Aktienmarkt

Peking zündet ein bescheidenes Feuerwerk an Chinas Börsen

China setzt neue Hebel in Bewegung, um den Aktienmarkt in positive Schwingung zu versetzen. Eine Latte von Maßnahmen, darunter eine Halbierung der Stempelsteuer haben die Börsen am Montag jedoch nur für einen kurzen Moment angeschoben. Insbesondere internationale Investoren bleiben skeptisch.

Peking zündet ein bescheidenes Feuerwerk an Chinas Börsen

Peking zündet ein bescheidenes Feuerwerk

Stempelsteuersenkung bringt nur ultrakurze Intraday-Rally am Aktienmarkt – Konjunkturmalaise dominiert das Sentiment – MSCI China im Bärenterritorium

China setzt neue Hebel in Bewegung, um den Aktienmarkt in positive Schwingung zu versetzen. Eine Latte von Maßnahmen, darunter eine Halbierung der Stempelsteuer, haben die Börsen am Montag jedoch nur für einen kurzen Moment angeschoben. Insbesondere internationale Investoren bleiben skeptisch.

Von Norbert Hellmann, Schanghai

Die verzweifelten Bemühungen chinesischer Regierungs- und Finanzbehörden, dem von Konjunktursorgen und Immobiliensektorproblemen geprägten Aktienmarktsentiment einen positiven Schub zu verleihen, haben einen neuen Rückschlag erlitten. Am Montag ließ Peking eine ganze Reihe von Maßnahmen verkünden, die die aufgewühlten Märkte in spontane Rally-Stimmung versetzen sollten, aber letztlich nur eine sehr bescheidene Wirkung erzielten. Dabei hat sich insbesondere eine als Wunderwaffe gedachte Senkung der Stempelsteuer auf Aktienhandelstransaktionen an den Festlandbörsen eher als Strohfeuer erwiesen.

Vergangene Woche waren bereits Gerüchte aufgekommen, dass Peking eine Senkung der Stempelsteuer in der Schublade bereit hat. Am Sonntag ließ das Finanzministerium dann tatsächlich eine Kürzung der an den Fiskus wandernden Gebühren pro Aktienhandelsgeschäft von 0,1% auf 0,05% verkünden.

Die großzügige Halbierung des Stempelsteuersatzes, von der insbesondere auch Brokergesellschaften profitieren, hat zu Beginn des Handels in Schanghai und Shenzhen zunächst eine gewaltige Reaktion ausgelöst und den Blue-Chip-Index CSI 300 vom Start weg in die Höhe katapultiert. In der Spitze kletterte der Index tatsächlich um gewaltige 5,5%, was den höchsten Tagesgewinn seit mehr als drei Jahren bedeutet hätte.

Kurzes Vergnügen

Allerdings währte die Euphorie nur denkbar kurz. Bereits nach wenigen Minuten fielen die Kurse wieder zurück und bekamen im weiteren Verlauf der Sitzung dann auch keinen neuerlichen Rückenwind. Am Ende des Tages verbuchte der CSI 300 zwar noch ein Plus von 1,2%, jedoch gilt dies im Vergleich zu den gewaltigen Ausschlägen, die Stempelsteuerimpulse in der Vergangenheit ausgelöst hatten, als ziemlich enttäuschend. Beim Hang-Seng-Index in Hongkong reduzierte sich ein anfänglicher Anstieg um 3% auf einen Tagesgewinn von 1%.

Ein Blick in die Historie zeigt, dass es bei den bislang zwei Gelegenheiten, bei denen es in China zu einer Senkung der Transaktionssteuer und der aus ihr erwachsenden Belastung gekommen war, der marktbreite Index Shanghai Composite in Reaktion um gut 9% in die Höhe geschossen war und ein dauerhafter Belebungseffekt erfolgte. Umgekehrt sah man bei einer Anhebung der Stempelsteuer von 0,1 auf 0,3% im Frühjahr 2007, als es darum ging, das Spekulationsfieber in einer boomenden Marktphase abzukühlen, einen Kursverlust von 6,5%.

Die eher laue Reaktion auf das Pekinger Manöver mit der Stempelsteuer gibt den Marktteilnehmern umso mehr zu denken, als es sich beileibe nicht um die einzige Maßnahme handelte, mit der man am Montag auf die Marktteilnehmer zuging beziehungsweise auf die Aktienmarktverfassung Einfluss zu nehmen versuchte. Seit Augustmitte greift Peking immer massiver ins Marktgeschehen ein. Staatliche Brokerhäuser und Fondsgesellschaften wurden unmissverständlich dazu aufgefordert, keine Nettoverkäufe am Aktienmarkt zu tätigen, also voll investiert zu bleiben. Gleichzeitig ließen die Regulatoren staatliche Pensionsfonds und Versicherungsgesellschaften einbestellen, um sie mit sofortiger Wirkung zu einem beherzteren langfristigen Engagement im Aktienmarkt zu animieren.

