, im Vergleich zu 25 % für China. Da die Inflation mittlerweile auf Vorkrisenniveau gesunken ist, hat die Zentralbank reichlich Spielraum für Zinssenkungen und eine Unterstützung des Kreditwachstums. Darüber hinaus machen sich in Indien jetzt auch allmählich die Vorteile einer effektiveren Verwaltung unter der vielversprechenden Führung des reformorientierten Premierministers Narendra Modi bemerkbar, der entschlossen ist, eine unternehmensfreundlichere und wachstumsorientierte Wirtschaft zu schaffen.Bevor wir detaillierter darauf eingehen, warum die Aussichten unserer Meinung nach besonders vielversprechend sind, sollten wir vielleicht kurz erklären, welchen Vorbehalt es bei unserer optimistischen These gibt: In Indien geht nie etwas geradlinig aufwärts. Dies kann auf die Natur der indischen Politik zurückgeführt werden, denn die diesbezüglichen Nachrichtenmeldungen sorgen dafür, dass die Marktvolatilität erhöht bleibt – insbesondere in einer mehrsprachigen, multireligiösen und multiethnischen Demokratie mit einem korrupten politischen System. Anleger, die sich für indische Aktien interessieren, sollten daher den Rat von Leo Tolstoi befolgen, der einst so treffend sagte: “Die beiden stärksten Krieger sind Geduld und Zeit.” Auswirkungen auf das BIPWir können zwar nicht genau sagen, wie sich der indische Aktienmarkt in der nächsten Zeit entwickelt. Aber wir können auf einige ermutigende Entwicklungen verweisen, die uns zu der Meinung bewegen, dass sich Indien an der Schwelle zu einer mehrjährigen Hausse befinden könnte. Die erste ist die Einführung einer landesweiten Waren- und Dienstleistungssteuer (GST), die Anfang Juli in Kraft getreten ist. Dies hat weitreichende Auswirkungen auf den internationalen Handel, da indische Unternehmen derzeit durch die unterschiedlichen Steuersysteme in den einzelnen Bundesstaaten belastet werden, die nun durch eine einheitliche Steuer ersetzt werden sollen. Neues SystemDas gegenwärtige mehrstaatliche System verpflichtet Unternehmen dazu, beim Transport von Gütern über die Grenzen von Bundesstaaten in einer Provinz Exportsteuern und in einer anderen Importsteuern zu zahlen. Da die Schlangen an den Grenzübergängen zudem Verzögerungen verursachen, die an einigen Grenzen bis zu vier Tage dauern können, ist die Bewegung von Gütern zwischen den Bundesstaaten auch zu einer 30 Mrd. Dollar schweren bargeldbasierten Bestechungsindustrie geworden. Die einzige Alternative bestand bisher in der Fragmentierung der Produktionsbasis über das ganze Land hinweg (mit Fabriken in jedem Bundesstaat), was zu negativen Skaleneffekten und zahlreichen Verdoppelungen von Anlagen führte. Anfänglich könnte es zwar zu gewissen Turbulenzen und kurzfristigen Störungen bei der Lagerbestandsverwaltung und IT-Integration kommen. Die potenziellen Auswirkungen der GST auf das BIP sind jedoch enorm. Konservativen Schätzungen zufolge wird sie das Wirtschaftswachstum um 150 bis 200 Basispunkte pro Jahr stärken. Das potenzielle Wachstum im Zusammenhang mit dem rasanten Wandel des Finanzdienstleistungssektors, in dem das Portfolio derzeit ein Engagement von 40 % hält, ist ein anderer Faktor, der uns begeistert. Den Impuls dafür gab eine unbeabsichtigte Folge der Geldentwertung im letzten Herbst, bei der 86 % der Währung aus dem Umlauf genommen wurden.Indien war nicht auf das dadurch hervorgerufene Bargelddefizit vorbereitet, und die Argumentation Modis veränderte sich zum damaligen Zeitpunkt. Da nur 2,5 % der Bevölkerung Steuern zahlen und die große Mehrheit kein Bankkonto hat, ist Indien eine der mit Banken am