Geopolitische Spannungen

Möglicher Ukrainekrieg gefährdet Rohstoffmärkte

Der drohende Krieg in der Ukraine würde zu einer Explosion der Preise auf den Rohstoffmärkten führen. Davon betroffen wären nicht nur Gas und Öl.

Möglicher Ukrainekrieg gefährdet Rohstoffmärkte

ku Frankfurt

In den vergangenen Tagen hat sich die geopolitische Situation in Europa dramatisch zugespitzt. In der Ukraine droht ein Krieg auszubrechen, unter Beteiligung Russlands, das nicht nur eine der großen Atommächte ist, sondern auch ein wichtiger Lieferant von Energieträgern wie Erdöl, Erdgas sowie Metallen und Agrarrohstoffen.

Der Sicherheitsberater des amerikanischen Präsidenten, Jake Sullivan, hat den morgigen Dienstag als Datum für den Ausbruch eines Kriegs in Umlauf gebracht. US-Präsident Joe Biden sprach vom Mittwoch, ebenso wie der US-Geheimdienst CIA, der sich entsprechend in Medien zitieren ließ. Laut amerikanischer Darstellung wäre ein Überfall Russlands auf die Ukraine der Beginn des Kriegs, laut russischer Darstellung könnte es ein ukrainischer Angriff auf den von russischstämmigen Separatisten kontrollierten Donbass in der Ostukraine sein. Beide Seiten haben Truppen zusammengezogen. An der Kontaktlinie zum Donbass gibt es eine starke Konzentration ukrainischer Truppen mit schweren Waffen. In Weißrussland gibt es im Zusammenhang mit gemeinsamen Manövern eine größere, wenn auch nicht genau bekannte Zahl russischer Truppen – ein Angriff auf Kiew aus dem Norden böte erhebliche militärische Vorteile, da sich eine Überquerung des Flusses Dnjepr vermeiden ließe. Die USA und ihre engsten Verbündeten evakuieren daher ihre Diplomaten aus Kiew, Versicherer haben den Versicherungsschutz für in die Ukraine fliegende Airlines gekündigt und es gibt sogar Berichte, dass die führenden ukrainischen Oligarchen mit ihren Privatflugzeugen in den Westen geflohen seien. Auch wenn es am Montagmittag Anzeichen der Entspannung im Konflikt gab, bleibt eine erneute Eskalation möglich.

Aus Sicht der Akteure an den Energiemärkten ist es letztlich zweitrangig, was der Auslöser eines militärischen Konflikts wäre. Die Auswirkungen wären in jedem Fall schwerwiegend. Die Folgen der massiven geopolitischen Destabilisierung sind bereits jetzt an den Energiepreisen deutlich abzulesen. Der Preis für Erdgas in Europa am niederländischen Übergabepunkt TTF ist am Montagmorgen um 4,9% auf 81,20 Euro je Megawattstunde gestiegen. Betroffen ist auch der Ölmarkt. Die Notierung der wichtigsten Rohölsorte Brent Crude erreichte am Montagmorgen 96,16 Dollar je Barrel, dies ist der höchste Stand seit Oktober 2014. Damit nimmt der Brent-Ölpreis Kurs auf die vielbeachtete Marke von 100 Dollar – ohne dass ein Krieg bereits ausgebrochen wäre.

In der Vergangenheit haben bereits geopolitische Ereignisse wie die Krim-Krise des Jahres 2014 für erhebliche Preisanstiege gesorgt, auch ohne dass es zu tatsächlichen Unterbrechungen oder Einschränkungen der Versorgung mit Rohstoffen gekommen wäre. Es ist davon auszugehen, dass Russland weiter am Export seiner Rohstoffe interessiert ist. Die eigentliche Gefahr liegt daher in den Sanktionen, die die Nato-Länder Russland angedroht haben. Diese würden die europäischen Ländern und die USA voraussichtlich härter treffen als Russland selbst. Dies war bereits 2018 deutlich zu erkennen, als die USA Sanktionen gegen den russischen Aluminiumriesen Rusal verhängten, was zu Chaos am Aluminiummarkt und zu Panikattacken der amerikanischen Flugzeugindustrie führte.

USA guter Kunde Russlands

Was den Ölmarkt betrifft, so fällt auf, dass ungefähr die Hälfte der russischen Ölexporte nach Europa gehen, wobei allerdings auch die USA momentan ein guter Kunde für russisches Öl und Ölprodukte sind. In der Vergangenheit hat sich häufig gezeigt, dass die USA andere Länder zu Sanktionen drängen, sie selbst aber ihre Handelsbeziehungen aufrechterhalten. Somit wäre vor allem Europa betroffen, das bereits in einer Energiekrise heimgesucht wird. Aber letztlich wären die Folgen weltweit zu spüren, da viele Analysten zumindest anfänglich einen Ölpreis von 150 Dollar je Barrel nicht mehr ausschließen. Angesichts der geringen und immer weiter zurückgehenden freien Kapazitäten der Ölproduzenten weltweit wäre ein Lieferstopp Russland der Super-GAU für den Markt.

