Nemetschek-Aktie bleibt ein guter Griff – zumindest langfristig
Geld oder Brief
Nemetschek-Aktie bleibt ein guter Griff – zumindest langfristig
Von Tobias Möllers, Frankfurt
Zuletzt ist es etwas ruhiger um die Aktie von Nemetschek geworden. Dabei hatten die Papiere des Bausoftwareanbieters seit September 2023 – und damit deutlich vor Einsetzen der Jahresendrally an den Aktienmärkten – eine beeindruckende Erholung hingelegt. Trotz der jüngsten Verschnaufpause gehörte das Unternehmen, das 1963, vor nunmehr über 60 Jahren von dem Bauingenieur Georg Nemetschek gegründet wurde, im vergangenen Jahr mit einem Plus von über 64% zu den stärksten Werten im MDax und hat den Index klar geschlagen. Über den Zeitraum von 10 Jahren glänzen Nemetschek-Anteile sogar mit einem Zuwachs von über 1.600%. Das erfolgreichste Jahr der Aktie war bisher allerdings das Jahr 2003, mit einem Kursgewinn von fast 380%, und liegt somit schon etwas länger zurück.
Der Softwarekonzern aus dem Münchner Westen hat bereits im Jahr 1977 sein erstes Programm für Baustatistik entwickelt, seit 1999 ist das Unternehmen börsennotiert. Seit dem 1. März 2022 führt der Franzose Yves Padrines als CEO den Konzern, der, gemessen an der Marktkapitalisierung, mit 7,4 Mrd. Euro deutlich hinter SAP und nicht weniger deutlich vor der Software AG das zweitgrößte deutsche Softwareunternehmen ist. Der Konzern vereint mehr als ein Dutzend Marken unter einem Dach. Neben seinem Hauptbetätigungsfeld in der Baubranche zählt Nemetschek auch im Medien- und Unterhaltungsbereich zu den weltweit führenden Anbietern von Software für die Erstellung von 3D-Animationen und visuellen Effekten für Filmproduktionen.
Im Bausektor hat sich Nemetschek auf Softwarelösungen für den gesamten Lebenszyklus von Bau- und Infrastrukturprojekten spezialisiert. Als Ziel nennt das Unternehmen, mit seinen Programmen den Designprozess zu beschleunigen, die Produktivität zu steigern und die Kreativität zu fördern. Sechs bis sieben Millionen Anwender in 142 Ländern weltweit würden bereits mit Nemetschek-Software arbeiten.
Zuletzt konzentrierte sich der Konzern auf eine Umstellung seines Geschäftsmodells hin zu Software-as-a-Service (SaaS). Die Umstellung auf das Abo-Modell dämpft Wachstum und Profitabilität derzeit, soll für die Zukunft aber die Planbarkeit erhöhen und natürlich auch Umsätze und Erlöse steigern. Für Padrines ermöglicht die Umstellung „eine ganz andere Dynamik“. Bereits im nun laufenden Jahr 2024 sollen wiederkehrende Einnahmen 80% der Umsätze des Konzerns ausmachen. Zudem will Nemetschek 2024 beim Konzernerlös erstmals die Marke von 1 Mrd. Euro übertreffen.
Die jüngsten Zahlen des Softwarekonzerns zum dritten Quartal 2023 kamen am Markt gut an. Das Umsatzwachstum sollte ursprünglich von 4–6% im Jahr 2023 über 10% im Jahr 2024 auf 15% im kommenden Jahr zulegen. Die Ebitda-Marge sollte 2023 – umstellungsbedingt – mit 28–30% allerdings etwas niedriger als im Jahr zuvor ausfallen (2022: 32%). Die beiden Kennzahlen für 2023 hat das Unternehmen dank eines stark profitablen Wachstums im dritten Quartal zuletzt angehoben. Beim Umsatzwachstum sollen nun 6–8% statt der avisierten 4–6% erreicht werden, die Ebitda-Marge werde am oberen Ende der angegebenen Range von 28–30% landen.
Trotz der zuletzt starken Zahlen sind Analysten mit Blick auf die Aktie von Nemetschek nach den jüngsten Kursgewinnen zwiegespalten. So plädieren sieben Institute und Finanzdienstleister weiterhin für „Buy“, während vier Analysten das Papier inzwischen mit „Sell“ bewerten. Eine Mehrheit von elf Analysten stuft die Nemetschek-Titel aktuell mit „Hold“ ein.
Dabei gibt es weiterhin gute Argumente, die für die Aktie sprechen: So ist der Digitalisierungsgrad in der Baubranche weiterhin niedrig – nur ein Zehntel der Unternehmen im Segment Bauen nutzt bereits digitale Lösungen. In den Segmenten Planung und Baumanagement ist der Digitalisierungsgrad mit 40–50% zwar bereits deutlich höher, lässt aber noch genug Potenzial für den Marktführer aus München. Nemetschek weist darauf hin, dass dank seiner Softwarelösungen Projekte ihren Finanzrahmen einhielten und rechtzeitig fertig würden – dies klappe bei 90% der Bauvorhaben sonst nicht.
Auch das Megathema KI könnte Nemetschek weiteres Wachstum bescheren. Die Münchner bieten mit dem Archicad AI Visualizer 3D-Visualisierungen ohne aufwendige 3D-Modelle an. Zudem hat die Nemetschek-Marke Allplan eine Partnerschaft mit dem KI-basierten Software-Start-up Elevait angekündigt. Deren intelligente Suchmaschine soll die Effizienz und Produktivität von Bauprojekten steigern.
Auch das Ende der Leitzinserhöhungen dürfte der Aktie neuen Rückenwind geben. Gegen die Nemetschek-Papiere spricht allerdings, dass diese in jüngster Zeit bereits reichlich Boden gutgemacht haben. Auch bleiben die Aussichten für die Bauwirtschaft insgesamt mau, worauf Alsterresearch aus Hamburg hinweist. Da das Baugewerbe stagniere, werde sich das Wachstum von Nemetschek verlangsamen. Die Hamburger stufen den Softwarekonzern daher von „Hold“ auf „Sell“ herunter. Neben dem Niedergang des Bausektors sieht Alsterresearch auch Gefahren durch einen zunehmenden Wettbewerb. Auch dass das Unternehmen von nur einer Familie kontrolliert wird, werten die Hamburger als Schwäche. Für Nemetschek sprächen dagegen die Chancen im Bereich Digitalisierung und Internationalisierung. Dadurch würden sich für den Markt- und Innovationsführer mit seinem erfahrenen Management gute Geschäfte abzeichnen – auf lange Sicht.
Der Finanzdienstleister Acquisdata hebt den bereits jetzt hohen Anteil an wiederkehrenden Einnahmen bei Nemetschek hervor. Die Transition laufe nach Plan, SaaS sei bereits 2023 mit einem Plus von 42,3% auf 77,4 Mill. Euro ein Wachstumstreiber des Unternehmens gewesen.
Die Deutsche Bank bliebt für die Nemetschek-Aktie beim Votum „Halten“. Trotz der Kundenzurückhaltung in einigen Märkten und der Transition zu SaaS sei die Nachfrage stabil. Das Unternehmen habe Spielraum für Preiserhöhungen und die amerikanische Software-Tochter Bluebeam habe zuletzt mit starkem Umsatzwachstum geglänzt. Auch Barclays plädiert für ein Gleichgewichten der Aktie. Ein Unsicherheitsfaktor bleibe die Schwäche der Endmärkte. Gleichwohl würden sich die Strategieinitiativen des Managements auszahlen und das Geschäft sei gut positioniert – langfristig.