IM INTERVIEW: THOMAS LIEBI, SWISSCANTO

"Mittelfristig auf den Euro setzen"

Chefvolkswirt des Schweizer Vermögensverwalters erwartet Konjunkturerholung in der Währungsunion

"Mittelfristig auf den Euro setzen"

Die weitere Abwertung des Euro ist für viele Ökonomen eine ausgemachte Sache. Nicht so für Thomas Liebi, Chefvolkswirt des Vermögensverwalters Swisscanto. Im Interview der Börsen-Zeitung erklärt er, warum er mittelfristig wieder auf den Euro setzt.- Herr Liebi, ist mit den Anleihekäufen der EZB das Risiko eines Auseinanderbrechens der Währungsunion beseitigt?Zumindest vorerst. Die Europäische Zentralbank schwächt mit ihrer quantitativen Lockerung den Euro. Aber in der Vergangenheit war der schwache Euro immer auch ein Zeichen für die Angst vor einem Auseinanderbrechen der Währungsunion. Der Euro-Kurs wird sicher immer noch getrieben von politischen Entscheidungen, aber im Moment sieht es nach einer Beruhigung aus. Man kann sich deshalb wieder vermehrt auf die Fundamentaldaten konzentrieren. Und da schaut es für den Euro gar nicht schlecht aus, die Wirtschaft in der Währungsunion rafft sich langsam auf. Selbst Frankreich sieht nicht so negativ aus, Deutschland ist immer noch flott unterwegs, und Spanien könnte dieses Jahr sogar stärker wachsen als Deutschland. Angesichts dieser positiven Nachrichten ist das Abwertungspotenzial für den Euro etwas begrenzt. Mittelfristig hat der Dollar sicher noch etwas Aufwärtspotenzial, aber die Federal Reserve wird sich hüten, allzu forsch voranzuschreiten. Zudem entsprechen rund 20 % Abwertung des Dollar im vergangenen halben Jahr in etwa einer Zinserhöhung von 2 %. Im Moment lockt der Dollar, weil in den USA am wenigsten Probleme lauern.- Viele Investmentbanken sagen den Fall der Parität beim Euro-Dollar-Kurs voraus. Wird es so weit kommen?Das würde ich nicht ausschließen, aber nicht erwarten. Allerdings glaubt der Markt der EZB nicht so recht, dass sie die Inflationserwartungen nach oben treiben kann. Es kann also sein, dass noch mehr an Anleihekäufen kommt, nachdem die Hürde nun einmal genommen ist. Ob man dann 60, 70 oder 80 Mrd. Euro im Monat kauft, ist nicht mehr so wichtig. Ich könnte mir vorstellen, dass noch mehr kommt, wenn es Mario Draghi nicht gelingt, die Inflationserwartungen anzuheben. Und das hätte dann sicherlich einen weiteren schwächenden Effekt auf den Euro. Wenn aber die quantitative Lockerung das Wachstum verstärkt, dann wäre das positiv für den Euro.- Die extreme Lockerung der Geldpolitik könnte den Euro also sogar stärken?Die quantitative Lockerung direkt bringt für die Wirtschaft in der Eurozone nicht so viel. Man sieht, die breite Geldmenge in der Eurozone steigt schon seit Monaten und für europäische Verhältnisse sogar relativ schnell – und das bevor die Anleihekäufe angekündigt wurden. Das bedeutet, dass die Kreditvergabe sich in den vergangenen Monaten schon beschleunigt hat, weil sich das Geschäftsklima besserte. Die fundamentalen Faktoren haben sich also schon seit einigen Monaten verbessert, die EZB kommt von daher eher etwas zu spät mit den Anleihekäufen. Aber der wirkliche Treiber ist die wirtschaftliche Erholung – und das hat dann eher das Potenzial, den Euro gegenüber dem Dollar zu stützen.