GASTBEITRAG

Konzerne auf Diät - Chancen für aktive Fondsmanager

Börsen-Zeitung, 13.10.2018 Essen gilt nicht als Nabel der Welt - dennoch erregt die Stadt immer wieder internationale Aufmerksamkeit. Aktuell läuft dort, im einstigen Epizentrum der europäischen Industrielandschaft, der nächste Zwischenakt in einem...

Konzerne auf Diät - Chancen für aktive Fondsmanager

Essen gilt nicht als Nabel der Welt – dennoch erregt die Stadt immer wieder internationale Aufmerksamkeit. Aktuell läuft dort, im einstigen Epizentrum der europäischen Industrielandschaft, der nächste Zwischenakt in einem Schauspiel, das als Paradebeispiel für den Zerfall einer gesamten Managementkultur dient. Die Rede ist vom noch immer führungslosen Konglomerat ThyssenKrupp, dem U-Boote bauenden Hersteller von Autoteilen und Aufzügen. Der traditionsreiche Mischkonzern hat sich bekanntlich aktivistischen Aktionären gebeugt, welche auf die Zerschlagung des Konzerns drängen und die künftige Eigenständigkeit von Sparten fordern. Jetzt will sich der größte Stahlhersteller Deutschlands in zwei eigenständige Unternehmen aufteilen. Und Thyssenkrupp ist kein Einzelfall in Europa. Die Liste mit börsennotierten Megakonzernen, für die es ähnliche Forderungen nach radikaler Verschlankung und Spezialisierung gibt, reicht von A wie Agfa-Gevaert bis V wie Volkswagen – Tendenz stark steigend. Wie konnte es dazu kommen, dass das einst als diversifizierte Unternehmensstruktur so beliebte Konglomerat zum Ladenhüter wurde? Welche Rolle spielen Aktivisten dabei? Und welche Investmentchancen bieten sich aus diesem scheinbar unaufhaltsamen Trend? Schleichender BörsentodDie ersten Konglomerate in Westeuropa entstanden in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts. Immer mehr Industrieunternehmen entschieden sich zur Diversifikation und die Bildung horizontaler Mischkonzerne war die Konsequenz. Die Aussicht auf Synergien, die Streuung von Klumpenrisiken und den Ausgleich von Branchenzyklen trieb diese Entwicklung maßgeblich. In der Folge entstanden allerdings komplexe und zunehmend undurchsichtige Strukturen. In den vergangenen Jahren hat sich deshalb eine Trendwende vollzogen: Investoren wenden sich zunehmend von den einst so beliebten Mischkonzernstrukturen ab. Entsprechend reagieren viele Konzerne und lagern einzelne Geschäftsbereiche aus oder bringen Tochtergesellschaften als eigenständige Unternehmen an die Börse. Die Gemischtwarenläden sind aus der Mode gekommen, das Konglomerat stirbt einen schleichenden Börsentod.Dieser Trend ist besonders stark in Europa zu beobachten, wo einige etablierte Industriekonzerne sich zunehmend im Kreuzfeuer von Investoren befinden. Schlanker werden ist die Devise – wenn es sein muss, um jeden Preis. Aufspaltungen und Ausgliederungen sind das Mittel der Wahl, um mit spezialisierten Unternehmenseinheiten strategische Ziele zu verfolgen oder um Renditeperlen durch einen Sparten-IPO vom Bullenmarkt profitieren zu lassen. Viele Investoren gieren nach Spezialisierung von einstigen Mischkonzernen – je reiner, desto stärker werden sie nachgefragt. Solche Spezialunternehmen müssen nicht mit anderen Sparten um wertvolle Konzernressourcen konkurrieren und können sich ohne Quersubventionierung auf eigene Ziele fokussieren. Seit mehreren Jahren fallen Mischkonzerne genau diesem Verschlankungstrend zum Opfer. ThyssenKrupp, Siemens, A.P. Møller-Mærsk und Phillips – die Liste der Konzerne auf Diät liest sich wie das Who’s who der europäischen Industrielandschaft. So befindet sich die Zahl der Ausgliederungen und Teilverkäufe in Europa auf einem Höchststand.Dass Investoren die Spezialisierung von Unternehmen lieben, hat einen guten Grund: Um im zunehmenden globalen Wettbewerb konkurrenzfähig zu bleiben, müssen Konzerne sich schlanker aufstellen. Nur so können sie im Strukturwandel flexibel bleiben und vermeiden, dass Kernkompetenzen von Randaktivitäten überschattet werden. Investoren wollen agile Schnellboote, keine trägen Öltanker. Zu stark diversifizierte Konglomerate haben sich in den vergangenen Jahren an der Börse oft schlechter entwickelt als ihre spezialisierten Wettbewerber. Insbesondere die Kapitalallokation leidet oft in einem Konglomerat, wenn die Sparten unterschiedliche Interessen haben. Dies spiegelt sich direkt in der Bewertung an der Börse im Konglomeratsdiscount. Dieser Abschlag beträgt oft 10 bis 15 %. Das Streben der Anleger nach Verschlankung zeigt, dass, sobald operative Optimierung und organisches Wachstum an natürliche Grenzen stoßen, unternehmerische Umgestaltung der bevorzugte Weg zur Maximierung des Shareholder Value ist.Inzwischen haben Europas Konglomerate auch das