IM INTERVIEW: PATRICK PICENONI, ALTRAFIN-GRUPPE

"Investoren werden eine höhere Rendite fordern"

Gründungspartner des Schweizer Vermögensverwalters hält schnellen Anstieg zehnjähriger US-Rendite Richtung 5 Prozent für möglich - Belastung für Schwellenländer

"Investoren werden eine höhere Rendite fordern"

Viele Marktakteure unterschätzen nach Ansicht von Patrick Picenoni das Risiko steigender US-Zinsen. Wegen sinkender Nachfrage nach Treasuries rechnet der Gründungspartner und Vorstand der Schweizer Altrafin-Gruppe auf Sicht von eineinhalb bis zwei Jahren mit einer Rendite von 4 bis 5 % im Zehnjahresbereich. Im Interview der Börsen-Zeitung erläutert der Anlageexperte zudem, warum die strengere Bankenregulierung die Refinanzierung von Schwellenländer-Bonds erschweren kann.- Herr Picenoni, die türkische Lira ist jüngst abgestürzt, was andere Schwellenländer-Währungen ebenfalls stark belastet hat. Sind die Schwellenländer doch nicht so widerstandsfähig wie man gedacht hat?Patrick Picenoni: Ja, man sieht daran die Verletzbarkeit der Emerging Markets. Ihre Verschuldung hat seit der Finanzkrise um den Faktor drei zugenommen. Und gleichzeitig darf man nicht verkennen, dass die Banken als klassische Marketmaker wegen höherer Eigenkapitalanforderungen unter Basel III zwar nicht ganz wegfallen, bei Turbulenzen hier aber Probleme drohen. Man geht davon aus, dass die Marketmaking-Kapazitäten der Banken seit dem Jahr 2007 um 80 % gesunken sind. Institutionelle Investoren – 70 % der Kapitalflüsse bei Schwellenländer-Unternehmensanleihen stammen von internationalen Investoren – beobachten sehr genau, dass in Phasen erhöhter Volatilität die Banken als Intermediäre ausfallen könnten, gerade bei den typischerweise außerbörslich gehandelten Unternehmensanleihen. Diese Probleme sind seit der Finanzkrise neu auf Anleger zugekommen, vorher war der Markt fungibler. Viele Investoren unterschätzen die Gefahr einer geringen Fungibilität, und das angesichts eines Schuldenstandes der Schwellenländer von 20 Bill. Dollar. Das Liquiditätsproblem gilt allerdings nicht nur für Schwellenländer-Unternehmensanleihen, sondern auch bei westlichen Corporate Bonds.- Betrifft dieses Problem auch China?Der dortige Markt ist sehr zentralistisch gesteuert, aber angesichts der Handelskrieg-Rhetorik zeigt sich, dass China etwas anfällig ist – auch weil die Verschuldung trotz hoher Währungsreserven hoch ist.- Welche Rolle spielt es für die Schwellenländer, dass die Zeit des billigen Zentralbankgeldes sich dem Ende entgegen neigt und zumindest in den USA die Leitzinsen voraussichtlich weiter steigen werden?Die Liquiditätsflut der Zentralbanken hat natürlich dazu geführt, dass die Verschuldung massiv zugenommen hat – bei Unternehmen und Staaten, weniger bei Privathaushalten. So wurden von Unternehmen viele Anleihen begeben, um Aktien zurückzukaufen. Das billige Geld hat insbesondere in den USA die Finanzchefs von Unternehmen süchtig gemacht nach Aktienrückkäufen. Das hat natürlich die Aktionäre – und auch uns als Investoren – beglückt. Von 2010 bis dieses Jahr wird die Gesamtsumme der Aktienrückkäufe 5,1 Bill. Dollar betragen. Das ist mehr als die gesamte quantitative Lockerung der US-Notenbank Federal Reserve mit 4 Bill. Dollar. Nimmt man dies zusammen, so war es ein massiver Rückenwind für die Börsen in den USA, aber auch für die weltweiten Aktienmärkte. Aber dieses billige Geld kann sehr rasch teuer werden, wie man jetzt schon in den USA sieht. So hat sich der wichtige Referenzzins Dollar-Libor in 18 Monaten verdoppelt, das führt zu einer Verteuerung des Fremdkapitals. Dadurch wird das ganze System anfälliger für Korrekturen. Der Bullenmarkt in den USA wird also drehen, in Europa und Japan allerdings noch nicht, weil die Geldschleusen dort noch weit offen sind. Das wird sich 2019/2020 aber auch ändern.