Knappheit dürfte Brent-Ölpreis weiter antreiben
Knappheit dürfte Brent-Ölpreis weiter antreiben
Standard Chartered hält Niveau von mehr als 90 Dollar für möglich – Geopolitische Spannungen halten weiter an – Hohe Ölnachfrage in der Sommersaison
Der Brent-Ölpreis hat zuletzt wieder nachgegeben und ist unter die Marke von 85 Dollar je Barrel gesunken, nachdem er zuvor Kurs auf 90 Dollar genommen hatte. Analysten gehen aber davon aus, dass die Knappheit doch wieder für einen neuen Anstieg auf ein Niveau über 90 Dollar sorgen könnte.
ku Frankfurt
Der Preis der wichtigsten Rohölsorte Brent Crude hat in den vergangenen Monaten eine Berg- und Talfahrt hinter sich. Fehlgeleitete Erwartungen eines raschen Anstiegs der Ölproduktion der Opec plus haben die Notierung im Juni kurzzeitig unter die Marke von 80 Dollar je Barrel fallen lassen. Dann erholte sie sich sukzessive bis auf mehr als 88 Dollar, ist nun aber wieder unter die Marke von 85 Dollar gefahren.
Der jüngste Rückgang um fast 4 Dollar ist auf kurzfristige Effekte zurückzuführen. In den USA beginnt nun die Hurrikan-Saison und es sah zunächst danach aus, als könnte sich der erste Tropensturm mit dem Namen „Beryl“ bereits zu einer Gefahr für die Ölindustrie im Golf von Mexiko entwickeln. Ausgeprägte Hurrikans haben in der Vergangenheit die Produktion in der Region teilweise für Wochen lahmgelegt, die kurzfristige Knappheit rechtfertigte jeweils spürbare Preisvorschläge. Und in dieser Saison ist die Wahrscheinlichkeit für eine Produktionsunterbrechung besonders hoch, denn das nationale Hurrikanzentrum der amerikanischen Wetterbehörde NOAA veranschlagt die Wahrscheinlichkeit für eine Saison mit überdurchschnittlichen Hurrikans mit nicht weniger als 85%. Der Wirbelsturm „Beryl“ kam sehr früh und erreichte zeitweise die höchste Kategorie – so früh wie bisher noch kein Wirbelsturm in der Region. Danach schwächte er sich allerdings ab. Zu beklagen sind zwar Todesopfer in der Karibik und in Texas. Die Ölindustrie ist aber kaum in Mitleidenschaft gezogen worden.
Angriff Israels erwartet
Ein weiterer kurzfristiger Faktor sind die geopolitischen Spannungen in der Region rund um den Persischen Golf als die wichtigste Ölregion der Welt. Zeitweilig sah es danach aus, als würde ein großer israelischer Angriff auf den Libanon unmittelbar bevorstehen – vonseiten der israelischen Regierung gab es entsprechende Rhetorik. Zu einem solchen Angriff und damit einer Ausweitung des israelisch-palästinensischen Kriegs ist es bislang allerdings noch nicht gekommen. Die US-Regierung hat auch starken Druck auf Israel ausgeübt, von einem derartigen Angriff abzusehen. Außerdem wird von dem neuen iranischen Präsidenten Massud Peseschkian erwartet, dass er stärker als sein Vorgänger auf einen Ausgleich mit dem Westen bedacht sei. Ob dies allerdings der Realität entspricht, ist fraglich, weil für die Formulierung der Grundsätze der Außenpolitik des Iran Revolutionsführer Ali Chamenei zuständig ist.
Grundsätzlich besteht aber auf dem globalen Ölmarkt derzeit eine ausgeprägte Knappheit. „Niedrigere Rohölexporte von der Opec und aus Russland, während gleichzeitig die Raffinerien ihre Produktion erhöhen für den Gipfel der Nachfrage im Sommer, tragen dazu bei, dass der Markt enger ist als erwartet“, betonte Claudio Galimberti, Directory of Global Market Analysis des Marktbeobachters Rystad Energy. Grundsätzlich positiv für den Ölverbrauch sind seiner Meinung nach auch die anstehenden Leitzinssenkungen in den USA, während die anhaltenden geopolitischen Spannungen im Nahen Osten die Ölpreise stützten.
Die Ökonomen der Opec haben derweil ihre Prognose für den Anstieg des Ölverbrauchs in ihrem jüngsten, am Mittwoch vorgelegten Monatsbericht auf hohem Niveau bestätigt. Danach gehen sie davon aus, dass die Nachfrage im laufenden Jahr um 2,25 Mill. Barrel pro Tag (bpd) zulegen wird und 2025 dann um 1,85 Mill. bpd. Auch sie verweisen darauf, dass die Saison des Sommerurlaubs auf der nördlichen Halbkugel den Ölverbrauch kräftig antreiben wird, besonders in den USA.
Dies zeigt sich auch in den jüngsten Daten des Branchenverbandes American Petroleum Institute, die für die vergangene Woche einen Rückgang der amerikanischen Lagerbestände an Rohöl um 1,9 Mill. Barrel veranschlagt haben und ein Minus der Benzinvorräte um 3 Mill. Barrel. Diese Zahlen wurden dann am Mittwochnachmittag durch Daten der Energy Information Administration der US-Regierung bestätigt, die von einem Rückgang der Lagerbestände an Rohöl um 2 Mill. Barrel ausgeht. Den Rückgang der Bestände an Ölprodukten einschließlich Diesel und Heizöl gibt sie mit 4,9 Mill. Barrel an.
Was die Produktion in den USA betrifft, so hat das amerikanische Energieministerium kürzlich zwar noch einmal seine Prognose für den Anstieg der Förderung im laufenden Jahr nach oben korrigiert. Grundsätzlich gehen aber viele Analysten davon aus, dass sich der Anstieg der Produktion allmählich abflachen wird. Dazu trage eine fortschreitende Konsolidierung in der Branche bei sowie die Tatsache, dass die Produzenten zunehmend die Renditen ihrer Aktionäre im Blick haben und weniger stark das Bedürfnis verspüren, um jeden Preis zu expandieren. Aktuell gibt es in den USA nach Angaben des Bohrdienstleisters Baker-Hughes 479 Ölförderstellen, 66 weniger als noch vor einem Jahr.
Die Rohstoffanalysten von Standard Chartered halten es derweil für möglich, dass der Brent-Ölpreis in den kommenden Monaten über die Marke von 90 Dollar je Barrel steigen wird. Ihrer Meinung nach gibt es im dritten Quartal ein rekordhohes Defizit auf dem Ölmarkt, was auch das Marktgleichgewicht im vierten Quartal beeinflussen werde.
Systematischer Fehler
Sie verweisen noch auf eine interessante Beobachtung: So habe die Energy Information Administration der US-Regierung in 22 der vergangenen 24 Monate in ihren Prognosen den Treibstoffverbrauch in den USA zu niedrig ansetzt, was zu dem Pessimismus der weltweiten Akteure am Ölmarkt beigetragen habe. Die US-Regierung ist derzeit mit Blick auf die Chancen für eine Wiederwahl Bidens im November an einem möglichst niedrigen Ölpreis interessiert.