MARKTCHANCEN 2020

Niedrigzinsumfeld stützt Aktien auch im neuen Jahr

Deutlich gestiegenes Bewertungsniveau begrenzt Aufwärtspotenzial - Anleger müssen auf konjunkturelle Stabilisierung hoffen

Niedrigzinsumfeld stützt Aktien auch im neuen Jahr

Von Christopher Kalbhenn, FrankfurtMit einem Gewinn von mehr als 25 % im Dax hat der Aktienmarkt im alten Jahr den Anlegern viel Freude beschert. Es war ein in seinem Ausmaß völlig überraschender Zugewinn. Selbst die zuversichtlichsten Experten hätten vor zwölf Monaten kaum für möglich gehalten, dass der deutsche Standardwerteindex vor einem seiner bislang besten Jahre stand. Doch so schwer zu erklären ist die Entwicklung letztlich nicht. Geldpolitik als TreiberBlickt man ein wenig in die Vergangenheit zurück, fällt auf, dass der Dax 2012 und 2013 mit Gewinnen von 29,1 % bzw. 25,4 % ähnlich stark zugelegt hat. Getrieben wurde die starke Aufwärtsbewegung seinerzeit von der Geldpolitik, vor allem von der berühmten Ankündigung des Präsidenten der Europäischen Zentralbank, Mario Draghi, alles Erdenkliche (“Whatever it takes”) zu tun, um den damals von der Staatsschuldenkrise schwer getroffenen Euro zu retten. Auch 2019 hat die Geldpolitik den Aktienmärkten Auftrieb verliehen. Die völlig überraschende Kehrtwende der globalen Geldpolitik unter Führung der amerikanischen Notenbank Fed hat den Treibstoff für den sehr starken Aktienjahrgang geliefert. 2018 hatten ihre Leitzinserhöhungen bzw. Befürchtungen, dass die restriktive Fed-Politik die Konjunktur abwürgen und zudem die Bewertungslage der Aktienmärkte verschlechtern könnte, maßgeblich zum Kurseinbruch des vierten Quartals geführt und auch damit die Macht der Geldpolitik unter Beweis gestellt. 2019 wiederum wurde nicht nur der Zinserhöhungszyklus abgebrochen, sondern auch ein Senkungszyklus mit insgesamt drei nach unten gerichteten Zinsschritten der amerikanischen Währungshüter eingeleitet. In der Folge fielen die Anleiheverzinsungen, in Deutschland erreichte die Rendite der zehnjährigen Bundesanleihe ein Rekordtief von -0,74 %.Die globale Geldpolitik wird die Aktienmärkte auch im Jahr 2020 stützen, auch wenn sich die massive weltweite Zinssenkungswelle des alten Jahres so wahrscheinlich nicht fortsetzen wird. Von der amerikanischen Zentralbank können vor den im November anstehenden Präsidentschaftswahlen keine Leitzinserhöhungen erwartet werden, manche Experten glauben, dass die Fed nach den Wahlen, sprich 2021, sogar weitere Zinssenkungen folgen lassen wird. Auch die Europäische Zentralbank wird die Zinsen nicht erhöhen, sondern wahrscheinlich vielmehr zu weiteren Stützungsmaßnahmen greifen. Üppiger AufschlagDividendentitel werden vor diesem Hintergrund weiterhin von sehr niedrigen Zinsen und Anleiherenditen untermauert bleiben. Sie werden weiterhin eine sehr günstige relative Bewertung aufweisen. Beispiel Dax: Nach den aktuellen Konsenserwartungen werden deutsche Blue Chips insgesamt gesehen eine Dividendenrendite von etwas mehr als 3 % bieten, was einen üppigen Aufschlag auf den Zins zehnjähriger Bundesanleihen (-0,26 %) von rund 5,6 % ergibt. Gleichzeitig bleibt angesichts der Magerkost am Anleihemarkt der Mangel an Alternativen zu Aktien erhalten.Die starke, zinsgetriebene Vorlage des alten Jahres bedeutet für die Aktienmärkte jedoch eine Last. Denn die Hoffnungen, dass sich das globale Wachstum 2019 beschleunigen würde, haben sich zerschlagen. Beschleunigt hat sich vielmehr – nicht