IM INTERVIEW: MICHAEL SCHMIDT, DEKA INVESTMENT

Nachhaltigkeit mit vielen Hürden

Experte über fehlende Definitionen und Standards im Markt verantwortungsbewusster Investments

Nachhaltigkeit mit vielen Hürden

Im Interview der Börsen-Zeitung erläutert Michael Schmidt, Mitglied der Geschäftsführung von Deka Investment, die Chancen und Probleme von nachhaltigen Geldanlagen. Er tritt für eine weitergehende Standardisierung der Anforderungen an nachhaltige Anlagen ein.- Herr Schmidt, die von der EU-Kommission eingesetzte Expertengruppe, der auch Sie angehören, hat ihren Zwischenbericht zum Markt der nachhaltigen Geldanlagen veröffentlicht. Was sind die fünf wesentlichsten Erkenntnisse?Wir zeigen im Zwischenbericht die wesentlichen Hürden auf dem Weg hin zu einem effizienten Markt der nachhaltigen Geldanlagen auf – auch im Hinblick auf die EU-Kapitalmarktunion. Das sind zum einen wirkungsvolle wirtschaftspolitische Rahmenbedingungen. Zum anderen sollte das Finanzmarktumfeld, so wie wir es jetzt mit der Stabilisierung nach der Finanzkrise kennen, besser mit der Realwirtschaft und ihren Produktionsbedingungen verzahnt werden. Drittens muss der gebräuchliche Risikobegriff um die Nachhaltigkeitsaspekte erweitert werden, die heute dabei häufig noch keine Rolle spielen. Viertens geht es um die Kompetenz. Vielfach ist das Wissen um Nachhaltigkeitsaspekte nicht sehr ausgeprägt. Das muss verbessert werden, zum Beispiel über entsprechende Ausbildung bei Investoren und Unternehmen. Nachhaltigkeit gehört mit in die Geschäftsmodelle. Fünftens wird bei der Zielsetzung bei nachhaltigen Geldanlagen ein langfristigerer Zeithorizont benötigt, als das heute bei herkömmlichen Geldanlagen der Fall ist. Zu denken ist beispielsweise an Bewertungsverfahren wie Mark-to-Market, die langfristiger ausgelegt werden müssen.- Dem Markt für nachhaltige Geldanlagen mangelt es an einheitlichen Definitionen und Standards. Dadurch gibt es viel Intransparenz. Ist es nicht das größte Manko, dass hier praktisch jeder definieren und abgrenzen kann, wie er will, und wie wollen Sie hier Abhilfe schaffen?Es ist eine der Hürden, die wir identifiziert haben, aber ich sehe darin nicht das größte Manko. Es entsteht dadurch eine Unübersichtlichkeit im Markt, und insbesondere Privatanlegern fällt dann mitunter die Orientierung schwer. Wir empfehlen, innerhalb der EU diesbezüglich eine Systematik aufzubauen, die bestehende Ansätze mit einpflegen soll. Bei Green Bonds ist das schon weit fortgeschritten, aber man sollte ein EU-weites Klassifizierungssystem haben. Das gilt für einzelne Finanzinstrumente, aber man sollte so etwas auch für Fonds erarbeiten. Hierfür eignet sich die Priips-Verordnung, so dass man alle “verpackten” Anlageprodukte für Retail-Anleger mit einschließt.- Der Markt nachhaltiger Geldanlagen ist in der Folge stark fragmentiert, weil es diese Einheitlichkeit/Standards nicht gibt. Viele Anleger halten sich deshalb zurück. An welchen Punkten ist am dringendsten anzusetzen?Zu unseren Empfehlungen gehört der Aufbau eines Standardkatalogs. Und wir haben angeregt, dass die Europäische Investitionsbank noch in diesem Jahr mit einer EU-weiten Koordinierung bei den Produkten mit einem Bezug zum Klimawandel beginnt. Die EU-Kommission sollte sich im kommenden Jahr mit der Frage auseinandersetzen, wie man eine EU-Klassifizierung für den Gesamtmarkt entwickeln kann. Da sollen dann auch weitere relevante EU-Generaldirektorate mit einbezogen werden.