Geld oder Brief

Lufthansa bietet wenig Grund zur Euphorie

Die Lufthansa steht vor gewaltigen Herausforderungen. Daher äußern sich Analysten wie Alex Irving von Bernstein verhalten zur Lufthansa-Aktie.

Lufthansa bietet wenig Grund zur Euphorie

Von Lisa Schmelzer, Frankfurt

Anleger in Airline-Aktien brauchen Geduld und gute Nerven. Das gilt schon in normalen Zeiten, da die Unternehmen selten hohe Renditen abwerfen und ihre wirtschaftliche Entwicklung immer stark von externen Faktoren abhängig ist. Das gilt erst recht in Zeiten wie diesen, wo die Folgen der Corona-Pandemie noch nicht verdaut sind und die Branche schon mit den nächsten Herausforderungen zu kämpfen hat – zum einen dem hohen Ölpreis, zum anderen dem Fachkräftemangel. Beides treibt kurz- und mittelfristig die Kosten deutlich in die Höhe.

In dieser schwierigen Gemengelage geht fast unter, dass die Fluggesellschaften bei der Nachfrage gerade goldene Zeiten erleben. Die lange Reisepause infolge der Corona-Pandemie treibt die Reisefreudigen in die Flugzeuge, die Passagiere sind zudem bereit, viel Geld für die Tickets auszugeben, die Flugpreise sind deutlich gestiegen.

Bei der Lufthansa hat das im zweiten Quartal zu gegen­über dem Vorkrisenjahr 2019 um 9% angewachsenen Umsätzen pro an­gebotenen Sitzkilometer (RASK) geführt, dieser Trend dürfte sich im laufenden Vierteljahr fortgesetzt haben. Im Quartal zwischen April und Juni ist es Lufthansa im Airline-Geschäft allerdings dennoch nicht gelungen, in die schwarzen Zahlen zurückzukehren – unter anderem, weil nicht alle zusätzlichen Kosten an die Passagiere weitergegeben werden konnten. Die gesamte Branche war außerdem von dem deutlich anziehenden Geschäft überfordert, an zahlreichen Flughäfen mussten Flüge gestrichen und Flugpläne eingedampft werden. Die Störungen an Flughäfen hatten zusätzliche Kosten zur Folge und führten zu Umsatzeinbußen, wobei Lufthansa und der Flughafen Frankfurt besonders stark betroffen waren. Lufthansa entstanden im zweiten Quartal Kosten in Höhe von 158 Mill. Euro, für das Gesamtjahr werden 450 bis 500 Mill. Euro erwartet. Das ist deutlich mehr als bei den Wettbewerbern – der britisch-spanische Airline-Konzern IAG sprach für das zweite Quartal von einem Aufwand von 15 Mill. Euro, bei Air France-KLM war von rund 70 Mill. Euro die Rede.

Dass es der Lufthansa konzernweit dennoch gelungen ist, Gewinne einzufliegen, lag vor allem an der Frachttochter Lufthansa Cargo, die nach wie vor auf Rekordkurs ist. Das starke Engagement im Luftfrachtgeschäft zeichnet Lufthansa in der aktuellen Situation aus, Wettbewerber wie Air France haben sich zum Beispiel längst von einer eigenen Frachterflotte verabschiedet und können daher nur sehr eingeschränkt von den positiven Trends im weltweiten Logistikgeschäft profitieren.

Analysten wie Alex Irving von Bernstein sind dennoch verhalten für die Lufthansa-Aktie. Als Gründe dafür werden die zunehmenden Spannungen mit den Arbeitnehmern genannt, „da der Konzern versucht, weitere Umstrukturierungen durchzuführen“. Lufthansa will immer mehr Geschäft in günstiger produzierende Töchter verlagern und bringt damit vor allem die Piloten gegen sich auf. Vordergründig geht es bei der aktuellen Tarifauseinandersetzung um die Vergütung, doch der Konflikt um die Gründung neuer Tochtergesellschaften schwelt im Hintergrund mit und belastet die Verhandlungen. Ein Streik der Flugzeugführer konnte zuletzt zwar abgewendet werden, aber das Blatt kann sich schnell wenden.