stärksten unterversorgten Volkswirtschaften der Welt. Modi zwang die Bürger effektiv dazu, Nullsalden-Bankkonten zu eröffnen – denn dies war die einzige Möglichkeit, ihre entwerteten Bargeldbestände loszuwerden. Geldabhebungen von diesen Konten waren nur zulässig, wenn die Know-your-Customer-Vorschriften (KYC) für das Konto erfüllt waren. Hierzu war eine digitale ID nötig – die durch zehn Fingerabdrücke und zwei Iris-Scans belegt werden musste. Datenreiches LandInfolgedessen wandelte sich Indien innerhalb weniger Wochen von einem der datenärmsten Länder der Welt zu einem der datenreichsten. 99 % der Bevölkerung (mit Ausnahme von Minderjährigen) haben jetzt eine digitale ID, und die Genauigkeit der biometrischen Authentifizierung wird auf rund 98,7 % geschätzt – eine der höchsten der Welt. Als Nebenprodukt dieses rasanten Wandels dauert es jetzt nur noch wenige Minuten, ein Bankkonto zu eröffnen (früher waren es vier bis fünf Tage), und die Kosten für die Kundenakquise von Finanzdienstleistern sind um 98 % gesunken – denn Indien hat jetzt ein digitales KYC-System.Eine weitere Folge des rasanten Fortschritts im Bankwesen betrifft das Eigentum an Finanzanlagen. Bisher war Indien der größte Käufer von Gold mit Barmitteln ohne Herkunftsnachweis. Zwei Monate nach der Geldentwertung führte der Anstieg der Einlagen um 35 % jedoch zu erheblichen Zuflüssen in inländische Anlagefonds und den Versicherungsmarkt. Die Dynamik des inländischen Aktieneigentums hat in den letzten 25 Jahren erheblich geschwankt. 2007 betrug das durchschnittliche Engagement eines indischen Haushalts in Aktien 9 %. Dieser Anteil sackte jedoch nach der Krise auf 0,9 % ab und hat sich seither wieder auf 4,7 % erholt.Zwischen 1992 (als die durchschnittliche Haushaltsbilanz ein Engagement von 26 % in indischen Aktien umfasste) und 2015 wurden die Änderungen am lokalen Markt von ausländischen Kapitalzuflüssen dominiert. Nach 2016 und den lokalen Kapitalzuflüssen in inländische Anlagefonds dürfte sich dies jedoch ändern. Unseren Schätzungen zufolge wird es in zehn Jahren hohe Sparguthaben geben, die leicht in Aktien investiert werden können – und dies in der Annahme, dass das Engagement der Privathaushalte, die Sparquote und das BIP auf dem gegenwärtigen Niveau verharren. Wir rechnen jedoch mit einem signifikanten Anstieg aller drei Faktoren.Aus diesen Gründen stützt sich unsere große Überzeugung in Bezug auf Finanzdienstleister auf die Dynamik des lokalen Marktes, da der Anstieg der Spargelder und Einlagen eine massive Zunahme des Produktangebots bewirkt. Der Einfluss des digitalen ID-Programms führte indes zu einer Reduzierung der Kosten, einer schnelleren Neukundengewinnung und verbesserten Analysen. Dies gibt wiederum Impulse für die Reduzierung der Kreditsäumigkeit und die Steigerung der Wachstumsraten. Dank des massiven Wachstums der Kundenbasis und der Chancen, die die Digitalisierung im Hinblick auf die Mikrofinanzierung birgt, besteht enormer Spielraum für eine Vervielfachung der Aktivitäten von Finanzdienstleistern von einer extrem niedrigen Basis aus. Günstige StrukturDarüber hinaus müssen die Aussichten für Aktien im Zusammenhang mit der günstigen Bevölkerungsstruktur, der voraussichtlich bedeutenden Stärkung des BIP durch die GST und der langfristigen Zunahme lokaler Kapitalzuflüsse betrachtet werden, die wiederum den Impuls für eine stärkere Auslandsbeteiligung an indischen Aktien geben dürften. Wir könnten uns tatsächlich an der Schwelle zu einer mehrjährigen Hausse befinden.—-Madhav Bhatkuly, Investment Director des GAM Star India