- Welche Strategie leiten Sie als Handlungsempfehlung für die EU-Kommission ab, und was sind die Eckpunkte?Bei der Strategie gibt es zwei Eckpunkte. Zum einen, Nachhaltigkeitsfaktoren in allen Bestandteilen des Finanzsystems zu integrieren. Dafür muss zum Beispiel das Wissen und Bewusstsein für Nachhaltigkeit in der Finanzindustrie stark geschärft werden. Zum anderen geht es aber auch darum, tatsächlich mehr Kapital für nachhaltige Kapitalanlagen zu mobilisieren. Denn es gilt, einen gewaltigen Finanzbedarf, der mit jährlich 180 Mrd. Euro in Europa angegeben wird, für die Erreichung der EU-Klimaziele zu stemmen.- Wie definieren Sie Nachhaltigkeitsfaktoren?Bei der Definition des Nachhaltigkeitsbegriffs orientieren wir uns am Brundtland-Report aus dem Jahr 1987: “Nachhaltigkeit bedeutet, die Bedürfnisse der heute lebenden Menschen zu erfüllen, ohne dabei spätere Generationen in ihren Fähigkeiten einzuschränken, die eigenen Bedürfnisse zu erfüllen.” Das ist der philosophische Rahmen, der allein im operationalen Geschäft nicht viel weiterhilft. Heute haben wir die Dreiteilung ESG, also Environment, Social und Governance. Zur weiteren Operationalisierung gibt es dann Scores, Faktoren et cetera, die von verschiedenen Datenanbietern bereitgestellt werden. Der CO2-Bereich ist heute schon am weitesten entwickelt.- Wie wollen Sie die Berichtspflichten organisieren für Unternehmen und nachhaltige Projekte?Dies ergibt sich vor allem aus der CSR-Richtlinie der EU. Wir werden nächstes Jahr schon die ersten entsprechenden Nachhaltigkeitsberichte sehen. Daraus wird dann auch ersichtlich, wie die Unternehmen mit dieser Richtlinie umgehen. Der Gesetzgeber hat hierbei sehr viel Spielraum gelassen. Wir haben von einigen Aufsichtsratsmitgliedern schon gehört, dass man auch gern ein Testat von den Wirtschaftsprüfern dabei hätte, denn der Aufsichtsrat zeichnet hierfür mit verantwortlich. Die Guidelines werden nächstes Jahr nochmal überarbeitet. Hierzu wird sich die Expertengruppe mit konkreten Empfehlungen einbringen. Dabei werden sicher auch internationale Initiativen wie etwa die Global Reporting Initiative oder das Integrated Reporting Council berücksichtigt.- Wer soll die Einhaltung von Vorgaben für nachhaltige oder grüne Projekte kontrollieren?Dafür muss nichts Neues erfunden werden. Das kann gut in das Controlling derjenigen Institutionen eingebaut werden, die in nachhaltige oder grüne Projekte investieren beziehungsweise diese finanzieren. Des Weiteren gibt es die Wirtschaftsprüfer. Und es gibt die Aufsichtsbehörden. Damit ist ein Kontrollrahmen vorhanden, der sich bewährt hat. Hier müssen lediglich die Nachhaltigkeitsaspekte eingebaut werden. Und darüber hinaus kontrollieren die Investoren die Unternehmen und Emittenten. Viele Investoren in Green Bonds wollen genau sehen, für welche Projekte das Geld eingesetzt wird. Während der Laufzeit des Bonds soll dann auch laufend berichtet werden. Von daher ist also auch eine Marktkontrolle vorhanden.