J.P. Morgan sieht große Risiken durch Brexit

Pfund-Abwertung macht Aktien aber attraktiv

J.P. Morgan sieht große Risiken durch Brexit

kjo Frankfurt – Die aktuelle Kapitalmarktsituation ist nach Ansicht der Experten von J.P. Morgan Asset Management vor allem durch zwei Trends geprägt: schwache Produktivität und demografische Effekte, wobei die Veränderungen in der Demografie die Produktivität zusätzlich negativ beeinflussen. Dies führe zu einem niedrigeren Trendwachstum: “Der aktuelle Zyklus lässt sich mit einer alten Schildkröte vergleichen: Es geht zwar stetig voran, aber sehr langsam”, so Tilmann Galler, Kapitalmarktstratege bei J.P. Morgan Asset Management. Die mittelfristigen Wachstumsprognosen seien bereits an dieses Umfeld angepasst worden, und auch die Leitzinsprognosen der Marktteilnehmer seien sukzessive immer weiter gesunken. “Das niedrigere Trendwachstum bedeutet aber auch, dass jede temporäre Abschwächung des Wirtschaftswachstums zu Rezessionsängsten führt. Von einer wie Anfang des Jahres befürchteten Rezession sind wir jedoch noch etwas entfernt”, so Galler. Prognosen korrigiertEin Thema, das die Märkte noch weiter beschäftigen sollte, sei der Brexit. Laut Galler werde es allerdings noch dauern, bis sich die Auswirkungen der Entscheidung Großbritanniens, die Europäische Union zu verlassen, niederschlagen. Bislang würden die Daten eher uneinheitlich ausfallen: Das Verbrauchervertrauen sei nach dem Referendum eingebrochen, habe sich inzwischen jedoch wieder erholt. Die rechtliche Unsicherheit nach dem Referendum stelle vor allem für die Investitionstätigkeit der Unternehmen eine Bedrohung dar: Die Agent Surveys der Bank of England würden einen starken Einbruch der Investitionsvorhaben aufzeigen, insbesondere im Dienstleistungssektor. Die vierteljährliche Umfrage des CBI zum Geschäftsklima sei nach der Abstimmung ebenfalls äußerst negativ ausgefallen. Bislang habe sich die Industrieproduktion jedoch weiterhin recht gut behauptet. Als Reaktion auf die uneinheitlichen Signale dieser Daten habe die OECD ihre Wachstumsprognose 2016 für Großbritannien unlängst von 1,7 auf 1,8 % nach oben korrigiert. Die Prognose für das kommende Jahr wurde allerdings um die Hälfte von zwei auf ein Prozent gesenkt.”Die Risiken durch die Unsicherheit werden weiterhin hoch bleiben, solange die langfristige Beziehung zwischen Großbritannien und der EU nicht abschließend geklärt ist”, so Galler. Großbritannien müsse sich entscheiden, ob es den freien Personenverkehr einschränken oder weiterhin Zugang zum Binnenmarkt der EU haben will. Ein Freihandelsabkommen für Waren wäre dabei im Sinne der EU-Länder – immerhin würden die Briten mehr Waren aus Europa kaufen, als sie dorthin exportieren. “Allerdings ist Großbritannien sehr viel stärker vom Handel mit der EU abhängig als umgekehrt: Etwa 50 % der britischen Waren werden nach Europa exportiert, während lediglich 16 % der gesamten Warenausfuhr der EU nach Großbritannien gehen”, so der Experte. Hohe DividendenrenditeFür ihn sehen nach den jüngsten Pfund-Abwertungen britische Aktien interessant aus. Da außerhalb des Immobiliensektors, des Einzelhandels und der Versorger ein sehr hoher Anteil der Umsätze britischer Unternehmen aus dem Ausland stamme, sollten sie in den kommenden Monaten ein besseres Gewinnmomentum haben. Zudem dürfte die jüngste Stabilisierung wichtiger Rohstoffmärkte positive Impulse setzen. Und last, but not least würden britische Aktien eine attraktive Ertragsquelle bieten, da die Dividendenrenditen mit rund 4 % im Vergleich zu vielen anderen Märkten sehr hoch seien. Ungewöhnlicher WahlkampfDie Vereinigten Staaten von Amerika würden mitten in einem ungewöhnlichen Wahlkampf stecken. Für die Märkte und die Wirtschaft dürften die Auswirkungen laut Galler jedoch deutlich schwächer ausfallen, als der Wirbel im Vorfeld der Wahlen nahelege: Das amerikanische System der Gewaltenteilung stelle sicher, dass ein Präsident die eigenen politischen Ideen allein nicht durchsetzen kann. Ein Wahlsieg Trumps würde die Anleger überraschen und zweifellos eine gewisse Volatilität an den Kapitalmärkten auslösen. Allerdings stehe ihm ja ein Korrektiv durch die zwei Kammern des Kongresses entgegen. “Unabhängig davon, wer die Wahlen am Ende gewinnen wird, sollten sich Anleger unserer Ansicht nach darauf einstellen, dass die USA innerhalb der nächsten Regierungsperiode aufgrund der Reife des Konjunkturzyklus in eine Rezession abrutschen werden. Die Wirtschaftsindikatoren deuten derzeit allerdings noch auf eine konjunkturelle Stärke hin. Wir behalten jedoch mehrere wichtige Indikatoren im Auge, um eine Änderung der Lage frühzeitig zu erkennen”, führte der Experte aus.