„Die Zinswende ist definitiv ein Schlüsselfaktor“
Im Interview: Mathias Beil
„Die Zinswende ist definitiv ein Schlüsselfaktor“
Sutor-Bank-Experte sieht Gründe, die für eine Nebenwerterally sprechen – Sektoren wie Cybersecurity und Healthcare bieten Chancen
Anlagestratege Mathias Beil erklärt im Interview der Börsen-Zeitung, welche Voraussetzungen gegeben sein müssen, damit Small und Mid Caps eine Aufholjagd starten können. Zudem nennt der Experte Sektoren, die besonders großes Potenzial haben, und erklärt, was die bisherigen Gewinner des Jahres ausmacht.
Herr Beil, Small und Mid Caps haben schwierige Monate und Jahre hinter sich. 2022 gab es den stärksten Kurseinbruch seit Jahrzehnten, aber auch danach blieben die mittelgroßen Unternehmen hinter den Blue Chips zurück. Das ist ungewöhnlich, denn normalerweise werfen Nebenwerte bessere Renditen ab. Sind Sie für die Zukunft optimistischer?
In der Tat haben Small und Mid Caps in den vergangenen Jahren eine herausfordernde Phase durchlaufen. Der erhebliche Kurseinbruch im Jahr 2022 hat bei vielen Anlegern Spuren hinterlassen und das Vertrauen in diese Segmente geschwächt. Doch gerade in Zeiten der Unsicherheit bieten Small und Mid Caps häufig Chancen, die in starken Phasen oft übersehen werden. In Deutschland hat natürlich auch die Aufstockung des Dax von 30 auf 40 Werte das Bild verschoben. Ich bin optimistisch, dass sich die Erholung durch verbesserte wirtschaftliche Rahmenbedingungen und eine gewisse Marktbereinigung nachhaltig manifestieren kann. Wichtig ist dabei jedoch, dass Anleger selektiv vorgehen und gezielt nach Unternehmen suchen, die nicht nur über solide Fundamentaldaten, sondern auch über eine innovative und flexible Unternehmensstrategie verfügen.
In der Vergangenheit konnte man bei Nebenwerten häufig einen Bewertungsaufschlag gegenüber Blue Chips sehen. Dieser ist inzwischen fast völlig verschwunden. Haben Sie eine Erklärung dafür?
Ein wesentlicher Grund für den Wegfall des hohen Bewertungsaufschlags liegt in der gestiegenen Unsicherheit am Markt und dem Rückgang des Anlegervertrauens in Small und Mid Caps. Aktuell wird für 2024 das KGV für den Dax bei 13,8 gesehen, während das KGV für den MDax noch bei 16,4 liegt. Für 2025 sehen Analysten einen weiter schrumpfenden Bewertungsaufschlag von DAX 12,4 zu MDAX 12,8. Während Blue Chips aufgrund ihrer Größe und Stabilität als sicherer Hafen wahrgenommen werden, galten Nebenwerte traditionell als wachstumsstark, was höhere Bewertungen rechtfertigte. Diese Dynamik hat sich jedoch gewandelt: In Phasen, in denen makroökonomische Risiken zunehmen und die geopolitischen Unsicherheiten steigen, zieht es viele Investoren zu den vermeintlich sicheren und etablierten großen Unternehmen. Außerdem hat sich durch regulatorische Vorgaben die Anzahl der Analysten stark verringert, die sich mit Small und Mid Caps beschäftigen. Zudem haben sich in den letzten Jahren viele Small und Mid Caps im Hinblick auf die Bewertung an die größeren Unternehmen angenähert, was den Bewertungsaufschlag weiter reduziert hat.
Als ein Katalysator für Small und Mid Caps gilt vielen Experten die Zinswende. Diese haben EZB und Fed inzwischen vollzogen. Ein guter Zeitpunkt, um jetzt in solche Aktien zu investieren?
Die Zinswende ist definitiv ein Schlüsselfaktor, der das Umfeld für Small und Mid Caps maßgeblich beeinflusst. Höhere Zinsen können für wachstumsstarke Unternehmen, die häufig stärker von Fremdkapital abhängig sind, belastend sein. Wenn sich die Entwicklung hin zu niedrigeren Zinsen weiter stabilisiert und sich das Vertrauen der Investoren wiederherstellt, können gerade Unternehmen, die über eine solide Bilanz verfügen und nicht allzu stark verschuldet sind, profitieren. Daher kann es sich jetzt durchaus lohnen, genau hinzuschauen und auf Unternehmen zu setzen, die sich in der neuen Zinslandschaft behaupten können.
Bisher allerdings eilte nur der Dax von Rekord zu Rekord. Haben Sie eine Erklärung dafür, was die Nebenwerte hemmt? Sind die maue Konjunktur und die stärkere Ausrichtung auf den deutschen Markt hier auch ein Faktor?