- Sind Reputationsschäden für Unternehmen, die Gelder nicht so verwenden, wie sie es bei einem nachhaltigen oder grünen Projekt angekündigt haben, eine ausreichende Sanktion?Dies ist eine wichtige Sanktion. Reputation ist ein bedeutsames Gut geworden. Die Öffentlichkeit ist aufgrund der höheren Transparenz größer geworden. Wenn ein Emittent oder ein Unternehmen nicht in die Projekte investiert, die man zuvor versprochen hat, dann werden die meisten Investoren, die es ernst meinen mit der Nachhaltigkeit, aus diesen Anlagen aussteigen und in diesen Emittentennamen künftig nicht mehr investieren. In der Folge steigen für diesen Emittenten, der sich nicht an die Abmachungen, sprich die geforderten Investitionsprojekte hält, die Refinanzierungskosten. Die Unternehmen müssen schon sehr aufpassen, dass sie kein sogenanntes Greenwashing betreiben.- Wie sollen treuhänderische Pflichten im Finanzwesen in puncto Nachhaltigkeitsaspekte ausgestaltet sein?Das ist ein sehr wichtiger Bereich. Die Arbeit dazu haben wir noch nicht beendet. Es geht darum, allgemeingültige Prinzipien für die Definition der treuhänderischen Verantwortung zu schaffen. Es gibt sehr unterschiedliche Legaldefinitionen in den einzelnen Ländern. Wir müssen bei einer einheitlichen Definition dann auch sehen, wie das in den einzelnen Jurisdiktionen umgesetzt werden kann. Ganz allgemein sollte treuhänderische Verantwortung künftig weiter gefasst sein, als das heute der Fall ist. Nachhaltigkeitsaspekte sollten als ein Risikofaktor verstanden werden. Es sollte auch im Bewusstsein verankert sein, dass Nachhaltigkeit zur treuhänderischen Pflicht gehört und nicht dazu im Widerspruch steht. Es ist eine Fehlinterpretation, wenn Treuhänder heute sagen, dass Nachhaltigkeit nicht zu ihren treuhänderischen Pflichten oder Verantwortungen gehört.- Wenn mehr Geld in nachhaltige oder grüne Bereiche der Volkswirtschaft fließen soll, wie wollen Sie dieses Kapital mobilisieren?Das Finanzsystem muss ein größeres Bewusstsein für diese Thematik und ihre Relevanz bekommen. Dann greifen Marktmechanismen, und es kommt zu Allokationen von Geldern in diese Bereiche. Das muss durch bestimmte Maßnahmen flankiert werden. Hierzu zählen Anreizsysteme über Preismechanismen. Dazu kommen Crowding-in-Effekte. Diese werden erzielt über Förderbanken, wie in Deutschland etwa die KfW Bankengruppe. Dort wird zum Beispiel energieeffizientes Bauen gefördert. So etwas kann man sich auch auf europäischer Ebene vorstellen. Die Europäische Investitionsbank hat ja schon einen bestimmten Förderaspekt. Das könnte man sicherlich noch ausbauen. Beim Crowding-in-Effekt geht es dann darum, privates Kapital zu den Fördergeldern mit dazuzunehmen. Und die öffentliche Hand hat auch eine Vorbildfunktion. So könnte bei der Verwaltung von Beamtenpensionen der grüne Aspekt stärker betont werden.- Welche Anlagevehikel sind dafür am besten geeignet?Green Bonds sind sehr beliebt. Sie sind sehr erfolgreich und werden auch stark genutzt. Trotzdem ist es immer noch ein sehr kleines Segment. Der klassische Kredit eignet sich dafür aber auch sehr gut. Hier kommt die klassische Projektfinanzierung ins Spiel, die mit verschiedenen Partnern aufgebaut werden kann. Man muss sich nicht nur am Kapitalmarkt nach Instrumenten oder Vehikeln umsehen. Der Green-Bond-Markt ist nicht das einzige Vehikel dafür. Die Produktform hängt auch immer vom zu finanzierenden Projekt und den jeweils beteiligten Parteien ab.