zuletzt aufgrund der lähmenden Wirkung des Handelskonflikts zwischen den Vereinigten Staaten und China – der Rückgang des Wachstums, das von 3,7 % im Jahr 2018 auf rund 3 % gesunken ist. Dementsprechend sind auch die Erwartungen an die Unternehmensgewinne gründlich enttäuscht worden. So wurde aus dem ursprünglich erwarteten Wachstum der Gewinne der Dax-Unternehmen um etwas mehr als 10 % tatsächlich ein Rückgang um 5 %. Im Ergebnis sind die Bewertungen an den Aktienmärkten deutlich gestiegen. Dax-KGV bei 16 Punkten So liegt das Kurs-Gewinn-Verhältnis (KGV) des Dax auf Basis der Konsensschätzungen für 2019 nun bei 16, nachdem es vor zwölf Monaten noch bei 14,1 Punkten lag. Das ist ein recht anspruchsvolles Niveau, mit der Folge, dass das weitere Aufwärtspotenzial des Aktienmarktes begrenzt ist.Sehr niedrige Zinsen allein werden auf Dauer nicht reichen, die Aktienmärkte nach oben zu treiben. Anleger müssen daher hoffen, dass die Aktienmärkte im neuen Jahr von einer Stabilisierung der Konjunktur, d. h. einem Ende der Talfahrt des verarbeitenden Sektors untermauert werden, damit auch die Talfahrt der Unternehmensgewinne gestoppt wird. Immerhin haben Frühindikatoren bzw. Manager-Umfragen zuletzt Signale gegeben, die darauf hoffen lassen, dass das auch geschehen wird. Vor allem aber gibt die jüngste Entwicklung des Handelskonflikts zwischen den Vereinigten Staaten und China Anlass zur Hoffnung. Hatte dieser lange Zeit für Verunsicherung gesorgt und die Investitionstätigkeit gehemmt, gab es zuletzt sehr deutliche Anzeichen dafür, dass der Konflikt entschärft wird. China und die USA haben sich auf ein Phase-1-Abkommen geeinigt und von neuen Sonderzöllen, die Mitte Dezember hätten in Kraft treten sollen, abgesehen. Bullenmarkt fast elf Jahre altEine Stabilisierung ist auch vor dem Hintergrund von Bedeutung, dass der Konjunkturzyklus bereits sehr betagt ist bzw. sich in einem späten Stadium befindet. Sehr betagt ist auch der derzeitige Bullenmarkt. Im März wird sich sein Start zum elften Mal jähren, womit er der mit Abstand längste Dax-Bullenmarkt seit den sechziger Jahren ist. Jeder Zyklus muss irgendwann enden. Allerdings fehlt dafür derzeit eine wichtige Zutat. Konjunkturelle Aufschwünge und Bullenmärkte enden üblicherweise in einem Umfeld, in dem die Notenbanken die Zügel anziehen. Das Gegenteil ist jedoch derzeit der Fall. Die Zentralbanken haben den Fuß weiterhin auf dem Gaspedal. Vor diesem Hintergrund scheint eine Schaukelbörse auf hohem Niveau mit einer stärkeren Schwankungsanfälligkeit im Vergleich zum alten Jahr ein durchaus plausibles Szenario für die kommenden zwölf Monate zu sein. Getragen von den niedrigen Zinsen werden Phasen nachlassender Verunsicherung durch politische Krisen wie den amerikanisch-chinesischen Konflikt um die Vorherrschaft und den Brexit die Aktienmärkte der Industrieländer wahrscheinlich weitere Rekordhöchststände erklimmen lassen. Phasen, in denen aufgrund enttäuschender Konjunkturdaten wieder die Rezessionsbefürchtungen verstärkt werden oder aber wieder von der Politik verstärkt Irritationen ausgehen, dürften zu Rückschlägen führen, die gerade angesichts der hohen Bewertungsniveaus durchaus recht deutlich ausfallen könnten. Zukäufe bei SchwächeUnter diesen Voraussetzungen ist im kommenden Jahr in besonderem Maße Flexibilität angesagt. Schwächephasen sollten zu Zukäufen genutzt werden, nach deutlichen Kursanstiegen sollten Gewinne mitgenommen werden.