Komplexität in der Fusionskontrolle nimmt zu

Staaten setzen regulatorische Hürden für grenzüberschreitende Transaktionen - Digitalisierung schafft neue Wettbewerbsthemen

Komplexität in der Fusionskontrolle nimmt zu

Von Martin Klusmann *)Fortlaufender Wandel ist eine Konstante des Kartellrechts. Aus Sicht des Kartellrechtspraktikers lassen sich zu Beginn des Jahres 2018 einige globale Trends identifizieren, die erheblichen Einfluss auf die unternehmerische Praxis haben. Vor allem bezüglich Fusionen und Übernahmen (M&A), digitalen Plattformen sowie Vertrieb und Preisgestaltung sind in diesem Jahr Aktivitäten und Veränderungen zu erwarten, auf die sich die Unternehmen einstellen müssen. Umso mehr, als internationale Kartelluntersuchungen weiter in großer Zahl stattfinden. Allgemein gelten kartellrechtliche Regelungen als Abbild wirtschafts- und wettbewerbspolitischer Überzeugungen. In dieser Hinsicht waren die vergangenen beiden Jahre von Unsicherheit und protektionistischen Tendenzen geprägt. Nach Jahrzehnten der Handelsliberalisierung und Globalisierung setzen vor allem die Vereinigten Staaten auf Protektionismus. Präsident Trump hat erste Wahlversprechen eingelöst und sich aus dem transpazifischen Freihandelsabkommen TPP zurückgezogen. Weitere Abkommen stehen auf dem Prüfstand. VerunsicherungAuch die schwierigen Brexit-Verhandlungen verunsichern die Marktteilnehmer: Nach wie vor ist völlig unklar, welchen Status der wichtige Außenhandelspartner Großbritannien abschließend erhalten wird. China versucht währenddessen, sich zumindest medial als neue Leitnation des freien Welthandels zu positionieren und von diesen Veränderungen zu profitieren. Angesichts dieser politischen Entwicklungen sind grenzüberschreitende Fusionen und Übernahmen besonders stark vom Trend zum regulatorisch umgesetzten Protektionismus betroffen. Galt in der Vergangenheit den fusionskontrollrechtlichen Hürden mit ihren multi-jurisdiktionellen Anmeldeerfordernissen das Hauptaugenmerk, verschiebt sich der Fokus nun zur “foreign investment control”, die in der EU und anderenorts laufend verschärft wird. Dadurch gewinnen oftmals nicht zuverlässig vorhersehbare und wenig objektive politische Vorgaben und Einschätzungen an Gewicht, was die Transaktionssicherheit erheblich verringert. Diese Entwicklung lässt sich auch anhand von Zahlen belegen: Alle G 7-Länder und 55 % der G 20-Länder haben in der jüngeren Vergangenheit ihre Interventionsmöglichkeiten bei gegebenem “public interest” bei grenzüberschreitenden Transaktionen ausgebaut oder erweitern diese gerade. Seit 2014 hat sich die Zahl der Beratungsfälle zu “foreign investment control” bei Transaktionen mit einem Deal-Volumen über 1 Mrd. Euro um fast ein Drittel gesteigert. Kontrapunkt in ChinaVor allem die US-Amerikaner sind mit ihrer CFIUS-Gesetzebung Vorreiter, was sich immer häufiger an Transaktionen ablesen lässt, die wegen formeller oder informeller CFIUS-Bedenken abgesagt werden müssen. Aber auch in Deutschland wurde im Anschluss an die Übernahme des Roboter-Herstellers Kuka durch Midea eine Verschärfung der AWG-Regeln angestoßen. Einzig China schlägt einen anderen Kurs ein: Die strengen Begrenzungsregelungen für “inbound investments” werden gelockert. All das führt dazu, dass die Transaktionskomplexität vor allem für Industrien mit Schlüsselfunktionen, wie militärische Güter, IT oder Infrastruktur-Produkte zunimmt. Denn die Umsetzungswahrscheinlichkeit nimmt aus regulatorischen Gründen ab. Der passenden Deal-Architektur und Anmeldestrategie kommt damit eine Schlüsselfunktion zu.Auch in der Fusionskontrolle werden die Prozesse komplexer. So geht es in den behördlichen Genehmigungsverfahren nicht mehr nur um hypothetische Preiseffekte nach dem Vollzug eines angemeldeten Zusammenschlusses. Vielmehr werden zunehmend auch mögliche Auswirkungen auf den Innovationswettbewerb, schwer greifbare Kollusionseffekte bezogen auf Muttergesellschaften von Gemeinschaftsunternehmen sowie konglomerate Effekte geprüft. Unter