Paketaktionäre müssen stillhalten

Am Montag gab es beredte Anzeichen dafür, dass die Wertpapieraufsichtsbehörde China Securities Regulatory Commission (CSRC) eine in früheren Zeiten schon mehrfach angewandte Bestimmung aktiviert hat, die es Großaktionären und Pakethaltern von Einzelunternehmen untersagt, ihre Positionen stark zu verringern. Analysten bei Huatai Securities gehen davon aus, dass die neu geschaffenen Verkaufshindernisse als Liquiditätsschonungsmaßnahme zunächst einen größeren Effekt zeitigen dürften als der Stempelsteuerimpuls.

Seitens der CSRC wurde auch eine Veränderung der Spielregeln beim sogenannten Margin Financing kommuniziert, die auf eine effektive Lockerung von Einschussverpflichtungen beziehungsweise Steigerung der Hebelmöglichkeiten von kreditfinanzierten Aktientransaktionen hinausläuft. Dass chinesische Regulatoren auf diese Weise zu spekulativen Aktienwetten einladen, ist für sich genommen unüblich.

IPOs werden abgebremst

In einem weiteren Schritt ließ die CSRC wissen, dass sie auf eine Dämpfung der Aktivität bei Initial Public Offerings (IPOs) hinwirke, damit die gegenwärtig fragile Marktverfassung und schwache Liquidität nicht zusätzlich von einem Mittelzustrom der Anleger für Erstemissionen kompromittiert wird. Vergleichbare Schritte zur Abbremsung des Primärmarkts hatte es in starken Baissephasen an Chinas Aktienmärkten schon des Öfteren gegeben. Allerdings hatte China im vergangenen Jahr eine große Reform des IPO-Systems vom Stapel gelassen, bei der die Emittenten wie in westlichen Märkten selber den Zeitpunkt für ihren Börsengang festlegen und das Pricing für eine Aktienofferte nicht vom Regulator mitbestimmt wird. Die jetzige Situation zeigt, dass der IPO-Markt tatsächlich weiterhin politisch stark überformt bleibt.

Die Vehemenz, mit der Chinas Regierungsapparat auf das Aktienmarktgeschehen einzuwirken versucht, sorgt gerade auch bei internationalen Investoren für einige Skepsis. Schließlich befindet man sich gegenwärtig nicht in einer Absturzphase mit panischen Reaktionen von chinesischen Retailinvestoren, sondern in einer gemäßigten Baisse, die von wachsendem Konjunkturmisstrauen und enttäuschten Hoffnungen geprägt ist. Dies vor allem, weil Pekings Zweckoptimisten mit unablässigen, aber vagen Stimulus-Versprechen seit Frühjahr signalisieren, dass man sich stets an der Schwelle zum neuen Aufschwung befindet, obwohl die tatsächlichen Konjunktur- und Immobilienmarktdaten das Gegenteil anzeigen.

Tatsächlich hat der CSI 300 im bisherigen Jahresverlauf nur 3,5% eingebüßt und liegt mit einem Abstand von etwa 11% zum Jahreshoch bei 4.200 Punkten von Ende Januar auch keineswegs im Bärenterritorium. Andererseits schneidet China im Vergleich zum globalen Börsengeschehen äußerst schlecht ab. Der MSCI All Countries World Index hat im Kalenderjahr um knapp 11% zugelegt.

In Chinas politischen Führungsetagen zeigt man sich erbost darüber, dass die anfänglich stramme „Wiederöffnungsrally“ nach Chinas Ausstieg aus der strengen Null-Covid-Politik keine Fortsetzung mehr gefunden hat. Dies liegt vor allem daran, dass ein in Erwartung gestellter, konsumgeleiteter und nachhaltiger Aufschwung ausgeblieben ist und Chinas Immobiliensektor sich keineswegs, wie von Peking versprochen, auf dem Weg der Gesundung befindet.

Bei internationalen Investoren scheint sich das Misstrauen gegenüber Pekings Konjunkturstabilisierungsfähigkeiten noch stärker zu manifestieren. So weisen der von seinen Dispositionen stärker geprägte Leitindex Hang Seng in Hongkong und vor allem der MSCI China Index eine wesentlich schlechtere Performance als CSI 300 oder Shanghai Composite auf. Der Hang Seng liegt für das aufgelaufene Jahr glatt 10% im Minus und praktisch genau 20% unter dem 52-Wochen-Hoch vom Januar, flirtet also mit dem Bärenterritorium.

Tristes Basisszenario

Beim MSCI China, der am Montag
entgegen dem Trend in Hongkong und Schanghai 1,3% auf 58,3 Punkte verlor, findet sich trotz einer Erholung bei den im Index prominent vertretenen chinesischen Tech-Aktien ein Abstand von 22% zum Januarhoch. Gegenwärtig sehen die Experten wenig Anlass für eine wuchtigere und vor allem dauerhafte Rally gegeben. Morgan Stanley etwa hat im
Basisszenario die Zielmarke für den MSCI China bis Jahresmitte 2024 jüngst von 70 auf 60 Punkte zurückgenommen und traut der für ausländische Investo-
ren maßgeblichen Benchmark auf längere Frist lediglich eine Seitwärtsbewegung zu.

Bei Goldman Sachs wiederum traut man den China-Aktien zwar etwas mehr Aufwärtspotenzial zu. Allerdings wurde das Ziel für den MSCI China als Reflex auf fortlaufende Enttäuschungen seit Juni in zwei Schritten von 80 auf zunächst 70 und nunmehr 67 Punkte gesenkt.

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