Indische Rupie zeigt weiter Schwäche
Trotz überwiegend solider Fundamentaldaten der heimischen Volkswirtschaft hat die Schwellenländer-Krise Indien erfasst. Die Währung fiel am Montag auf ein weiteres Allzeittief. Der Absturz der Währung könnte sich fortsetzen, und auch dem Aktienmarkt droht eine Abkühlung. Von Dieter Kuckelkorn, FrankfurtDie sich verschärfende Krise der Emerging Markets hält Indien fest im Griff. Am Montag fiel die Währung des Landes auf ein weiteres Allzeittief von 72,6750 Rupien je Dollar. Damit büßte die Devise rund 0,9 % ein. Im bisherigen Jahresverlauf hat sie bereits fast 11 % an Wert verloren. Unter Druck gerieten auch Staatsanleihen. Die Rendite zehnjähriger indischer Bonds kletterte um 7 Basispunkte auf 8,105 %. Die Kurse der Anleihen befanden sich fast auf einem Vierjahrestief. Im September haben ausländische Investoren per saldo Anleihen im Volumen von 601 Mill. Dollar verkauft, mehr als sie im Juli und August zusammen mit netto 459 Mill. Dollar gekauft hatten.Schwach zeigte sich auch der indische Aktienmarkt. Der indische Leitindex BSE Sensex gab um 1,1 % auf 37 988 Punkte nach. Im bisherigen Jahresverlauf hat sich der indische Aktienmarkt ausgesprochen fest gezeigt, wenn man seine Performance mit derjenigen anderer Emerging Markets vergleicht. Seit Jahresanfang hat der BSE Sensex 11,5 % zugelegt. Der chinesische CSI 300 kommt hingegen auf einen starken Kursverfall von knapp 20 %. Der Leitindex der indonesischen Börse in Jakarta hat sich im gleichen Zeitraum um etwas mehr als 8 % ermäßigt. Die indische Börse schlägt sogar den US-Benchmark-Index S & P 500, der rund 7,5 % hinzugewonnen hat.Angetrieben wird der indische Aktienmarkt in letzter Zeit vor allem durch starke Engagements von einheimischen Anlegern. Ausländische Investoren hatten hingegen zuletzt verkauft. Im bisherigen Jahresverlauf trennten sie sich bereits von indischen Aktien im Volumen von 6,25 Mrd. Dollar. Zudem profitiert der indische Aktienmarkt davon, dass Indien aufgrund seiner geostrategischen Bedeutung nicht im Fokus von US-Sanktionen steht. Allerdings ist es fraglich, ob sich der indische Aktienmarkt in den kommenden Monaten auf seinem hohen Niveau halten kann – insbesondere, wenn die Währung weiter nachgibt. So rechnen die Analysten von Morgan Stanley damit, dass die Verkäufe von Emerging-Markets-Anlagen in den kommenden Wochen und Monaten deutlich Fahrt aufnehmen werden. Außerdem gibt es auch einen Einmaleffekt: Im BSE Sensex sind Bankenwerte besonders stark vertreten, die von einer neuen Insolvenzordnung profitieren, welche es ihnen ermöglicht, sich fauler Kredite besser zu entledigen. Gegen eine Fortsetzung der Rally am indischen Aktienmarkt spricht auch, dass die Bewertungen deutlich über ihrem Zehnjahresdurchschnitt liegen. Robustes WachstumWas die Schwäche der Währung betrifft, so ist diese eigentlich erstaunlich – wenn man Indien mit Krisenländern wie Argentinien und der Türkei vergleicht. So ist das indische Bruttoinlandsprodukt im zweiten Quartal um robuste 8,2 % expandiert. Das starke Wachstum dürfte auch anhalten. So rechnet beispielsweise der Internationale Währungsfonds IWF damit, dass das Wachstum im laufenden Fiskaljahr per März 2019 rund 7,3 % beträgt und im folgenden Turnus 7,5 %. Genau wie Indonesien, dessen Währung ebenfalls