Interesse aktivistischer Investoren aus den USA geweckt. Während es auch in Europa schon länger Ankeraktionäre gibt, die hinter den Kulissen Druck auf das Management ausüben, sind Ton und Gangart der amerikanischen Aktivisten für deutsche Führungsetagen ungewohnt. Der US-Investment Bank Lazard zufolge trafen bereits rund ein Viertel aller im 1. Halbjahr 2018 global lancierten Aktivisten-Kampagnen europäische Ziele – ein neuer Höchststand. “Lautstark und aggressiv” trifft dann auf “alteingesessen”. So läuft es auch bei ThyssenKrupp, wo die neue Art von Aktivisten lautstark nach Veränderung ruft. Ähnliches spielt sich in der Schweiz bei ABB und in Großbritannien bei Whitbread ab. Einstieg mit Minderheitsanteil Der typische Ablauf eines aktivistischen Investors bei der Attacke auf ein Konglomerat ist, zunächst einen Minderheitsanteil zu erwerben, anschließend Verbündete zu gewinnen und dann neben Restrukturierungen oder Strategieänderungen vor allem auf Abspaltungen beziehungsweise Verkäufe von ganzen Geschäftsbereichen zu pochen – stets zum Wohl der Aktionäre. Insbesondere wenn die Performance nicht stimmt, geraten Konglomerate dann schnell unter Handlungsdruck. Im ersten Halbjahr 2018 hatten mehr als ein Drittel aller aktivistischen Kampagnen eine Übernahme oder eine Aufspaltung als Ziel. Jedoch sind nicht alle Führungsetagen europäischer Konzerne passiv.Einige versuchen, externen Aktivitäten vorzubeugen. Bei Siemens beispielsweise werden Sparten ausgelagert oder teilweise an die Börse gebracht. Während viele Unternehmenslenker unter dem Verschlankungstrend leiden, bietet diese Entwicklung diverse Investmentchancen für aktive Fondsmanager, die sich auf fundamentalanalytische Aktienselektion spezialisiert haben. So sind die resultierenden Ausgliederungen (Spin-offs) oft sehr attraktive Investments. Die abgespaltenen Unternehmensteile werden häufig zunächst vom breiten Markt missachtet und unterliegen vorteilhaften technischen Faktoren: Viele institutionelle Investoren müssen beispielsweise die neu erhaltenen Spin-off-Aktien unmittelbar verkaufen, was zu verzerrten Bewertungen führen kann. Langfristig orientierte Fondsmanager haben daher die Möglichkeit, einen Teil eines ehemaligen Konglomerats unter seinem eigentlichen Wert zu kaufen. Ein gutes Beispiel hierfür ist Uniper. Der globale Energieversorger wurde einst als hässliches Entlein abgestoßen und von Investoren auch zunächst als solches behandelt. Ein anderer Fall ist Lanxess: Investoren mit langem Atem konnten Aktien der einst als Resterampe bezeichneten Ausgliederung mit einem hohen Abschlag erwerben. Die nächsten Spin-offs von Konzernen wie Agfa-Gevaert, Continental und A.P. Møller-Mærsk sind bereits für das Jahr 2019 zu erwarten und bieten weitere Chancen.Investoren können potenzielle Aktivisten-Ziele auch frühzeitig identifizieren und sich entsprechend positionieren. Eine Garantie gibt es nicht, aber Indikatoren, die ein Konglomerat weit oben auf die Liste eines aktivistischen Investors rutschen lassen, sind niedrigere relative Bewertungen, hohe Cash-Bestände und eine nicht stringente strategische Ausrichtung. Wenn es dann noch an Synergien zwischen einzelnen Geschäftsbereichen mangelt, wie zum Beispiel bei der Kombination von Costa Coffee und Premier Inn unter dem Whitbread-Dach, dauert es nicht lange, bis Aktionäre auf die Freisetzung verborgener Werte drängen. Unternehmen, bei denen beispielsweise die Summe der Einzelteile größer ist als der Wert des ganzen Konglomerats, bieten ausreichend Sicherheitsmarge für den Fall, dass kein Aktivist an der Konzerntür anklopft. Vorteil Komplexität Durch den Verschlankungstrend entstehen auch viele komplexe Übernahmesituationen, wie beispielsweise bei der Umstrukturierung des deutschen Energiemarkts zwischen den Unternehmen RWE, Eon, Uniper und Innogy. Solche Konstellationen bieten zahlreiche attraktive Investmentmöglichkeiten, die eine geringe Korrelation zum Gesamtaktienmarkt haben.Die Komplexität der Situationen, die aus der schrittweisen Auflösung der europäischen Konglomerate entsteht, macht es für an Benchmarks orientierte Fondsmanager nahezu unmöglich, solche Investmentchancen in voller Tragweite zu erfassen. Deshalb haben fundamentale Investoren hier die Möglichkeit, durch tiefgreifendes Research und Einzeltitelselektion eine Outperformance zu erzielen. Um diese Sondersituationen aufzuspüren, müssen Fondsmanager sich dort umsehen, wo andere Marktteilnehmer entweder nicht aktiv sein können oder wollen. Das schrittweise Verschwinden des Konglomerats ist daher auch die Quelle neuer Renditechancen.—–Oliver Scharping, Portfoliomanager Globale Aktien beim Assetmanager Bantleon