- Es gilt derzeit als fast sicherer Trade, Dollar-Assets zu kaufen. Wie lange wird dies ihrer Ansicht nach noch funktionieren?Es hat sich ja auch bewährt. Aber wie bei jedem Trade, der zum Konsens wird, ist der Zeitpunkt gekommen, an dem man sich das vorsichtig überlegen sollte. Es gibt natürlich immer noch Gründe, in den Dollar zu investieren: die US-Wirtschaft wächst schneller, die Zinsdifferenz ist hoch, die US-Leitzinsen werden eher steigen. Aber ich würde sagen: Warum nicht wieder einmal auf den Euro setzen, weil die wirtschaftliche Erholung in Europa kommt? Das ist eine Contrarian View, aber er könnte sich im Jahresverlauf auszahlen.- Der Marktkonsens sieht dies derzeit aber anders.Wenn der Ölpreis auf 130 Dollar steigt, dann redet man von 200 Dollar. Oft kommen in der Endphase eines Trends die ganz großen Ziele. Vielleicht ist es bei Euro-Dollar auch so. Ich halte es für sehr gewagt, zu erwarten, dass der exponentielle Trend einfach so weitergehen wird. Schon in einigen Wochen oder Monaten wird der Blick von den EZB-Käufen wieder auf die Fundamentaldaten gehen – und die sehen, wie bereits erwähnt, gar nicht so schlecht aus. Mittelfristig würde ich auf den Euro setzen.- Was sind aus ihrer Sicht die Probleme der US-Wirtschaft?Der US-Arbeitsmarkt birgt noch immer gewisse Rätsel. Die Arbeitslosigkeit ist auf ein Niveau gefallen, auf dem der frühere Fed-Präsident Ben Bernanke bereits längst die Zinsen hätte erhöhen wollen. Auf der anderen Seite haben wir immer noch eine sehr tiefe Beteiligungsquote, das Lohnwachstum ist moderat. Und das in einem Umfeld, in dem man eher etwas Schwäche sieht, etwa bei den Auftragseingängen für den Export. Die Unternehmen im Exportsektor spüren den starken Dollar bereits. In den USA sind kleine Schleierwolken am blauen Himmel zu sehen.- Wie steht es mit dem politischen Risiko angesichts des erneut hochkochenden Streits um die Haushaltspolitik und Versuchen, die Unabhängigkeit der Federal Reserve zu beschränken?Das ist richtig, wir werden Stillstand sehen – was nebenbei bemerkt nicht immer schlecht sein muss. Oft waren Jahre mit so einer Klemme für die Wirtschaft und die Finanzmärkte nicht die schlechtesten. Manchmal kann die Politik ja auch schaden. Aber es gibt schon den Streit, vor allem um die Schuldenobergrenze. Das ist schon ein bisschen eine Anomalie in der westlichen Welt, dass man die absolute Summe nach oben schieben muss. Da gibt es natürlich Risiken, aber man muss auch sagen: Die US-Wirtschaft ist in einer einigermaßen guten Verfassung, der Dollar ist und bleibt auf absehbare Zeit die Weltleitwährung, US-Treasuries sind nach wie vor die wichtigste und liquideste risikofreie Anlage. Letzteres ist auch der Grund dafür, warum die Zinsen in den USA am langen Ende nicht nach oben ausscheren können. Die Differenz zu Europa ist jetzt schon groß.- Hält der Anlagenotstand die Anleiherenditen niedrig?Die globale Sparquote ist auf einem Allzeithoch. Es wird so viel gespart wie nie zuvor, was nicht immer ein gutes Zeichen ist, weil es auch ein bisschen Vorsicht gegenüber der Zukunft zeigt. Es ist so viel Geld vorhanden, dass irgendwo investiert werden muss, – und jetzt kommt noch die EZB dazu. Die Gefahr, dass die Anleihekurse in den USA und damit auch der Dollar abstürzt, ist relativ gering. Was die Party verderben könnte, wäre ein sehr starker Anstieg der Inflationserwartungen oder des Lohnwachstums. Ich kann mir angesichts der globalen Disinflation aber nicht vorstellen, dass die Inflationserwartungen in den USA drastisch ansteigen. Würden die Zinsen jedoch kräftig steigen, wäre dies wiederum gut für den Dollar.—-Das Interview führte Stefan Schaaf.