- Welche Auswirkungen hat der Anstieg der US-Zinsen für die Refinanzierung von Schwellenländer-Anleihen?Allein in den kommenden zwei Jahren müssen die Emerging Markets Unternehmensschulden von 4,5 Bill. Dollar refinanzieren. Die Verschuldungsrelationen in den Emerging Markets sind aktuell aber insgesamt nicht mehr so fremdwährungslastig wie etwa vor der Asienkrise in den späten 1990er Jahren. Das Volumen der Anleihen in “Hard Currencies” ist zwar stark gestiegen, macht heute aber weniger als 10 % der Gesamtverschuldung aus. Das ist aber allein der Tatsache geschuldet, dass die Verschuldung in lokalen Währungen noch stärker gestiegen ist. Das schiere Verschuldungsvolumen bereitet allerdings Kopfschmerzen. Die genannten 4,5 Bill. Dollar werden dann zum Problem, wenn der Dollar weiter steigt beziehungsweise die US-Zinsen weiter steigen. Das führt dazu, dass die Investoren eine höhere Verzinsung verlangen. Viele Schwellenländer haben heute aber anders vor 20 Jahren flexible Wechselkurse, das gibt ihnen einen Puffer.- Wenn die Risikoaufschläge für Schwellenländer-Bonds steigen, erwarten Sie dann wegen Refinanzierungsproblemen einen Anstieg der Zahlungsausfälle?Mit hoher Wahrscheinlichkeit werden die Unternehmen unter Refinanzierungsproblemen leiden, die ihre Verschuldung sehr stark hochgefahren haben. Dann werden die Ausfallraten ziemlich schnell steigen. Und weil diese Märkte noch nicht sehr reif sind, so genügt dies, die Marktstimmung trotz des gesunkenen Anteils an Dollar-Finanzierungen recht schnell zum Drehen zu bringen. Ich möchte noch hinzufügen: Es gab eine massive Allokation in Renten-ETFs mit dem Schwerpunkt Emerging Markets, die in der Regel nach Marktkapitalisierung gewichtet sind. Das bedeutet, dass das meiste Geld zu Unternehmen und Staaten mit der ohnehin schon höchsten Verschuldung fließt. Das geht gut, solange die dies Märkte finanzieren; und das geht schlecht, wenn es in die andere Richtung dreht. Die Kapitalflut über passive Anlageinstrumente ist neu.- Das heißt, der Marktmechanismus funktioniert nicht, weil die ohnehin schon hoch verschuldeten Akteure noch mehr Kapital erhalten?Das ist ein grotesker Mechanismus: Der Spread sinkt wegen steigender Nachfrage, aber eigentlich müsste er sich nach ökonomischen Gesichtspunkten ausweiten. Diese Verzerrung sieht man über die gesamte Phase der Niedrigzinspolitik der westlichen Länder hinweg.- Sie sprachen bereits die steigenden US-Zinsen an. Mit welchem Anstieg rechnen sie, und wie schnell wird das gehen?Unserer Meinung nach kann die Rendite zehnjähriger US-Zinsen in den kommenden eineinhalb bis zwei Jahren in den Bereich von 4 bis 5 % steigen. Es ist dabei nicht so wichtig, was die Federal Reserve macht, sondern wichtig ist, wie Investoren reagieren. Die Zinsen am Markt werden nicht nur durch die Leitzinsen, sondern auch durch Angebot und Nachfrage bestimmt. Wenn die US-Wirtschaft weiter so wächst wie zuletzt, dann wird das bei einer Arbeitslosenquote von zuletzt 3,8 % zu Lohnsteigerungen führen müssen. Das wird früher oder später auch der Inflation Auftrieb geben. Zusammen mit der Handelskrieg-Rhetorik – und nehmen wir an, nur die Hälfte davon wird umgesetzt – führt dies zu steigenden Preisen für Güter und Dienstleistungen. Wenn die Investoren dann das Gefühl haben, dass der Status quo verlassen wird, dann kann das zu einem Ketchupflascheneffekt führen. Die Marktteilnehmer verlangen dann automatisch höhere Risikoaufschläge.