unter Druck steht, ist die indische Wirtschaft deutlich stärker auf die Inlandsnachfrage ausgerichtet als andere Schwellenländer. Das zahlt sich aus: Im zweiten Quartal hat der private und öffentliche inländische Verbrauch rund 5,8 Prozentpunkte zum Gesamtwachstum beigetragen, wie die Commerzbank errechnet hat. Enttäuschend sind eigentlich nur die Investitionen, deren Anstieg von 14 % im ersten Quartal auf 10 % in den folgenden drei Monaten gesunken ist. Dies dürfte aber wohl kaum ausländische Anleger zur Flucht bewegen.Indien hat eine Schwachstelle: Das Land muss fast 80 % seines Bedarfs an Rohöl durch Importe decken. Daher leidet Indien besonders unter dem Anstieg des Ölpreises. Dies trägt zu einem steigenden Leistungsbilanzdefizit bei. Im Quartal per Juni ist das Leistungsbilanzdefizit auf 2,4 % des Bruttoinlandsproduktes gestiegen, nach 1,9 % in den ersten drei Monaten des Jahres. Für das Gesamtjahr wird mit einem Defizit von 2,5 % gerechnet. Dies ist für sich genommen freilich noch keine besorgniserregende Größe. Allerdings gehört Indien wie auch Indonesien zu denjenigen Schwellenländern, die ein doppeltes Defizit aufweisen. Die Unterdeckung des Staatshaushalts dürfte im laufenden Finanzjahr bis Ende März 2019 um 20 Basispunkte auf 2,8 % steigen. Emerging-Markets-Investoren nehmen Länder mit einem doppelten Defizit stets besonders unter die Lupe. Allerdings gilt auch hier, dass das aktuelle Defizit im Staatshaushalt insbesondere Investoren aus der EU mit Blick auf die europäischen Staatsfinanzen keine Schweißperlen auf die Stirn treiben wird. Notenbank hält sich zurückDie Analysten der Commerzbank verweisen noch auf einen weiteren Faktor, der zur Schwäche der Rupie beigetragen haben könnte. So habe die Notenbank, die Reserve Bank of India, ihre Aktivitäten zur Stützung der Währung zuletzt zurückgefahren. Der Blick auf die Devisenreserven zeige, dass die Zentralbank zuletzt weniger Dollar zur Stützung der Rupie verkauft habe. Die Experten der Bank vermuten, dass die Reserve Bank ihr Pulver trocken halten will.Aber letztlich erklärt auch das nicht den starken Einbruch der indischen Währung, zumal weltweit viele Zentralbanken nicht gerade auf eine makellose Erfolgsbilanz zurückblicken können. Letztlich ist für die Schwäche der Rupie wohl die Tatsache verantwortlich zu machen, dass es während einer Phase von Leitzinsanhebungen der US-Notenbank stets zu umfangreichen Verkäufen von Assets aus den Emerging Markets kommt, die sich leicht zu einer der vielen Schwellenländerkrisen ausweiten.Zwar haben Analysten fast aller Investmentbanken betont, dass diesmal alles ganz anders sei. Viele Schwellenländer hätten ihre Hausaufgaben gemacht und stünden hinsichtlich ihrer Fundamentaldaten sehr viel besser da als früher. Das scheint aber kaum eine Rolle zu spielen. Fundamental stärkere Länder werden zwar später von der Krise erfasst, die zunächst mit Wackelkandidaten wie der Türkei und Argentinien beginnt. Letztlich sind sie aber doch betroffen. Dazu trägt aktuell bei, dass es beispielsweise mit der Rekordfahrt des amerikanischen Aktienmarktes attraktive Anlagemöglichkeiten in Ländern gibt, die als sichere Häfen gelten. Für Indien bedeutet das, dass sich die Währungskrise noch verschärfen kann, wenn sich das Momentum der Flucht aus Schwellenländern verstärkt.