IM INTERVIEW: ANDREW SHEETS, MORGAN STANLEY

"Negative Zinsen drohen nach hinten loszugehen"

Stratege: Technologieaktien sehr zyklisch, teuer und von den Investoren überlaufen - Europa und Japan weisen die höchsten Risikoprämien auf

"Negative Zinsen drohen nach hinten loszugehen"

Andrew Sheets hat erhebliche Zweifel, dass die neuen Lockerungsmaßnahmen der EZB nennenswerte positive Wirkungen entfalten können. Der Managing Director und Chief Cross-Asset Strategist von Morgan Stanley befürchtet, dass die Negativzinsen sogar restriktiv wirken könnten. Das Institut ist nach wie vor in Aktien unter- und in Anleihen sowie liquiden Mitteln übergewichtet. Herr Sheets, etliche Banken und Broker haben zuletzt eine skeptischere Einstellung zu den Aktienmärkten eingenommen beziehungsweise auf Untergewichtung umgestellt. Wie sind Sie positioniert?Wir haben Aktien bereits am 7. Juli auf Untergewichtung zurückgestuft. Hintergrund sind mehrere einander überlappende Herausforderungen. Zyklische Daten wie der US-Einkaufsmanagerindex sind schwach ausgefallen. Dies geschieht in einer Phase, in der langfristige zyklische Indikatoren ein erhöhtes Niveau erreicht haben. Hinzu kommt der Handelskonflikt zwischen den Vereinigten Staaten und China. Es gibt hier einige bedeutende Problematiken, die nicht so schnell zu einer Lösung kommen werden. Wie sehen in diesem Umfeld die Aussichten der Anleihemärkte aus?Sehr schwache ökonomische Daten und in der Folge hohe Erwartungen an die Europäische Zentralbank haben die Anleiheverzinsungen im Euroraum auf ein sehr niedriges Niveau gedrückt. Wir haben uns zuletzt dem Punkt angenähert, an dem sogar deutsche Anleihen eine negative Carry aufweisen, das heißt, die EZB-Zinsen liegen nun oberhalb der Anleiheverzinsungen. Die negativen Notenbankzinsen drohen nach hinten loszugehen. Sie werden eigentlich gesenkt, um die Kreditvergabe und die ökonomische Aktivität anzukurbeln. Es besteht aber das Risiko, dass niedrigere Zinsen restriktiv wirken werden. Wie tun sie das?Zum einem geraten die Banken durch die niedrigen Zinsen unter Druck. Der Stoxx-Bankenindex zeigt das deutlich. Er liegt auf dem Niveau, auf dem er sich während der großen Finanzkrise befunden hat. Das drückt die Schwierigkeiten der Banken aus, Gewinne zu machen. Zum anderen besteht das Risiko, dass der Markt erkennt, dass die Geldpolitik weniger wirksam wird. Es gibt einen psychologischen Effekt. Wenn ständig weitere Lockerungsmaßnahmen signalisiert werden, denken die Leute, dass der Wirtschaft damit geholfen werden kann. Dabei ist es schwer vorstellbar, dass eine Senkung um 10 Basispunkte die Aktivität ankurbeln kann. Sollte dann nicht die Fiskalpolitik einspringen?In der Tat denken viele Ökonomen, dass mehr Fiskalimpulse effektiver wären. Es besteht jedoch das Risiko, das Politiker nichts machen, wenn sie glauben, dass die EZB es schon richten wird. Es gab in letzter Zeit zwei Handelstage mit starken Märkten. Zwar gab es Berichte, dass die EZB weniger machen werde als erwartet. Berichte über einen eventuellen Fiskalimpuls in Deutschland wirkten aber stärker. Finanzminister Scholz hatte sie für den Fall einer Rezession in Aussicht gestellt. Besser wäre eine Formulierung gewesen, nach der man etwas unternehmen werde, um einer Rezession vorzubeugen. Die Fed hat ihre Zinssenkung im Juli als vorbeugenden Schritt bezeichnet. Der Markt reagiert auf vorbeugende Maßnahmen positiv. Was erwarten Sie von der Fed?Die Fed befindet sich in einer sehr schwierigen Lage. Zum Teil liegt dies an dem, was die Märkte für machbar halten. Seit der großen Finanzkrise und dem berühmten “What ever it takes”-Satz des EZB-Präsidenten Mario Draghi haben die Marktteilnehmer den Eindruck gewonnen, dass die Notenbanken allmächtig seien. Man muss sich aber darüber im Klaren sein, dass ihre Möglichkeiten letztlich begrenzt sind. Es gibt viele Beispiele in der Geschichte, bei denen die Fed die Zinsen senkte und dennoch eine Rezession folgte. Im Jahr 2001 hat sie ihren Leitzins um 475 Basispunkte reduziert. Das war ein sehr starker Zyklus. Trotzdem folgte eine Rezession. Im Übrigen gab es in dem Jahr auch eine Steuersenkung in den USA. Die Marktteilnehmer