- Bedeutet der Ketchupflascheneffekt: Man schüttelt, lange Zeit passiert nichts, und plötzlich landet der halbe Flascheninhalt mit einem lauten Blub auf dem Teller?Genauso sehen wir das. Auf der einen Seite sehen wir die Notenbank, da wird es diesen Effekt nicht geben, weil sie mit ihrer Forward Guidance Überraschungseffekte verhindert, auch weil die Märkte viel zu fragil sind. Es wird also von der Marktseite her kommen – und kann recht schnell gehen, wie wir 2011 in Europa gelernt haben. In den USA kann das genauso passieren, und nicht weil es ein Finanzierungsproblem gibt, sondern ein Nachfrageproblem.- Was bedeutet das angesichts steigender US-Schulden wegen Steuersenkungen und steigenden Rüstungsausgaben?Die US-Staatsverschuldung wird in den kommenden zehn Jahren um 10 Bill. Dollar auf 30 Bill. Dollar steigen, wenn man berücksichtigt, was Präsident Donald Trump schon umgesetzt hat. Auf der anderen Seite fällt inzwischen die Federal Reserve als Käuferin für US-Staatsanleihen aus, die Russen habe ihre Bestände quasi verkauft. China und Japan sind die einzigen Halter, sie könnten dies aber möglicherweise als Waffe im Handelskrieg einsetzen. Wir sind deshalb überzeugt, dass durch die steigenden Staatsschulden, die Trumponomics, die Zinsen zwangsläufig steigen müssen. Das Angebot steigt, die Nachfrage sinkt, und Investoren werden eine höhere Rendite fordern.- Ist es wahrscheinlich, dass Länder ihre Bestände an US-Staatsanleihen als Waffe einsetzen?Japan wird sich diesbezüglich politisch und geostrategisch loyal verhalten. China ist die einzige Macht, die diese Waffe mit einer hohen Wirkung einsetzen könnte. Wenn es aber zu großen Turbulenzen am Markt für Treasuries kommt, dann würde China sich auch selbst schaden, weil es letztlich zu Auswirkungen auf die Realwirtschaft käme. Diese Waffe wird die Ultima Ratio sein – und nur mündlich vorgetragen. Man muss auch sehen, dass China derzeit sehr stark mit sich selbst beschäftigt ist. Die Kommunistische Partei des Landes wird 2021 ihr einhundertjähriges Bestehen feiern. Weil die chinesische Führung in der strategischen Sicht klug ist, werden sie eher versuchen, jetzt die übermäßige Kreditblase einzudämmen, ihre internen Probleme anzugehen und etwas weniger Wirtschaftswachstum in Kauf zu nehmen, damit sie dann 2021 gut dastehen werden. Es könnte also gut sein, dass sie 2020 wieder beginnen geldpolitisch zu stimulieren. Auch aus dieser Perspektive wird China kein Interesse haben mit den USA einen großen Handelskrieg einzugehen oder große Treasury-Bestände auf den Markt zu werfen.- Wir haben über die Refinanzierungssorgen bei Schwellenländerbonds, die Erwartung steigender US-Zinsen und die Wahrscheinlichkeit einer Korrektur am Aktienmarkt gesprochen. Ihre Fonds investieren nicht in Immobilien oder Alternatives, wie strukturieren Sie also Ihr Portfolio vor diesem Hintergrund?Momentan haben wir eine sehr niedrige Anleihequote zwischen 10 und 15 % mit einer Rendite von rund 2,2 % zum Ablauf hin. Dann haben wir eine recht hohe Liquiditätsquote von 10 %, etwas Gold mit 7 % – und den Rest im Aktienbereich. Im liquiden Bereich sind Aktien von guten Unternehmen die einzige Anlageklasse, die noch eine Prämie abwirft. Wir tun dies allerdings in dem Wissen, dass die Volatilität höher ist als bei Anleihen. Die Aktienquote steuern wir taktisch, in dem wir auch Indexfutures gegen unsere Aktienpositionen einsetzen. Der Erwartungswert für die Rendite von Aktien ist auch nicht mehr bei 7 %, sondern eher bei etwa 4 %.—-Das Interview führte Stefan Schaaf.