Ja, absolut. Die aktuelle konjunkturelle Schwäche in Deutschland und Europa insgesamt wirkt sich überproportional auf Nebenwerte aus, da viele von ihnen einen stärkeren Heimatmarktbezug haben und nicht so global diversifiziert sind wie die großen Blue Chips im Dax. Das drückt auf die Erwartungen und bremst die Kursentwicklung. Gleichzeitig haben die Herausforderungen in der Lieferkette und die steigenden Energiepreise einige Unternehmen stärker getroffen als die etablierten Großunternehmen. Dies führt dazu, dass Anleger derzeit vorsichtiger agieren und verstärkt auf Unternehmen setzen, die sich in einem stabileren globalen Umfeld bewegen.
Was macht Ihnen Hoffnung, dass Small und Mid Caps bald eine Aufholjagd starten?
Es gibt mehrere Faktoren, die Hoffnung machen. Zum einen könnte sich die Konjunktur in den nächsten Quartalen stabilisieren, was zu einer Rückkehr des Vertrauens in kleinere und mittelgroße Unternehmen führen könnte. Zum anderen bieten gerade innovative und flexible Unternehmen in den Bereichen Technologie, nachhaltige Energien und Spezialindustrie spannende Potenziale. Wenn es den Unternehmen gelingt, ihre Wettbewerbsposition zu stärken und sich an die neuen Marktbedingungen anzupassen, dann haben Small und Mid Caps eine realistische Chance auf eine Aufholjagd.
Was spricht aus Ihrer Sicht gegen eine Nebenwerte-Rally?
Ein wesentlicher Hemmschuh bleibt das konjunkturelle Umfeld. Sollte es in den kommenden Monaten zu weiteren wirtschaftlichen Abschwächungen oder neuen geopolitischen Spannungen kommen, könnten Anleger weiterhin zurückhaltend gegenüber Small und Mid Caps bleiben. Zudem könnte eine erneute Zinsanhebung die Refinanzierungskosten erhöhen und somit das Wachstumspotenzial vieler Unternehmen dämpfen. Dieses Szenario einer kurzfristigen Zinsanhebung erscheint aber sehr unwahrscheinlich. Eine Rally setzt voraus, dass sich das Marktumfeld stabilisiert und sich die Stimmung nachhaltig verbessert.
Größter Gewinner im MDax war im vergangenen Jahr die Online-Apotheke Redcare Pharmacy. In diesem Jahr haben so unterschiedliche Titel wie CTS Eventim, Nordex, aber auch Hypoport stark zugelegt. Sehen Sie Sektoren oder auch Einzeltitel, die aktuell besonders viel Potenzial versprechen?
Es gibt durchaus interessante Sektoren und Einzeltitel, die aktuell Potenzial bieten. Der Bereich erneuerbare Energien, vertreten durch Unternehmen wie Nordex, bleibt spannend, da der Trend zu nachhaltigen Investitionen anhält. Auch der Eventbereich, repräsentiert durch Unternehmen wie CTS Eventim, profitiert von der Rückkehr der Konsumenten in den Freizeit- und Kulturbereich. Hypoport zeigt, dass digitale Finanzdienstleistungen ebenfalls gefragt sind, insbesondere in einem Umfeld, in dem sich die Immobilienfinanzierung verändert. Hier sehe ich auch in den nächsten Monaten Potenzial, sofern die Unternehmen ihre Marktposition weiter ausbauen können. Aus meiner Sicht werden Sektoren wie etwa Cybersecurity, Healthcare – z.B. Medikamente gegen Übergewicht – und digitale Werbung neben angestammten Sektoren wie KI-Software, Halbleiter, Biotechnologie und etwa Cloud-Services eine große Rolle spielen.
Und umgekehrt gefragt: Bei welchen Sektoren üben Sie sich lieber in Zurückhaltung?
Vorsicht ist sicherlich bei stark zyklischen Industrien geboten, die eng mit der allgemeinen Konjunkturentwicklung verknüpft sind. Insbesondere Unternehmen aus dem klassischen Industrie- und Automobilsektor könnten unter einem schwächeren Wirtschaftswachstum leiden. Auch Titel, die stark von Rohstoffpreisen abhängen, könnten bei anhaltenden Preisvolatilitäten unter Druck geraten. Hier wäre ich eher zurückhaltend und würde abwarten, bis sich die wirtschaftlichen Rahmenbedingungen wieder deutlicher stabilisiert haben.
Zur Person: Mathias Beil ist Leiter Private Banking bei der Hamburger Sutor Bank. Er ist verantwortlich für Anlagestrategien und die Betreuung von Privatkunden, Stiftungen und Family Offices. Der gelernte Bankfachwirt verfügt über langjährige Erfahrung im Bereich Vermögensverwaltung und -beratung mit Stationen bei der Bethmann Bank, Credit Suisse Deutschland, UBS Europe, HSBC Trinkaus & Burkhardt und dem Bankhaus M.M. Warburg.
Das Interview führte Tobias Möllers.