Nachhaltige Wende erhofft
Peking versucht sich mit einer konzertierten Aktion gegen die bedrohliche Baisse an Chinas Festlandbörsen zu stemmen. Zwar ist es gelungen, Verkaufsdruck im Zusammenhang mit aktienbesicherten Krediten zu entschärfen, doch fehlen noch Impulse, um das Anlegervertrauen breiter zu stärken. Von Norbert Hellmann, SchanghaiChinas Festlandbörsen werden ihrem Ruf, für besonders wilde Ritte zu sorgen, derzeit mal wieder gerecht. Seit der einwöchigen Ferienpause zu Oktoberbeginn sieht man dramatische Umschwünge wie man sie zuletzt beim Boom and Bust im Sommer 2015 und Anfang 2016 erlebt hatte. Das Anlegervertrauen ist im Zuge des Handelsstreits zwischen China und den USA immer heftiger in Mitleidenschaft gezogen, mittlerweile kommen handfeste Sorgen um die Standfestigkeit der Konjunktur hinzu.Der Leitindex Shanghai Composite hat in diesem Jahr gut 21 % abgegeben, der Abstand zu dem Jahreshoch von Ende Januar beträgt 27 %. Das ist im Tandem mit Griechenland die schlechteste Performance an den Weltbörsen überhaupt. Als der Markt nach der Oktoberpause noch einmal heftig in die Tiefe gerissen wurde, galt es als ausgemacht, dass die Marke von 2 500 Punkten beim Shanghai Composite als Bodenbildung verteidigt werden kann, in der vergangenen Woche wurde auch sie kurzfristig unterschritten und der Index in ein Vierjahrestief gestürzt.Die chinesische Regierung hat die Verkündung eines überraschend schwachen Wirtschaftswachstums im dritten Quartal mit einem Anstieg des Bruttoinlandsprodukts (BIP) um 6,5 % statt der mindestens erwarteten 6,6 % zum Anlass genommen, das Ruder herumzureißen und eine befürchtete Panikwelle an der Börse zu verhindern. Seitdem laufen stoßweise neue Botschaften von Spitzenpolitikern und Finanzregulierern ein, die breite staatliche Unterstützung für den Markt signalisieren und die Anleger davon überzeugen sollen, dass die Reise nicht mehr weiter nach unten gehen kann.Der Erfolg ist gemischt nach einer kurzen Hausse, die mit einem Plus von knapp 7 % über zwei Handelstage hinweg den größten Aufschwung seit rund drei Jahren bescherte. Danach ist der Shanghai Composite wieder um gut 2 % zurückgefallen. Zuletzt hat sich zwar auf Basis der Schlusskurse eine Seitwärtstendenz eingestellt, hinter der sich aber eine hohe Intraday-Volatilität verbirgt. Nationalteam greift zu ETFBei den Analysten herrscht noch große Unsicherheit darüber, ob das Gröbste tatsächlich ausgestanden ist. Unklar ist noch, inwieweit das sogenannte “Nationalteam”, mit dem staatliche Fondsgesellschaften, Broker und andere Finanzinstitute seit dem Crash vom Sommer 2015 in besonders kritischen Phasen Stützungskäufe tätigen und dabei vor allem gegen Ende der Börsensitzungen mit Blue-Chip-Engagements die Leitindizes positiv zu beeinflussen suchen, zum Einsatz gekommen ist. Auf der einen Seite haben eine Reihe von diesen Fondsvehikeln in letzter Zeit ihre Aktienpositionen in einem Umfang von rund 5 Mrd. Dollar liquidiert. Auf der anderen Seite sieht man hohe Zuflüsse bei einer Reihe von Exchange Trade Funds (ETF) auf Large-Cap-Indizes, die von einer Einheit des chinesischen Staatsfonds kontrolliert und getragen werden.Bei Bank of America Merrill Lynch heißt es in einer Analyse, dass direkte Stützungskäufe nur zum Zuge kommen werden, um besonders scharfe Abschwünge zu verhindern, wenn sich nochmals eine Marktpanik androhen sollte. Eine überzeugende Hausse könne über diese Schiene