konglomeraten Effekten versteht man die Gefahr, dass Fusionsteilnehmer ihre starke Marktstellung auf einem Markt auf einen anderen Markt zu übertragen versuchen. Diese Analyse erfolgt nicht auf empirischer Basis tatsächlich eintretender Effekte, sondern hypothetisch mit einem Zeithorizont von drei bis fünf Jahren. Behörden sind heute eher dazu bereit, Zusammenschlüsse auch bei geringeren Marktanteilsadditionen aufgrund anderweitig negativer Prognosen zu untersagen oder durch entsprechende Zusagenforderungen zu verkleinern. Gleichzeitig steigt der Aufwand der Anmelder, um alle möglichen denkbaren Szenarien und Modelle zu widerlegen. Für internationales Aufsehen sorgen derzeit insbesondere kartellrechtliche Verfahren zu Online-Plattformen. Damit verbunden ist die Diskussion neuer wettbewerbspolitischer und wettbewerbsrechtlicher Themen aufgrund der Digitalisierung. Das Interesse an Big Data bezieht sich dabei vor allem auf Potenziale für missbräuchliches Verhalten in marktstarker oder marktbeherrschender Stellung: Fusionskontrollrechtlich sind entsprechende Sachverhalte häufig schwer zu greifen, weil digitale Pioniere oft noch keine Marktpräsenz oder vorzeigbaren Umsätze haben, das Feld aber gleichwohl frühzeitig besetzen. Anders als bei klassischen Unternehmenskäufen bemessen sich Kaufpreise in der digitalen Wirtschaft daher oft nicht nach Multiples des Vorjahresumsatzes oder dem Betriebsergebnis (Ebit) des Zielunternehmens, sondern nach Marktfantasien. Dies hat zur Einführung neuer, alternativer Schwellenwerte für die Fusionskontrolle in Österreich und Deutschland geführt, die auf Transaktionswerte abstellen. Marktabgrenzungen werden enger – wie zum Beispiel im Fall Microsoft/LinkedIn, wo von einem relevanten Markt für “professionelle soziale Netzwerke” ausgegangen wurde. Thema der PreissetzungErgänzend werden zunehmend datenschutzrechtliche Regelungen erlassen, die wie in Deutschland ab diesem Jahr sehr hohe Bußgelder für unzulässig übertragene persönliche Daten vorsehen. Auch für Big-Data-Fälle werden die Auseinandersetzungen zunehmend politisch: Insbesondere nach der EU-Rückforderung irischer Staatshilfen für Apple, der EU-Rekordbuße im Fall Google oder angesichts der parallelen Ermittlungen gegen Facebook in Deutschland, Frankreich, Italien und den Niederlanden wegen angeblich missbräuchlicher Geschäftsbedingungen zum Datenschutz wird gegenüber der EU der Vorwurf antiamerikanischen Vorgehens erhoben. Das Thema der Preissetzung in Vertriebsketten ist seit Jahren im Fokus der europäischen und zunehmend auch der asiatischen Kartellbehörden. Es geht dabei um die Frage, ob in einer Vertriebskette der Hersteller oder ein Importeur Preise festsetzen oder empfehlen dürfen, die von nachgelagerten Absatzmittlern gegenüber ihren Kunden verlangt werden sollen. In diesem Sinne spielen regelmäßig unverbindliche Preisempfehlungen, Höchstpreisempfehlungen, Meistbegünstigungsklauseln, aber auch bestimmte Rabattpraktiken oder diskriminierendes Pricing eine Rolle. AnpassungsbedarfDas Bundeskartellamt geht davon aus, dass die Preishoheit von selbständigen Händlern als solches besonders schutzwürdig ist und durchgesetzt werden muss. Jede Einflussnahme von Herstellern, eine bestimmte Preisdisziplin einzuhalten, wird mit Bußgeldverfahren beantwortet. Daneben fokussieren die Behörden zunehmend auf die neuen Herausforderungen, die der Internetvertrieb erzeugt. So hat EU-Kommissarin Vestager bekanntgegeben, dass sie den Algorithmen auf der Spur sei. Damit ist die Verfolgung von Sachverhalten gemeint, bei denen eine computergeschützte Preisfindung stattfindet, die Datenpunkte aus dem Internet automatisch in bestimmte Preisänderungen umsetzt. Es ist die Frage zu klären, ob solche mechanischen Vorgänge als kartellrechtlich relevantes Verhalten zu bewerten sein können. Schon dieses Beispiel belegt eindrucksvoll, wie groß der Anpassungsbedarf des Kartellrechts infolge des digitalen Wandels ist.—-*) Dr. Martin Klusmann ist Partner von Freshfields Bruckhaus Deringer.