Niederländische Großbank

ING lockt mit Aussicht auf sinkende Kosten

Obwohl die Aktie der ING Groep seit Jahresbeginn stark an Wert verloren hat, sind Analysten für den Titel optimistisch. Vor allem die ehrgeizigen Kostenziele der Großbank gelten als positiver Faktor.

ING lockt mit Aussicht auf sinkende Kosten

Von Detlef Fechtner, Frankfurt

Die Aktie der ING Groep hat schon deutlich bessere Tage gesehen. Zuletzt pendelte sie nahe der Marke von 9 Euro, nachdem sie Anfang Februar noch fast 14 Euro gekostet hatte. Dass die Aktie stark an Wert verloren hat, lässt sich freilich auch über fast alle anderen „G-SIBs“ sagen. Denn die meisten dieser Global Systemically Important Banks – also der 30 Finanzkonzerne, die vom Finanzstabilitätsrat wegen ihrer Größe und Vernetzung unter besonderer Beobachtung stehen – notieren derzeit auf Niveaus deutlich unterhalb der Kurse vor Beginn des Ukraine-Kriegs.

Das freilich könnte sich – was die ING Groep angeht – zumindest auf mittlere Sicht gut und gerne wieder ändern, meinen Bankanalysten. Viele von ihnen haben für die Aktie Kursziele von 12 oder 13 Euro ausgerufen. Laut dem Informationsdienstleister Bloomberg empfehlen 75% aller Analysten, die den Titel regelmäßig beobachten, ING Group zum Kauf, 25% zumindest zum Halten, niemand zum Verkauf.

Ein zentrales Argument, das die Research-Anbieter immer wieder anbringen, lautet: Die ING Groep hat ein erprobtes und recht robustes Geschäftsmodell – und hat gleichzeitig die Kosten im Griff. Die Anerkennung eines disziplinierten Kostenmanagements gewinnt gerade in Zeiten an Bedeutung, in denen angesichts von Ukraine-Krieg und Zinswende und damit steigender Inflation und drohender Rezession die Unsicherheit auf der Einnahmeseite besonders groß ist. Bei der Cost-Income-Ratio kann der in Amsterdam beheimatete Allfinanz-Dienstleister zwar nicht ganz mit den europäischen Spitzenreitern wie der spanischen Santander oder der schwedischen SEB mithalten, ist aber deutlich effizienter als etwa die niederländische Konkurrenz, sei es ABN Amro oder Rabobank.

Auf dem jüngsten Investorentag der ING Groep hat die Konzernführung eine sportliche Ansage gemacht. Bis 2025 soll die Cost-Income-Ratio auf dann nur noch 50 bis 52% gedrückt werden. Das gilt zwar unter den Marktbeobachtern als ambitioniert, aber eben auch als realistisch, zumal dem Finanzkonzern Effizienzgewinne infolge der Digitalisierung des Geschäfts zugetraut werden und Analysten Einsparpotenzial vor allem noch in Belgien und Deutschland ausmachen. Zudem werden die regulatorischen Kosten nach Einschätzung der ING-Führung im Jahr 2025 niedriger liegen als heute. Das Management setzt darauf, die Gesamtaufwendungen im laufenden Jahr stabil zu halten und dafür zu sorgen, dass sie in den kommenden Jahren weniger stark anziehen als die In­flation.

Großes Russland-Exposure

Im Mai hatte ING die Anleger bei der Vorlage der Gewinn-und-Verlust-Rechnung im ersten Quartal 2022 enttäuscht. Die infolge des russischen Angriffskriegs auf die Ukraine nötige hohe zusätzliche Kreditvorsorge – fast 400 Mill. Euro auf das Wholesale-Geschäft mit Russland-Bezug – hatte den Ge­winn nach Steuern in den ersten drei Monaten des laufenden Jahres um 57% auf 429 Mill. Euro abrutschen lassen. Ohne Zweifel ist der Umfang des Kreditportfolios mit Bezug zu Russland, das sich insbesondere auf Positionen in den Branchen Rohstoffabbau, Metallverarbeitung und Energie konzentriert, unmittelbar vor Beginn des Ukraine-Kriegs mit 6,7 Mrd. Euro durchaus hoch gewesen. ING zählte bei Kriegsbeginn gar zu den europäischen Instituten mit der stärksten Exposition gegenüber Russland. Mittlerweile gelang es der Bank, dieses Engagement immerhin unter die Marke von 5 Mrd. Euro zu drücken.