jedoch kaum erreicht werden. Gegenwärtig sieht man eine hohe Marktvolatilität bei allerdings schwachen Börsenumsätzen, was dafür spricht, dass die in Chinas Festlandbörsen tonangebenden Privatanleger zwar nicht zu Panikverkäufen neigen, aber weiter an der Seitenlinie bleiben.Angesichts niedriger Bewertungsrelationen, die auf das Niveau zu Zeiten der globalen Finanzkrise zurückgekommen sind, sollte es zweifelsohne wesentlich mehr Luft nach oben denn nach unten geben. Allerdings ist das Anlegersentiment nach wie vor extrem fragil und von Hoffnungen auf eine Entspannung im Handelsstreit mit den USA geprägt, die wieder enttäuscht werden können, wenn ein geplantes Treffen zwischen den Präsidenten Xi Jinping und Donald Trump beim G-20-Gipfel Ende November in Buenos Aires keine atmosphärische Verbesserung bewirkt. Neues Leverage-ProblemAls größte Risikoquelle erweist sich ein Leverage-Problem, beziehungsweise die Gefahr forcierter Verkäufe der im Rahmen von Wertpapierkreditgeschäften als Sicherheit hinterlegten Aktien. Anders als beim Crash vor drei Jahren geht es allerdings nicht um Retail-Anleger, die mit Margin Trading in die Hausse eingestiegen waren und nach dem Platzen der Blase ihre Einschussverpflichtungen nicht leisten konnten. Im Fokus stehen vielmehr sogenannte “Pledged Shares”, also verpfändete Titel von in der Regel kleineren chinesischen Privatfirmen.Insbesondere bei gründerdominierten chinesischen Kleinunternehmen, die oft nur schwer Zugang zu herkömmlichen Kredit- und Anleihefinanzierungen haben, ist es eine gängige Praxis der Unternehmensfinanzierung, Kredite von Brokern und Banken zu beziehen und die eigenen Aktien als Sicherheiten zu stellen. Bei stark fallenden Kursen geraten Kreditgeber, die verpfändeten Aktien liquidieren, in die Gefahr einer sich selbst verstärkenden Baisse. Das Gesamtvolumen der in solche Kreditarrangements eingebundenen Aktien liegt bei ungefähr 11 % der gesamten Marktkapitalisierung an den Festlandmärkten und damit etwa 550 Mrd. Euro. In den Börsensegmenten für Small Caps und Wachstumswerte liegt der Anteil von Pledged Shares gar bei über 20 %. (siehe Grafik).Chinas Finanzregulatoren versuchen nun eine Verkaufswelle via Pledged Shares zu verhindern und haben in den letzten Tagen eine ganze Reihe von Stützungsmaßnahmen und Liquiditätshilfen für betroffene Kleinunternehmen verkündet. Dabei sollen zum einen Private-Equity-Häuser und Versicherer für Engagements bei Gesellschaften mit hohem Verpfändungsanteil herhalten. Gleichzeitig will man Mittel bereitstellen, um Wertpapierkreditgeber von Notverkäufen der Pledged Shares abzuhalten. So sollen Chinas größte und allesamt staatskontrollierten Brokerhäuser einen Fonds auflegen, der im Feuer stehende Pledged Shares übernimmt und damit baissefördernde Marktverkäufe der Titel verhindert. Das Vehikel soll dem Vernehmen auf rund 100 Mrd. Yuan (12,5 Mrd. Euro) anwachsen.Analysten betonen, dass die Maßnahmenpakete rund um Pledged Shares einen wichtigen Beitrag leisten, um den Markt nach unten abzustützen. Eine positive Wirkung hat sich insbesondere bei den zuvor stark gedrückten Brokeraktien manifestiert, die binnen einer Woche um gut 20 % zulegen konnten. Dies hat zwar auch dem Gesamtmarkt einen kleinen Kick gegeben. Es gibt aber noch keine Anzeichen dafür, dass Chinas Anleger wieder bereit sind, bei zyklischen Werten, konsumverwandten Aktien und Technologiepapieren wieder breiter einzusteigen.