Keine Lust auf Brequities

Brexit-Votum drückt auf die ohnehin gedämpften Hoffnungen auf Kursgewinne britischer Aktien

Keine Lust auf Brequities

Viel erwartet hatten Aktienstrategen für 2016 ohnehin nicht, nach dem Volksentscheid für den EU-Austritt nehmen sie ihre Schätzungen für die Kursentwicklung britischer Dividendenpapiere weiter nach unten.Von Andreas Hippin, LondonDas britische Votum für den EU-Austritt hat Aktienstrategen dazu bewogen, ihre Schätzungen für die Kursentwicklung im laufenden Jahr zu reduzieren. Die Logik dahinter: Wegen der politischen Unsicherheit verzögerte Investitions- und Kaufentscheidungen dürften sich in den Unternehmensgewinnen widerspiegeln und auf das Wirtschaftswachstum drücken.Der Einfachheit halber setzen manche eine Wiederholung der Verluste in der Finanzkrise an. Die Strategen der großen Häuser hatten an das Jahr 2016 ohnehin keine großen Erwartungen – nachlassendes Wachstum, und die Schwäche der Rohstoffmärkte dämpften auch ganz ohne Brexit die Hoffnungen auf Kursgewinne. Im Schnitt gingen sie Ende 2015 davon aus, dass der auch Footsie genannte FTSE 100 in diesem Jahr um 3 % zulegen wird.Die UBS senkte ihr Kursziel Ende Juni von 6 500 auf 5 500 Punkte. Sie setzt dabei ein Kurs-Gewinn-Verhältnis von 12 an. “Aber wir sehen für die kommenden Monate ein wesentliches Maß von Unsicherheit”, schrieben die Strategen der Schweizer Großbank. “Wir wissen nicht, wer der Premierminister sein wird, wann und ob Artikel 50 in Anspruch genommen wird, und es besteht angesichts der derzeitigen Fluidität der britischen Politik sogar die Möglichkeit von Neuwahlen.” Deshalb bestünden auch Aufwärtsrisiken, etwa wenn es zu einer schnellen Verbesserung der politischen Lage komme.Der FTSE ist kein gutes Abbild der britischen Volkswirtschaft. Die in ihm enthaltenen Firmen berichten größtenteils in Dollar und machen drei Viertel ihres Geschäfts jenseits des Vereinigten Königreichs. Der Index ähnelt daher eher dem MSCI World. Ganz anders sieht es beim FTSE 250 aus. Die UBS wies am Tag der Bekanntgabe des Ergebnisses der Volksabstimmung darauf hin, dass sich der Bewertungsabstand zwischen FTSE 100 und FTSE 250 so hoch sei wie seit zwölf Jahren nicht. Mit Blick auf den Buchwert seien die mittelgroßen Werte um rund 40 % teurer als die Großunternehmen. Eine Woche nach der Entscheidung für den Brexit hatte der FTSE 100 um 2,7 % zugelegt, der FTSE 250 dagegen 6,7 % verloren. Banken unter DruckBankaktien wurden besonders stark abgestraft (siehe Grafik). Die Margen der Kreditinstitute stehen nicht erst seit dem Brexit-Votum unter Druck. Nun drohen der Verlust der Passporting-Rechte und Wertberichtigungen auf Gewerbeimmobilien, die als Sicherheiten für Kredite hinterlegt wurden. Sieben offene Immobilienfonds sind bereits vom Handel ausgesetzt. Reits wie British Land oder Land Securities verzeichneten Kursverluste. Die britischen Banken und Building Societies haben jedoch ihr Gewerbeimmobilien-Exposure in den vergangenen fünf Jahren von mehr als 150 Mrd. Pfund auf 86 Mrd. zurückgefahren, wie Bankanalyst Raul Sinha von J.P. Morgan betont. Er beziffert die Gewerbeimmobiliendarlehen der Royal Bank of Scotland auf 66 % des Nettoinventarwerts ohne immaterielle Vermögenswerte (tNAV). Bei der Lloyds Banking Group kommt er auf 46 %. Barclays (24 %), HSBC (12 %) und Standard Chartered seien vergleichsweise wenig exponiert. Aber es gibt nicht nur Verlierer am britischen Aktienmarkt. Die Analysten von Liberum Capital gehen davon aus, dass ohnehin schon hoch bewertete Konsumgüterhersteller wie Reckitt Benckiser trotz schwacher Verbrauchernachfrage, intensivem Wettbewerb und deflationären Trends weiterhin stark nachgefragt sein werden. “Weltweit niedrige Zinsen und gesunde Dividendenrenditen werden die Bewertung der Branche weiter unterstützen” schreiben die Analysten Robert Waldschmidt und Anubhav Malhotra.”Mitten in der Unsicherheit, die uns umgibt, übersieht man leicht die positiven Effekte, die das schwächere Pfund auf den Aktienmarkt hat,” sagt Laith Khalaf vom Vermögensverwalter Hargreaves Lansdown (AuM: 60 Mrd. Pfund). “Exporteure werden wettbewerbsfähiger und britische Firmen mit Geschäften im Ausland dürften höheren Gewinne zeigen, wenn die Einnahmen von dort in Pfund und Pence umgerechnet werden.” Den Liberum-Analysten zufolge dürfte die Abwertung des Pfunds für Konsumgüterhersteller, die in Pfund berichten, die Schwäche vieler Schwellenländerwährungen mehr als aufwiegen. Ganz abgesehen davon, dass die britische Währung gegen den Dollar auf den tiefsten Stand in 31 Jahren abgerutscht ist. Für Reckitt Benckiser bedeute ein 10 % stärkerer Dollar, dass das Ergebnis je Aktie um 2,5 % steige. Der Zuckerproduzent Tate & Lyle erwirtschaftet annähernd drei Viertel seines Gewinns in Dollar. Abzüge aus FondsWie aus den Daten der Investment Association hervorgeht, zogen britische Kleinanleger im Mai 316 Mill. Pfund aus britischen Aktienfonds ab. In den zwölf Monaten davor waren im Schnitt Zuflüsse von 299 Mill. Pfund verzeichnet worden. Aus steuerbegünstigten ISA-Fondssparplänen (Individual Savings Account) wurden 333 Mill.Pfund entnommen. Das verwaltete Vermögen der britischen Fondsbranche schrumpfte in den zwölf Monaten per Ende Mai um 2,8 %. “Der Brexit wird zweifellos zum neuen Schlachtruf der Untergangspropheten werden”, sagt Khalaf. “Es zahlt sich aber aus, einen klaren Kopf zu bewahren, Fakten von Meinungen zu trennen und eine ausgewogene Sicht der Ereignisse zu entwickeln.” Aus seiner Sicht ist besonders bedauerlich, dass Anleger Geld aus ihren ISA-Sparplänen entnommen und damit Steuervorteile in den Wind geschrieben haben.