Bernstein verweist zudem als Negativfaktor auf die Ungewissheit über den Verkauf von Vermögenswerten hin. Lufthansa sucht einen (Minderheiten-)Investor für die Tochter Lufthansa Technik und will sich vom Kreditkarten-Anbieter Airplus trennen. Mit den Veräußerungen soll es gelingen, den Schuldenabbau voranzutreiben. Die Nettoverschuldung lag zum 30. Juni 2022 bei 6,4 Mrd. Euro, ist allerdings bereits kräftig gesunken – am 31. Dezember 2021 waren es noch 9 Mrd. Euro. Im Verlauf des ersten Halbjahres sei die Zahl der Buchungen deutlich angestiegen. Aufgrund der hohen Buchungseingänge und „struktureller Verbesserungen im Management des kurzfristigen Betriebsvermögens (Working Capital) konnte im zweiten Quartal ein signifikant positiver Adjusted Free Cashflow von 2,1 Mrd. Euro erwirtschaftet werden“, teilte das Unternehmen zur Begründung mit. Im ersten Halbjahr betrug der Adjusted Free Cashflow 2,9 Mrd. Euro, nach −571 Mill. Euro im Vorjahr.

Auch bei den Aussichten für die wichtigsten Geschäftsfelder im Fluggeschäft, den Langstreckenverbindungen und der Firmenkundensparte, sehen Analysten zumindest im laufenden Geschäftsjahr keinen Grund für Euphorie. Zwar läuft es auf den Transatlantikrouten wieder rund, indes ist dort der Wettbewerbsdruck hoch. Die Ab­hängigkeit der Lufthansa vom Ostasiengeschäft ist deutlich größer als bei vielen Konkurrenten – und dort verläuft die Erholung viel langsamer als im Rest der Welt, vor allem für den wichtigsten Markt China gibt es nach wie vor Reisebeschränkungen. Erschwert wird die Situation in diesem Verkehrsgebiet durch die nach der russischen Invasion in die Ukraine notwendig gewordenen Umwege, die zwischen Europa und Ostasien geflogen werden müssen – das erhöht den Aufwand etwa für Kerosin und erschwert die Flugplanung. Auch das Geschäftsreisendensegment, Hauptergebnisträger der Lufthansa, nimmt viel langsamer wieder Fahrt auf als die Sparte Urlaubsreisen. „Dies wird zu einer langsameren Erholung von Ebitda und Cashflow führen als bei anderen Netzwerk-Gruppen“, glauben die Analysten von Bernstein.

Analysten sind uneins

Mit einem Kursziel von 4,75 Euro blieb das Analysehaus deutlich unter dem aktuellen Aktienkurs von 6,17 Euro. Für die Deutsche Bank liegt das Kursziel bei 7 Euro, was vor allem mit dem gesunkenen Pensionsdefizit begründet wird. Grundsätzlich herrscht bei Analysten wenig Einigkeit zum Potenzial der Aktie. Bei den von Bloomberg befragten Analysten raten 7 zum Kauf, 10 zum Halten und 8 zum Verkauf des Papiers.

Aus fundamentaler Sicht sei die Aktie immer noch teuer, kritisiert Bernstein. Lufthansa liege beim Unternehmenswert aktuell über dem Wert vor der Pandemie – „das erscheint uns seltsam, da weder die Ertragskraft höher noch das Risiko geringer als früher ist“. Auch sei ein „langjähriger Kritikpunkt an Lufthansa“ noch nicht überzeugend abgearbeitet, dass „zu viel“ in das operative Geschäft, etwa in die Flottenerweiterung, investiert werde, was zulasten des freien Cashflows (FCF) und des Return on Invested Capital (RoIC) gehe.

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