Indische Börse feiert Reformen
Von Ernst Herb, HongkongDie indische Regierung überraschte Investoren in den vergangenen Tagen mit einer ganzen Reihe von wirtschaftlichen Reformschritten. Die Börse der drittgrößten asiatischen Volkswirtschaft hat auf die Senkung der Eintrittsschwelle für ausländische Direktinvestitionen im Einzelhandelssektor, die Ankündigung der Privatisierung einer ganzen Reihe von Unternehmen wie auch auf steuerliche Anreize für Aktiensparen mit deutlichen Kursavancen reagiert. Der Leitindex der Börse Mumbai, der Sensex 30, hat mittlerweile einen Kursstand von 18 694 Punkten überschritten und notiert damit 21 % höher als Anfang 2012.Zusätzliche Unterstützung erhielt der Aktienmarkt von der expansiven Geldpolitik der Europäischen Zentralbank und der amerikanischen Fed. Von Jahresbeginn bis Mitte September sind ausländische Portfolioinvestitionen im Umfang von 11,8 Mrd. Dollar nach Indien geflossen.Verschiedentlich wurde die Kursrally der vergangenen Tage mit dem 2009 auf die Parlamentswahlen folgenden Kursfeuerwerk an der indischen Börse verglichen. Als die Kongress-Partei des reformorientierten amtierenden Premierministers Manmohan Singh 2009 die Wahlen gewann, stieg der Sensex 30 innerhalb weniger Tage um 20 %. Doch dürfte sich die Begeisterung der Investoren diesmal in engeren Grenzen als noch vor drei Jahren halten.Denn Singh, der einer Koalitionsregierung vorsteht, ist mit der Ankündigung des Reformpakets ein erhebliches politisches Risiko eingegangen. So hat sich die Trinamool-Kongress-Partei mit ihren 19 Abgeordneten aus Protest gegen den Marktzugang für globale Supermarktketten wie Wal-Mart oder Tesco aus der Regierungsverantwortung verabschiedet. Singh verfügt damit im Parlament über keine Mehrheit mehr und ist jetzt auf die Duldung von kleineren regionalen Oppositionsparteien angewiesen.Es wird damit zumindest vorerst zu keinen vorgezogenen Neuwahlen kommen, doch dürfte in den kommenden Monaten die Politik an den Märkten für Volatilität sorgen. Die Analysten der US-Investmentbank Goldman Sachs raten mit der Note “Neutral” weiterhin zur Zurückhaltung gegenüber indischen Aktien. Das vor allem auch, weil Indien weiterhin an makroökonomischen Problemen krankt. Hohe InflationDas Land kämpft nicht nur mit einer Inflationsrate von 8 % und einem aus dem Ruder gelaufenen Staatshaushalt, sondern auch mit einem erheblichen Außenhandels- wie auch Zahlungsbilanzdefizit. Zwar hat die Zentralbank die Reserven, die die Geschäftsbanken zur Seite legen müssen, zuletzt leicht gesenkt und damit mehr Geld in die Wirtschaft gepumpt. Doch bleibt der Handlungsspielraum der Reserve Bank of India (RBI) infolge der internen wie auch externen Ungleichgewichte stark eingeschränkt.Die Deutsche Bank hat dennoch das Jahresendziel des Sensex 30 auf 20 000 Zähler angesetzt. Doch warnen die Analysten des Instituts angesichts des anhaltenden politischen wie auch makroökonomischen Gegenwindes vor überzogenen Erwartungen. Das unter anderem deshalb, weil sich die Liberalisierung des Einzelhandels, von der sich Singh einen besseren Wettbewerb und fallende Preise verspricht, erst längerfristig bremsend auf die stürmische Teuerungsrate auswirken wird. Auch ist die Umsetzung der Reform den mehrheitlich von der Opposition regierten Teilstaaten überlassen.Unklar bleibt auch, wie sich das von Finanzminister Palaniappan Chidambaram Ende der Vorwoche angekündigte Aktiensparprogramm auf die Börse auswirken wird. Inder, die jährlich weniger als 1 Mill. Rupien verdienen und 50 000 Rupien am Aktienmarkt investieren, kommen zukünftig in den Genuss von Steuererleichterungen. Damit sollen die steigenden Goldkäufe indischer Bürger, die in den vergangenen zwei Jahren wesentlich zum Zahlungsbilanzdefizit beigetragen, haben, eingeschränkt werden. Potenziell könnten gemäß Berechnungen des Finanzministeriums so mehr als 50 Mrd. Dollar an die Börse fließen.Allerdings sind indische Aktien im Regionalvergleich mit einem von Goldman Sachs projektierten Kurs-Gewinn-Verhältnis (KGV) von 13,5 bereits jetzt hoch bewertet. Sie werden zwar leicht günstiger gehandelt als im Zehnjahresvergleich, doch ist im aktuellen KGV die Risikoprämie wahrscheinlich erst teilweise eingebaut. Das heißt auch, dass es in den kommenden Wochen nach kürzeren Haussen wahrscheinlich wiederholt zu Gewinnmitnahmen am Markt kommen wird. Generikahersteller gefragtDas Brokerhaus CLSA empfiehlt in diesem Umfeld Aktien von Unternehmen, die über einen guten Mittelzufluss verfügen und hohe Dividenden zahlen. Weil in den ländlichen Gebieten die Einkommen schneller steigen als die Teuerung, sind auch Titel von Unternehmen zu empfehlen, die Grundbedarfsgüter anbieten. Nachhaltigen Aufwind spürt auch eine ganze Reihe auf Generika spezialisierter Pharmakonzerne. Zu den von CLSA empfohlenen Valoren gehören zudem der Petrochemiekonzern Bharat Petroleum, das Finanzhaus HDFC Bank, der Tabakanbieter ITC und Sun Pharma.