Robuste Kapitalausstattung

Jenseits der Risiken in Zusammenhang mit dem Engagement im Osten sowie einem recht umfangreichen Exposure gegenüber kommerziellen Immobilien geben derweil eine ganze Reihe von Kennziffern der Bank wenig Anlass zur Besorgnis. Mit einer harten Kernkapitalquote (CET1) von knapp 15% nimmt sich die Kapitalausstattung robust aus, liegt sie doch deutlich über den aufsichtlichen Anforderungen. Absehbare zusätzliche Erfordernisse, die sich durch die Vollendung von Basel III ergeben werden, sind nach Meinung von Analysten für die ING ohne größere Aufnahme von Kapital erfüllbar. Auch mit Blick auf die von der Aufsicht verlangte Bail-in-Fähigkeit deuten sich keine Probleme an. Die Mindestanforderung an Eigenmittel und berücksichtigungsfähige Verbindlichkeiten, die MREL, macht nach übereinstimmender Meinung von Beobachtern absehbar keine Kapitalaufstockung nötig.

Vor diesem Hintergrund dürfte sich die ING Groep die laufenden und mögliche zusätzliche Aktienrückkaufprogramme leisten können. Zumal Analysten der Bank zutrauen, in Zeiten steigender Zinsen sowohl die Kreditvergabe auszuweiten als auch die Gebühren für die Dienstleistungen spürbar zu steigern. Zuletzt hat der Finanzkonzern unter Beweis gestellt, dass er die operativen Erträge ankurbeln kann. Mehrere Researchhäuser haben vor diesem Hintergrund die Erwartungen für die Einnahmen der ING leicht angehoben.

Die Kreditqualität des Portfolios wird als solide eingeschätzt, nachdem ING während der Pandemie nur überschaubare Ausfälle hatte. Der Finanzkonzern ist außerdem internationaler aufgestellt als viele seiner Wettbewerber, was eine regionale Streuung der Risiken bedeutet: Ein Drittel der Erträge stammt aus dem Retailgeschäft in den Niederlanden, mehr als 40% derweil aus dem Privatkundengeschäft in anderen Ländern mit Schwerpunkten in Belgien und Deutschland. Ein Viertel der Einnahmen generiert ING im Wholesale Banking.

Und was das Exposure angeht: Bei drei Vierteln der risikogewichteten Assets handelt es sich um Vermögenswerte außerhalb der Niederlande. Was schließlich das Stichwort nachhaltige Transformation betrifft, so ist die niederländische Großbank bei der Kombination der Konditionen für Kredite mit ESG-Anforderungen im Branchenvergleich vergleichsweise weit fortgeschritten, was den Übergang in eine verstärkt nachhaltige Finanzierung erleichtern dürfte.

Einen zusätzlichen Anreiz für mittel- bis langfristig orientierte Anleger stellt die Ankündigung des Managements dar, das Gewicht des Retailgeschäfts gegenüber dem Wholsale Banking im Konzern zu stärken. Denn das Privatkundengeschäft ist ertragsträchtiger. Zudem dürfte das Geschäft der ING in Zeiten steigender Kapitalmarktzinsen Rückenwind erhalten.

BZ+
Jetzt weiterlesen mit BZ+
4 Wochen für nur 1 € testen
Zugang zu allen Premium-Artikeln
Flexible Laufzeit, monatlich kündbar.