- Solche Produkte brauchen dann auch Klassifizierungen/Standards und vor allem Sanktionsmechanismen bei Verstößen gegen die zugrunde gelegten Nachhaltigkeitskriterien. Wie sieht ein solcher Mechanismus aus?Das sehe ich ähnlich wie bei der Kontrolle. Man muss da nichts Neues erfinden. Man kann Sanktionsmaßnahmen in den zu schließenden Verträgen festlegen. Darüber hinaus stellen auch die Aufsichtsbehörden einen gewissen Sanktionsmechanismus dar. Und schließlich gibt es auch noch den Sanktionsmechanismus durch den Markt selbst.- Was müssen Börsen und Ratingagenturen auf diesem Gebiet tun?Mit Blick auf die Ratingagenturen geht es insbesondere um die Erweiterung des Risikobegriffs. ESG-Faktoren müssen in den Risikobegriff einfließen. Da gibt es erste Ansätze. Die langfristige Berücksichtigung von ESG-Faktoren in der Risikobeurteilung findet bei den Ratingagenturen noch nicht statt. In dieser Hinsicht steht noch einiges an Arbeit an. Die Börsen können eine Rolle darin spielen, dass sie Qualitätsanforderungen schaffen. Sie können auch eine Förderung realisieren, wenn es zum Beispiel um den Zugang zum Kapitalmarkt geht. Hier könnten auch eigene Segmente für solche Anlagen aufgebaut werden.- Sie sprechen in Ihren Empfehlungen auch von einem sogenannten Nachhaltigkeitstest in der EU-Finanzgesetzgebung. Was hat man sich darunter vorzustellen?Die Idee des Nachhaltigkeitstests besteht darin, ESG-Kriterien in das bestehende Impact Assessment der EU-Regulierung einzubauen. Es geht darum, die Wirkung geplanter Regulierung auch auf Nachhaltigkeitsziele und insbesondere Klimarisiken zu bewerten. Diese Aspekte sollen systematisch in die Regulierung eingebaut werden.- Was soll die Einrichtung “Nachhaltige Infrastruktur Europa” genau machen?Entstanden ist die Idee auf kommunaler Ebene. Vielfach war bei Umweltprojekten den betreffenden Entscheidern nicht klar, an wen sie sich im Hinblick auf Finanzierungsmöglichkeiten wenden können. Denn bei größeren Umweltprojekten, zum Beispiel einer Kommune, sind die lokalen Banken hinsichtlich ihrer Finanzierungskapazitäten schlichtweg überfordert. Die Einrichtung Nachhaltige Infrastruktur Europa soll als eine Art Vermittler dienen zwischen dem Kapital und den Projekten. Das soll stärker koordiniert werden, um mehr Gelder für solche Umweltprojekte zu erschließen. Das könnte zum Beispiel wiederum bei der Europäischen Investitionsbank angesiedelt sein. Es gibt aber auch Überlegungen, dafür eine eigene Institution zu kreieren. Hier ist aber noch keine Entscheidung gefallen.- Was wollen Sie bei den Rechnungslegungsvorschriften für Unternehmen ändern, die Gelder in nachhaltige oder grüne Investments fließen lassen?Über die CSR-Richtlinie gibt es ja schon eine Verpflichtung für die großen Gesellschaften. Das ist die Basis. Es muss nicht zwingend noch etwas Weiteres geschaffen werden. Das Thema muss in der Praxis nur granularer weiterentwickelt und um neue Empfehlungen ergänzt werden.- Was ändert sich für die EU-Aufsichtsbehörden?Die drei Aufsichtsbehörden EIOPA, ESMA und EBA sollen nach Vorstellung der Expertengruppe ESG-Kriterien in ihrer Aufsichtstätigkeit einheitlich berücksichtigen. Hierbei geht es insbesondere um die Risikobetrachtung.—-Das Interview führte Kai Johannsen.