haben ein zu starkes Vertrauen, dass die Fed eine Rezession verhindern kann. Der Zyklus entzieht sich jedoch oft der Macht der Notenbanken und der Regierungen. Niemand will eine Rezession. Rezessionen geschehen aber. Treiber, die zu Rezessionen führen, sind häufig sehr mächtig. Wie stark wird die Fed ihren Leitzins noch senken?Wir glauben, dass sie weiter senken wird, aber in geringerem Umfang, als der Markt denkt. Derzeit erwartet er für die kommenden zwölf Monate Senkungen im Umfang von 100 Basispunkten. Er glaubt, dass dies wegen der negativen Auswirkungen des Handelskonflikts geschehen wird. Tatsächlich kann Geldpolitik aber kaum auf Basis dessen gemacht wird, was gerade beim Handelskonflikt geschieht. Es gibt zudem innerhalb der Fed Stimmen, die dafür sind, das Pulver trocken zu halten. Japan und der Euroraum haben keine Munition mehr. Wenn man mit den Leitzinsen erst mal bei null ist, wird es sehr schwierig, durch weitere Senkungen irgendwelche Effekte zu erzielen. Wo erwarten Sie den amerikanischen Aktienmarkt in zwölf Monaten?Wir erwarten den S&P 500 in zwölf Monaten bei 2 750 Punkten. Er wäre dann zwei Jahre lang gesunken. Diese Prognose schließt aber keine Rezession ein. Im Falle einer Rezession erwarten wir den Index bei 2 400 Punkten. Sie sind in Aktien untergewichtet. Wo sind Sie denn übergewichtet?Wir sind in Anleihen übergewichtet und setzen dabei vor allem auf amerikanische Staatsanleihen und Emerging Markets. Ferner sind wir in liquiden Mittel übergewichtet. Sie werfen zwar wenig ab. Aber wenn die Aktienmärkte nachgeben, sind liquide Mittel einfach die bessere Wahl. Welche Aktienmärkte bevorzugen Sie, welche meiden Sie eher?Wir sind in den USA und den Schwellenländern untergewichtet, in Europa und in Japan übergewichtet. Einige Marktsegmente sind sehr entspannt bezüglich einer eventuellen Rezession. Zyklische Sektoren werden jedoch mit einem Abschlag gehandelt, der mit einer Rezession konsistent ist. Das sind keine Branchen, in denen die Anleger extrem stark engagiert sind. Europa und Japan weisen relativ zu Anleihen mit die höchsten Risikoprämien auf. Sie sind weniger teuer als die globalen Aktienmärkte. Technologieaktien sind der große Renner der zurückliegenden Jahre gewesen. Wie halten Sie es mit dieser Branche?Wir sind für die Branche und damit für den Nasdaq Composite skeptisch. Wir erwarten, dass der Index schlechter abschneiden wird als der S&P 500. Viele zyklische Sektoren sind aggressiv verkauft worden. Die Marktteilnehmer denken, dass Technologieaktien defensiv sind. Das ist falsch, denn sie sind in Wirklichkeit sehr zyklisch, teuer und von den Investoren überlaufen. Der Katalysator für eine negative Entwicklung könnte bald kommen. Es gibt ein historisches Muster. Die Leute kommen aus dem Urlaub zurück, und es gibt viele Investoren- und Analystenpräsentationen, bei denen die Guidance aktualisiert wird. Normalerweise senken die Unternehmen dabei ihre Prognosen, um die Erwartungen der Marktteilnehmer zu senken. In diesem Jahr gibt es jedoch besonders viele Gründe für Prognosesenkungen, vor allem wegen des Handelskonflikts. Generell sind säkulare Wachstumsthemen sehr gut gelaufen. Wir haben die Sorge, dass sie mittlerweile aggressiv bepreist sind. Mit welchen Branchen würden Sie sich wohlfühlen?Uns gefällt der europäische Telekommunikationssektor. Das ist eine historisch defensive Branche. Sie ist wenig zyklisch und weist hohe Renditen auf. Der Sektor hat eine lange Phase der Underperformance hinter sich. Zuletzt wurde er von Sorgen über hohe 5G-Investitionen belastet. Wir glauben, dass sich die Telekommunikationsbranche besser entwickeln kann als der Gesamtmarkt. Die Unternehmen können sich zu extrem attraktiven Zinsen refinanzieren. In den USA gefallen uns Banken und Hersteller von Konsumgütern des täglichen Bedarfs. Banken weisen historisch extrem hohe Bewertungsabschläge im Vergleich zum Gesamtmarkt auf und preisen damit bereits eine Rezession ein. Wenn die Fed ihren Leitzins weiter senkt, wird dies eine Versteilerung der Zinsstrukturkurve zur Folge haben, was die Bankenaktien unserer Meinung nach stützen wird. Das Interview führte Christopher Kalbhenn.