Am gravierendsten wären die Folgen aber für den europäischen Gasmarkt, der bereits jetzt unter erheblichem Mangel leidet. Ein – mittlerweile aber kaum noch diskutierter – Rauswurf russischer Banken aus dem internationalen Finanznetzwerk Swift hätte zur Folge, dass europäische Staaten nicht mehr für russisches Gas bezahlen könnten. Russland hat deutlich gemacht, dass in diesem Fall die Gaslieferungen sofort eingestellt würden.

Die russische Regierung hat aber auch beschlossen, dass es ab dem Jahr 2024 keinen Transfer von Erdgas durch die Ukraine mehr geben wird. Somit ist die fertig gestellte, aber derzeit brachliegende Pipeline Nord Stream 2 mit ihrer hohen Kapazität von zentraler Bedeutung für die Gasversorgung Europas. Sollte Deutschland, wie Bundeskanzler Olaf Scholz angeblich in Washington hinter verschlossenen Türen versprochen haben soll, als Sanktion die Inbetriebnahme der Pipeline verweigern, geht Europa das Gas aus und der Gaspreis, der von Niveaus von rund 20 Euro je Megawattstunde in der ersten Jahreshälfte 2021 bereits zeitweise über 90 Euro geklettert ist, würde noch deutlich weiter steigen und vor allem auch länger auf sehr hohen Niveaus bleiben. Dies liegt daran, dass die europäische Energiekrise strukturelle und politische Ursachen hat und es kaum Möglichkeiten gibt, bei Verzicht auf russische Energieträger die Knappheit kurz- und selbst längerfristig zu beseitigen. Hinsichtlich der Energielieferungen würde sich Russland in der Folge auch langfristig von Europa abwenden, da China und andere asiatische Länder stark an sehr viel größeren Mengen des billigen russischen Gases interessiert sind. Europa wäre dann gänzlich auf sehr teures amerikanisches Flüssiggas angewiesen, das zudem in Folge fehlender langfristiger Lieferbeziehungen leicht in Weltregionen mit noch höheren Preisen umgeleitet werden kann. Erst kürzlich haben Russland und China einen Vertrag über ein weiteres großes Pipeline-Projekt vereinbart, während die Pipeline „Power of Siberia 2“ noch im Bau ist.

Die explodierenden Energiepreise würden auch die Wettbewerbsfähigkeit der europäischen Industrie erheblich in Mitleidenschaft ziehen, damit wären auch die europäischen Aktienmärkte kurz- und langfristig betroffen. Am Montagmorgen ist der Dax bereits zeitweilig um mehr als 3,5% unter Druck geraten, bevor er die Verluste etwas reduzieren konnte. Der Euro Stoxx50 gab in der Spitze auch mehr als 3% nach. Thomas Altmann vom Vermögensberater QC Partners hält es sogar für möglich, dass die steigenden Energiepreise die wirtschaftliche Erholung von der Corona-Pandemie abwürgen könnten.

Russland ist aber auch ein wichtiger Lieferant von Metallen. Am stärksten davon ist Palladium betroffen, von dem Edelmetall steuert das Land 40% des weltweiten Angebots bei. Nach Berechnungen von J.P.Morgan kommt Russland beim Angebot von verarbeitetem Kupfer, Aluminium und Nickel auf 4 bis 6% Marktanteil. Somit wäre auch bei den Metallen mit einem Preisschock zu rechnen – was die erwähnten US-Sanktionen gegen Rusal nahelegen. Weitere Metalle, die betroffen sein dürften, sind Titan und auch Stahl.

Steigende Lebensmittelpreise

Leidtragende des Konflikts wären auch die weltweiten Lebensmittelpreise, von denen sich viele bereits auf Rekordniveau befinden. Russland und die Ukraine sind Schwergewichte auf den Weltmärkten für Weizen, Mais und Sonnenblumen. Im Rahmen der Krimkrise 2014 hatte es bereits einen starken Anstieg der Weizenpreise gegeben, ohne dass es zu Lieferunterbrechungen gekommen wäre. Im Falle eines Krieges wäre es diesmal jedoch anders: Zumindest die ukrainischen Exporte würden voraussichtlich komplett ausfallen, wobei die Weltmarktanteile Russland und der Ukraine seit 2014 gestiegen sind. Allerdings könnten auch russische Ausfuhren betroffen sein, da diese vielfach über das Schwarze Meer erfolgen.

Zu bedenken ist dabei auch, dass Russland einer der weltweit größten Exporteure von Düngemitteln ist. Sanktionsbedingte Ausfälle würden in der Folge Lebensmittel deutlich verteuern, zumal die Preise von Düngemitteln bereits von den stark gestiegenen Erdgaspreisen kräftig nach oben gezogen worden sind.

Noch allerdings ist keineswegs klar, dass es zu einem Krieg kommen wird. Unter Führung des französischen Präsidenten Emmanuel Macron wird an einer diplomatischen Lösung gearbeitet und der ukrainische Präsident Wladimir Selenskij, der die Kriegsgefahr mit Blick auf die bereits jetzt katastrophalen ökonomischen Auswirkungen der Krise für die Ukraine herunterspielt, hat offenkundig kein Interesse am Untergang seines Landes. Somit ist auch denkbar, dass ein Krieg vermieden werden kann und es nach kurzfristigen Preisanstieg auch wieder zu einer Beruhigung der Lage kommt.

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